Noch immer gibt es Steuerberater und Rechtsanwälte, die ihren Mandanten bei größeren Aufträgen an Dienstleister und freie Mitarbeiter ein freiwilliges Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung empfehlen und auch die Deutsche Rentenversicherung selbst rät natürlich zu diesem Verfahren (zum Beispiel in diesem ZDF-Beitrag).
Die Auftraggeber wenden sich arglos an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) und wundern sich zunächst über den großen Aufwand: Auch bei kleinsten Aufträgen über wenige hundert Euro sind von Auftraggeber und Auftragnehmer je ein siebenseitiger Fragebogen auszufüllen, dann erhalten beide eine lange Frageliste, schließlich sind eine Vielzahl von Nachweisen zu erbringen. Auch im günstigsten Fall dauert es mehrere Monate, bis die DRV ihr Ergebnis mitteilt.
Im besten Glauben Statusfeststellung beantragt
Was die arglosen Antragsteller nicht erwarten, da sie das Verfahren ja freiwillig und in aller Regel in der Überzeugung „alles richtig gemacht zu haben“ initiieren: Dass die DRV inzwischen in jedem zweiten Fall auf „abhängig beschäftigt“ – also scheinselbstständig – entscheidet.
Betroffene und ihre Anwälte berichten, dass die DRV einzelne Aspekte des Auftragsverhältnisses herauspickt, die ein Indiz für eine Scheinselbstständigkeit sein könnten und Anhaltspunkte für eine echte Selbstständigkeit dagegen außer Acht lässt. Für jedes Indiz gibt es einen Textbaustein und sobald mehrere vorliegen wird auf abhängige Beschäftigung entschieden. Von einer Abwägung des Gesamtbildes sei wenig zu bemerken.
In jedem zweiten Fall wird auf scheinselbstständig entschieden
Dieser Vorwurf wird durch die von der DRV selbst (nach einer Vielzahl von Anfragen direkt an die DRV, über Journalisten, Bundestagsabgeordnete und zuletzt die Grünen-Bundestagsfraktion - aber das wäre eine eigene Geschichte) für diesen Zeitraum bereitgestellten Zahlen bestätigt: Die Ablehnungsquote bei freiwillig initiierten Statusfeststellungsverfahren ist von 18,9% in 2006 auf 47,0% in 2014 gestiegen – ohne dass es in dieser Zeit eine Gesetzesänderung gegeben hätte. Beim Blick auf die Entwicklung wird deutlich, dass es von 2007 auf 2008 eine massive Änderung in der Entscheidungspraxis der DRV gegeben hat. Die Vermutung einer Anweisung von oben liegt nahe, wird aber von der DRV geleugnet.
Die neue Entscheidungspraxis führte zu Entscheidungen, die mit gesundem Menschenverstand immer schwerer nachvollziehbar waren und in der Folge zu einer Vielzahl von rechtlichen Auseinandersetzungen der DRV mit Auftraggebern und –nehmern (dazu hat die DRV leider keine Zahlen veröffentlicht). Dabei kam es, insbesondere in erster Instanz, zu völlig widersprüchlichen Urteilen. Zu fast jedem Krtiterium lassen sich Entscheidungen pro und contra Scheinselbstständigkeit finden.
Die DRV wählt passende Indizien und Gerichtsurteile - und ignoriert andere
Die DRV berief sich nun auf die von ihr erstrittenen „pro“-Urteile. Die von Antragstellern gewonnenen „contra“-Urteile ignoriert sie in Verfahren, so die Betroffenen. Mit dem Werkvertragsgesetz wurde dann von Andrea Nahles der Versuch unternommen, die aus Sicht von DRV und Arbeitsministerium „besten“ Urteile in Gesetzesform zu bringen und so in ihrem Sinne das Recht zu verändern. Dieser Versuch scheint zwar nun gescheitert zu sein, aber wie die Abbildungen zeigen, gelang es der DRV ja auch ohne Gesetzesänderung schon bisher, eine immer höhere Zahl von Scheinselbstständgen zu produzieren.
Die beiden Balkendiagramme zeigen, wie sich die absolute Zahl der als scheinselbstständig "enttarnten" Selbsttändigen entwickelt hat. Bei den freiwillig initiierten Verfahren zeigt der Trend steil nach oben: Gegenüber dem Jahr 2006 hat sich die Zahl der "Beschuldigten" fast verfünffacht.
"Produktion" von Scheinselbstständigen auf diese Weise verfünffacht
Bei den obligatorischen, also ohne Zutun von Auftraggeber und –nehmer (zum Beispiel in der Folge von Betriebsprüfungen) initiierten Verfahren hat sich die Zahl innerhalb des kurzen Zeitraums zwischen 2007 (Zahlen für 2006 stehen hier nicht zur Verfügung) und 2011 versechsfacht.
Diese Verfahren haben maßgeblich zur heutigen Rechtsunsicherheit geführt. Deshalb setzen unsere Forderungen jetzt vor allem an der DRV und ihrer Entscheidungspraxis an. Eine Vielzahl von Vorschlägen, was hier verbessert werden müsste, findet ihr in dem Beitrag „Vier Forderungen für mehr Rechtssicherheit“. Ein erster Schritt wäre sicherlich mehr Transparenz und ein offenerer Umgang mit Zahlen seitens der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Quellen:
BT-Drucksache 18/5253, Kleine Anfrage der (...) Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen, Seite 18 f. (PDF)
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