Am 18. März 2020, kurz nach Beginn des "Lockdown" wurde VGSD-Vorstand Andreas Lutz kurzfristig zu einem wichtigen Gespräch nach Berlin eingeladen. Hier berichtet er, wie die Sitzung ablief, wer außer ihm teilnahm, was er im Namen von VGSD und BAGSV (Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände) forderte – und warum er heute ebenso wie viele Selbstständige tief enttäuscht von der Regierung ist.
Meine bisher kurzfristigste Einladung nach Berlin
Die Einladung erreicht mich am Vorabend um 22 Uhr: Ich möge doch bitte am folgenden Tag um 16 Uhr auf Einladung der Bundesminister Altmaier, Heil und Scholz nach Berlin ins BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) kommen – zu einem Gespräch über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Solo-Selbstständige und die resultierenden Maßnahmen.
Am Wochenende davor war es zu beispiellosen Einschränkungen des öffentlichen und damit auch wirtschaftlichen Lebens in Deutschland gekommen, Hilfemaßnahmen für die Wirtschaft waren angekündigt worden: Die Rede war insbesondere von KfW-Darlehen, aber auch von Zuschüssen.
"Die Bundesregierung hat reagiert und einen Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen auf den Weg gebracht, der Insolvenzen verhindern und Arbeitsplatzverlusten vorbeugen soll. Bei der Ausgestaltung des Schutzschildes gilt es darauf zu achten, dass allen von der Krise betroffenen Erwerbstätigen die erforderliche Unterstützung zuteilwird. Dabei werden wir vor allem berücksichtigten, dass besonders viele Selbständige mit nur wenigen oder ohne Beschäftigte (sog. Solo-Selbständige) in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind. Dem wollen wir entschlossen entgegentreten und uns mit Ihnen über denkbare, möglichst effektive und zielgenaue Unterstützungsmaßnahmen austauschen", hieß es in der Einladung.
Ich buche noch in der Nacht einen Flug nach Berlin und machte mich am nächsten Morgen um 8 Uhr auf den Weg zum Münchener Flughafen. Während ich mit einer Handvoll weiterer Passagiere auf den Abflug warte, nehme ich Kontakt mit Verbandskollegen und Experten auf.
Vorbereitung in einem ausgestorben wirkenden Hotel
Eine E-Mail des ifo-Instituts, auf dessen Presseverteiler ich seit einiger Zeit stehe, inspiriert mich, dessen Präsidenten Clemens Fuest anzurufen. Er hat in den letzten Tagen mehrfach auf die besondere Betroffenheit der "kleinen" Selbstständigen hingewiesen und gefordert, sie besonders zu unterstützen. Ich hatte zuvor noch keinen Kontakt zu ihm und freue mich, dass er mich noch kurz vor meinem Abflug zurückruft. Wir führen dann im weiteren Tagesverlauf ein ausführliches Gespräch, in dem ich ihm unsere verbandsseitigen Forderungen und Überlegungen vortrage. Er gibt mir dazu seine Einschätzung und Anregungen, was aus seiner Sicht für die Solo-Selbstständigen hilfreich wäre.
Die fünf Stunden zwischen Ankunft in Berlin und Sitzungstermin verbringe ich in der Lounge des Motel One am Hauptbahnhof, wo ich bei meinen Aufenthalten in Berlin wegen seiner Nähe zum Regierungsviertel oft übernachte. Das Hotel ist in den Monaten zuvor aufwändig renoviert worden, erstmals sehe ich es in seinem neuem Glanz. Doch ich bin der einzige Gast in dem riesigen Empfangsraum. Auf die Frage, ob ich etwas zu trinken bestellen kann, sagt mir ein Mitarbeiter, dass die Bar aufgrund von Corona geschlossen ist. Ebenso wie alle bis auf zwei Etagen des elfstöckigen Hotels: um Heizkosten zu sparen, ergänzt der Mann sichtlich erschüttert, der sich im weiteren Gespräch als Geschäftsführer des Hauses herausstellt. Nach den fast ausgestorbenen Flughäfen, einem Flugzeug, das ich fast für mich alleine hatte, nun also eines der größten Berliner Hotels, mit mir als einzigem Gast in seiner Lounge.
Der Hotelmanager versorgt mich mit einem Latte Macchiato aus der Mitarbeiterküche und erlaubt mir, die verbleibenden Stunden bis zur Sitzung mit zahllosen Telefonaten, Notizen und Überlegungen hier zu verbringen.
Ausgewählter Teilnehmerkreis und verspäteter Beginn aufgrund einer noch wichtigeren Sitzung
Rechtzeitig zur Sitzung um 16 Uhr fahre ich ins BMAS. Nach der Einlasskontrolle geht es hoch in den Steinsaal, den größten Besprechungsraum des Ministeriums. Statt sonst oft 50 und mehr Teilnehmern stehen heute weniger als 20 Personen auf der Teilnehmerliste. Zwischen den mit Namensschildern versehenen Plätzen ist jeweils ein Stuhl frei.
Die Sitzung beginnt verspätet, weil die Bundesminister Altmaier und Heil vorher noch einen anderen Termin hatten. Wie im weiteren Verlauf deutlich wird, haben sie sich mit Vertretern des DGB und ver.di sowie des BDA getroffen, also der Gewerkschaften und des Bundesverbands Deutscher Arbeitgeber. Als Eindruck wird bei mir bleiben, dass bei diesem Gespräch die Weichen für diese Sitzung gestellt wurden. Was mich – wie bei anderen Treffen zuvor hier im BMAS – irritiert, denn schließlich vertreten Gewerkschaften und BDA die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, nicht die der Solo-Selbstständigen.
Entgegen der Ankündigung in der Einladung nicht anwesend ist der Bundesfinanzminster. Er hat eine schwere Erkältung und bleibt deshalb im Home Office. Wie sich später herausstellen wird, handelt es sich glücklicherweise nicht um eine Corona-Infektion. Scholz wird durch seinen Staatssekretär Wolfgang Schmidt vertreten.
Anwesend ist jedoch mit Professor Monika Grütters die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien aus dem Bundeskanzleramt. Neben den Ministern sind mehrere Staatssekretäre anwesend: Leonie Gebers vom BMAS, Ulrich Nussbaum vom BMWi (Bundeswirtschaftsministerium) und der bereits erwähnte Wolfgang Schmidt vom BMF (Bundesfinanzministerium), sowie mehrere Abteilungsleiter dieser Ministerien.
Von Verbandsseite sind neben dem VGSD präsent:
- Dr. Eric Schweitzer, Präsident des DIHK (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) und sein stellvertretender Hauptgeschäftsführer Dr. Achim Dercks
- Holger Schwannecke, Generalsekretär des ZDH (Zentralverband des Deutschen Handwerks)
- Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband)
- Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats
- Peter Klotzki, Hauptgeschäftsführer des BFB (Bundesverband der Freien Berufe)
- Frank Werneke, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
Die "kleinen" bzw. Solo-Selbstständigen werden neben mir vertreten von:
- Marc Wohlrabe ist Vorsitzender des Bundesverbands LivemusikKommission e.V.- fest verankert in der Berliner Clubszene, die in den Wochen zuvor von sich Reden gemacht hat
- Sandra Beckmann ist Veranstaltungsdienstleisterin, Mitglied bei ver.di und in unserem Partnerverband ISDV. Sie hat mit ihrer Initiative Veranstaltungswirtschaft (zusammen mit Ambros Funk und weiteren) für viel Beachtung gesorgt.
- Dr. Rolf Sukowski ist Vorsitzender von OWUS, dem "Offenen Wirtschaftsverband von kleinen und mittleren Unternehmen, Freiberuflern und Selbstständigen in der Bundesrepublik Deutschland", einem der Linken nahestehenden Selbstständigenverband.
So läuft die Sitzung ab
Nach kurzer Begrüßung durch die Minister Heil und Altmaier werden wir aufgefordert, reihum eine Einschätzung zu den besonderen Problemen und aus unserer Sicht nötigen Maßnahmen abzugeben. Vor mir sprechen Eric Schweitzer und Holger Schwannecke, sowie die drei oben genannten Vertretern "kleiner" Selbstständiger. Die anderen Verbände sind nach mir an der Reihe.
Wie immer gilt für das von den anderen Teilnehmern Gesagte Vertraulichkeit, davon werde ich im Folgenden nur abweichen, wo Ergebnisse der Sitzung später ohnehin öffentlich bekannt wurden.
Die Meinung der Industrie- und Handelskammern, dass die KfW-Darlehen von den zuständigen Hausbanken selbst an gestandene Mittelständler nicht ausreichend schnell und unbürokratisch genug vergeben würden und eine höhere Besicherung durch die KfW (möglichst 100 Prozent) nötig wären, wurde in den Medien in den folgenden Wochen noch ausführlich diskutiert und führte nach anfänglichem Zögern der Bundesregierung zu einer Erhöhung der Besicherung auf 90 bzw. im Fall des "KfW-Schnellkredits 2020" sogar auf 100 Prozent.
Meine zwölf Forderungen im Namen von VSGD und BAGSV
Sehr wohl darf ich natürlich berichten, was ich im Namen von VGSD (und der BAGSV) an diesem Nachmittag fordere, nachdem ich mich dazu tagsüber mit vielen Verbandskollegen abgestimmt hatte:
- Ich erkläre, dass Selbstständige in stärkerem Maße als Angestellte von den Lockdown-Maßnahmen betroffen sind, weil sie nicht nur für ihre privaten, sondern auch die weiterlaufenden betrieblichen Kosten aufkommen müssen. Zudem sehe ich uns als Hauptleittragende eines "Schwarze-Peter-Spiels", bei dem für zugesagte und teils bereits mit zeitlichem und finanziellem Einsatz erbrachte Leistungen nun wegen "Unmöglichkeit" (früher: "höhere Gewalt") die Zahlung verweigert wird.
- Die zu dieser Zeit diskutierten oder schon beschlossenen Maßnahmen (Kurzarbeitergeld, Bürgschaften, KfW-Darlehen) werden Solo-Selbstständigen nicht weiterhelfen, nötig sind nicht rückzahlbare Zuschüsse. Wenn man mit Darlehen arbeiten will, müssen diese in Analogie zum Bafög zinsfrei sein und die Rückzahlung zeitversetzt beginnen. Angesichts der häufig fehlenden Nachholbarkeit von Einnahmen und dem fortgeschrittenen Alter vieler Selbstständiger sei dies aber keine wirkliche Lösung.
- Der Gesetzgeber hat sich über Fälle beruflicher Betätigungsverbote viele Gedanken gemacht und im Infektionsschutzgesetz geregelt, dass Betroffene eine Entschädigung in Höhe des Einkommensausfalls gegenüber dem Vorjahr erhalten sollen zuzüglich weiterlaufender betrieblicher Kosten. Dies ist für uns Ausgangspunkt für die Ermittlung fairer Hilfen.
- Mir ist bewusst, dass eine komplette Entschädigung für den Staat und damit die Steuerzahler sehr teuer kommt und die Selbstständigen sind meiner Überzeugung nach zu einer solidarischen Lastenteilung bereit. Ziel muss es sein, dass durch die Corona-Krise Selbstständige nicht unverschuldet in Insolvenzen geraten oder ihre Altersvorsorge aufbrauchen müssen, sondern nach der Krise erhobenen Hauptes weiterarbeiten und ihre Unternehmen wieder aufbauen können. Dazu gehört, dass man uns nicht durch die Form der Hilfe zu Bittstellern degradiert.
- Den Finanzämtern soll deshalb eine Schlüsselrolle bei der Hilfe für Selbstständige zukommen. Sie sind die einzigen Behörden, die wissen, wer selbstständig ist und in der Vergangenheit Gewinne erzielt hat sowie in welcher Höhe. Sie sollen sofort angewiesen werden, Steuervorauszahlungen für 2020 auszusetzen und bereits bezahlte für 2019 auf Antrag zurückzuerstatten. Ein Verlustrücktrag über mehrere Jahre, also eine Verrechnung mit den Gewinnen früherer Jahre ist ein wirksamer und ordnungspolitisch guter Weg, den betroffenen Selbstständigen schnell zu helfen. Wir unterstützen auch eine negative Einkommensteuer, also zum Beispiel eine Auszahlung in Höhe von 1.500 Euro pro Monat für jeden Selbstständigen, der aufgrund des Lockdowns kein Einkommen mehr erzielt, um in dieser Phase Miete und Lebenshaltungskosten bezahlen zu können. Das Finanzamt ist am einfachsten in der Lage, Überzahlungen zu erkennen und zurückzufordern.
- Die Beiträge der gesetzlich krankenversicherten Selbstständigen sollen auf einen informellen Antrag hin gestundet werden. Dies hilft aber dauerhaft nur, wenn auch endlich die Mindestbeiträge auf die Höhe reduziert werde, wie sie für Angestellte und ihre Arbeitgeber gelten.
- Während uns Soloselbstständigen gegenüber mit der Begründung "Unmöglichkeit" Zahlungen verweigert werden, dürfen wir uns unsererseits gegenüber Vermietern nicht auf Unmöglichkeit berufen. Hier soll der Staat uns durch einen Appell an die Vermieter unterstützen, eine Aussetzung der Miete für die Dauer des Lockdowns zu erreichen. Auch sie haben ein Interesse, nach der Krise keine Leerstände zu haben. Viele Vermieter sind allerdings ihrerseits Selbstständige, ihre Immobilien bankfinanziert, es darf keine Kettenreaktion erzeugt werden, durch die es zu einer Banken- und Staatschuldenkrise kommen kann. Auch darf ein Mietnachlass nicht dazu führen, dass das Finanzamt anschließend von großzügigen Vermietern Schenkungssteuer nachfordert, wie in letzter Zeit schon mehrfach geschehen.
- Ganz kurz weise ich auf einige Probleme hin, die mir durch die Gespräche mit Verbandskollegen bewusst wurden: Dass Minijobber kein Kurzarbeitergeld erhalten und deshalb sofort ihre Stelle verlieren. Und dass Dienstleister sich ganz genau informieren müssen, ob ein Auftraggeber Zeichen einer Insolvenz zeigt, weil ansonsten nach geltendem Recht vom Konkursverwalter für von ihnen bereits erbrachte Leistungen die (An-)Zahlung zurückgefordert werden kann.
- Wichtig ist in der jetzigen Situation, dass unsere Kunden offene Rechnungen schnell bezahlen. Dabei soll der Staat, der erfahrungsgemäß zu den schlechtesten Schuldnern gehöre, mit gutem Beispiel voran gehen.
- Ich danke dafür, dass in ersten Bundesländern wie Bayern bereits eine Soforthilfe angekündigt wurde, fordere allerdings, dass die Regeln dafür möglichst bundeseinheitlich ausgestaltet werden, da dies sonst zu einer Ungleichbehandlung und zu erheblicher Unzufriedenheit führen wird.
- Es gibt auch Maßnahmen, die den Staat nichts oder vergleichsweise wenig kosten und den Selbstständigen trotzdem helfen werden, die Folgen des Lockdown schneller zu überwinden. Deshalb fordere ich ein "bürokratiearmes Jahr oder besser Jahre": Dazu gehört ein Fristenmoratorium, eine Anpassung der Verzugs- und Strafzinsen von sechs (und in einigen Fällen zwölf) Prozent pro Jahr auf das seit Jahren und auch künftig absehbar viel niedrigere Zinsniveau. Dazu gehört aber auch, dass Selbstständige andere Selbstständige rechtssicher beauftragen können und Auswüchse bei der DSGVO oder dem Abmahnwesen zurückgestutzt werden. Wenn man mit derselben Entschlossenheit, mit der man jetzt Milliardenbeträge verspricht, versuchsweise die eine oder andere lange diskutierte Vereinfachung umsetzt, wird man ja vielleicht feststellen, dass diese sich bewährt.
- Schließlich weise ich darauf hin, dass es weder im Arbeits- noch im Wirtschafts- oder Finanzministerium einen zuständigen Beamten für die Angelegenheiten der Solo-Selbstständigen gibt, dass es aber in Hinblick auf eine sinnvolle Ausgestaltung und Optimierung der Hilfemaßnahmen gut wäre, wenn der "heute begonnene Prozess fortgesetzt" wird, also auf Arbeitsebene vertiefende Gespräche stattfinden. Wir als Verbandsvertreter würden dafür sicherlich alle gerne zur Verfügung stehen, zum Beispiel per Videokonferenz.
Forderungen werden von anderen Verbandsvertretern aufgegriffen
Mein Eindruck ist, dass meine Forderungen bei den anderen Verbänden auf gute Resonanz stoßen. Im Verlauf der weiteren Sitzung beziehen sich mehrere Redner auf meine Forderungen, insbesondere auf mein Lob der bayerischen Soforthilfe und den Verweis auf das Infektionsschutzgesetz als Maßstab für die Fairness von Maßnahmen. Wenn es keine wirksamen Hilfen geben werde, sei mit einer Klagewelle zu rechnen, dies gelte es zu vermeiden, sagte eine Teilnehmerin. Am kürzesten fasst sich ver.di-Chef Werneke, er habe ja das Privileg gehabt, schon an der vorherigen Sitzung teilzunehmen und da alle ihm wichtigen Punkte eingebracht.
Im Anschluss an die Runde der Verbandsvertreter sprechen nun die Minister Heil und Altmaier über ihre Pläne. Sie danken den Teilnehmern dafür, dass sie die Krise nicht dazu genutzt haben, jahrealte Forderungen hervorzuholen, sondern zielgerichtete Maßnahmen in Hinblick auf die Corona-Krise vorzuschlagen.
Schon weitgehend beschlossen: Was man mit den Selbstständigen vorhat
Die Minister bringen zum Ausdruck, man fühle sich von dem, was wir sagten, bestätigt und habe im Detail auch noch einige neue interessante Hinweise gehört. Leider reiche die Zeit nicht für eine Diskussion mit uns, aber man wolle gerne darstellen, auf was man sich zuvor bereits geeinigt hätte...
Als positiv empfinde ich, dass Minister Altmaier eine schnelle, einfache Hilfe verspricht. Und auch nachfragte, wie hoch typischerweise die laufenden Kosten bei einem kleinen Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern seien.
Dann kommt die erste, wenn auch wenig überraschende Enttäuschung: Staatssekretär Wolfgang Schmidt vom Bundesfinanzministerium erteilt einer Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz eine deutliche Absage. Man habe eine Haftungsfreistellung beschlossen, also einen Bundestopf eingerichtet, um Entschädigungsforderungen gegenüber den Gesundheitsämtern aufzufangen, die die Länder und Kommunen überforderten. Die Botschaft: Mehr ist nicht drin.
(In den Tagen zuvor war in den Medien diskutiert worden, ob sich kommunale Gesundheitsbehörden aufgrund drohender Schadensersatzforderungen und verschuldeter Haushalte ihrer Kommunen nicht getraut hatten, bestimmte Großereignisse zu untersagen, obwohl dies gesundheitspolitisch geboten gewesen wäre. Messen wie die ITB und die Leipziger Buchmesse waren nicht verboten worden, sondern mussten nur deshalb abgesagt werden, weil die Gesundheitsämter praktisch nicht erfüllbare Auflagen gemacht hatten.)
Die zweite, weitaus größere Enttäuschung: Für die Lebenshaltungskosten der Selbstständigen sei die Grundsicherung da. Immerhin überlege man, ihr einen anderen Namen zu geben, wolle die Vermögensprüfung aussetzen und sie mit einem Bestandsschutz für die ersten sechs Monate versehen. Miete und Mietnebenkosten werde man übernehmen ohne Prüfung auf Angemessenheit der Wohnungsgröße. Auch die Beiträge zur privaten Krankenversicherung werde man in vollem Umfang tragen. Trotzdem sollen die Hilfen nicht über die Finanzämter ausbezahlt werden, sondern über die Arbeitsagenturen. Die gehörten entgegen ihres anderslautenden Rufs zu den handlungsfähigsten Behörden des Landes – und seien auch nicht föderal strukturiert wir die Finanzämter.
Die große Enttäuschung kommt schleichend in den Wochen nach der Sitzung
Die dritte, größte Enttäuschung kommt in den Wochen nach der Sitzung, die an diesem Punkt endet, ohne dass wir die verkündeten Maßnahmen hinterfragen können.
Leider werden die – von mir als solche verstandenen – Versprechen nur halbherzig, im absoluten Mindestumfang und in einer teils sehr chaotischen Form umgesetzt. Die versprochenen "Soforthilfen" von 50 Milliarden Euro wurden bis zum heutigen Tag – fast zwei Monate später – nur zu einem Bruchteil ausgezahlt.
Meine Überzeugung, dass die Hilfen bei den Betroffenen nicht oder nicht ausreichend angekommen sind, habe ich vielfach über Printmedien, Radio und Fernsehen zum Ausdruck gebracht. Einen zuständigen Ansprechpartner für die Solo-Selbstständigen gibt es nach wie vor weder im Arbeits- noch im Wirtschafts- oder Finanzministerium. Und auch keinen Versuch herauszufinden, ob die Hilfen bei den Betroffenen ankommen bzw. was verbessert werden könnte.
Die Hilfe für die Selbstständigen hat mit guten Vorsätzen und großen Versprechen begonnen. Sie hätte das Signal sein können, dass dem Staat die (Solo-)Selbstständigen, ihr Beitrag zur Wirtschaft und Gesellschaft, ihre Altersvorsorge der Bundesregierung wirklich wichtig sind.
Mein Urteil heute ist nicht ohne Bitterkeit
Ich sehe zentrale Versprechen – wie die auf den Verzicht der Vermögensprüfung – als gebrochen, selbst bei der Vergabe der Soforthilfe des Bundes hat der Staat ein unvorstellbares Maß an Rechtsunsicherheit geschaffen, so dass sich bis heute viele Betroffene nicht getraut haben, diese Hilfe zu beantragen.
Statt die zum Schutz der Gesamtbevölkerung entstandenen Schäden solidarisch zu teilen, wurden die Selbstständigen damit weitgehend allein gelassen.
Statt eines kraftvollen Signals, den von der Krise am meisten Betroffenen unbürokratisch zu helfen, bleibt bei uns der Eindruck, Erwerbstätige dritter Klasse zu sein, für die gut genug ist, was man Angestellten nicht zumuten möchte.
Du möchtest Kommentare bearbeiten, voten und über Antworten benachrichtigt werden?
Jetzt kostenlos Community-Mitglied werden