Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hatte am Mittwoch, 15.03.17, zu der Veranstaltung „Der Mensch in der digitalen Arbeitswelt" eingeladen.
In den selben Räumen hatte bereits Ende 2015 auf der Höhe der Auseinandersetzung um den ersten Referentenentwurf zum Werkvertragsgesetz eine hochrangig besetzte Veranstaltung zur Notwendigkeit und Praktikabilität des 1. Referentenentwurfs stattgefunden.
Damals hatte sich der zuständige Referatsleiter des BMAS, der den Gesetzesentwurf verantwortete, klare, ablehnende Worte von Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt anhören müssen. Damals schon anwesend und auch gestern wieder der am meisten angesprochene Gast war der IG-Metall-Chef für Bayern, Jürgen Wechsler. Wie schon 2015 war auch jetzt das Thema, das ihn am meisten beschäftigte, die Rückkehr zu einer höheren Tarifbindung.
Deutliche Kritik am Weißbuch Arbeiten 4.0
Deutliche Kritik gab es von allen Redner bzw. Gästen (bis auf Wechsler) am Weißbuch Arbeiten 4.0, also dem Ergebnisdokument des zweijährigen Prozesses „Arbeiten 4.0“ von Arbeitsministerin Nahles.
Dem Weißbuch setzt die vbw ein umfangreiches Positionspapier mit 40 Seiten Umfang gegenüber, das auf Selbstständigkeit, Sozialstaat, Mitbestimmung, Datenschutz, Gesundheitsschutz, Arbeitszeit und weitere Themen eingeht.
Die Veranstaltung griff in erster Linie das Thema Arbeitszeit(regelungen) heraus, was für Selbstständige ohne Mitarbeiter weniger relevant ist. Allerdings konnte man sehr viel über die aktuellen Themen und Konfliktlinien von Arbeitgebern und Gewerkschaften erfahren.
Weißbuch sei Sammlung gescheiterter Gewerkschaftsforderungen
Ein Vorwurf an die Gewerkschaften war dabei, dass sie das, was sie tarifvertraglich in den Betrieben nicht durchsetzen können, nun über den Gesetzgeber zu erreichen versuchen. „Das Weißbuch ist eine Aneinanderreihung gescheiterer und nicht durchsetzbarer Forderungen“ sagte sinngemäß ein Arbeitgebervertreter aus dem Publikum bei der Fragerunde. Zwischen den Zeilen schwinge, ergänzte ein Redner, viel Angst und Pessimismus und wenig Vertrauen in die Fähigkeit der Menschen, die Möglichkeiten der Digitalisierung positiv zu gestalten.
Kritisiert wurde von mehreren Rednern die Tendenz von Andrea Nahles, strenge gesetzliche Regelungen einzuführen, von denen dann tarifvertraglich abgewichen werden darf.
Arbeitsrechtler Prof. Martin Franzen von der LMU München stellte infrage, ob solche Regelungen (wie sie auch im „Werkvertragsgesetz“ vorkommen) rechtmäßig sind. Kleinere Unternehmen, die über keinen Betriebsrat verfügen, werden schlechter behandelt als große tarifgebundene. Zudem sei es widersinnig, nicht im Interesse der Gewerkschaftsmitglieder, wenn Betriebsräte für organisierte Mitarbeiter Kompromisse mit den Arbeitgebern eingehen, um über die Besserstellung der Arbeitnehmer in nicht-tarifgebundenen Unternehmen Druck auf ebendiese auszuüben, sich tariflich zu binden, damit sie dann mit den Betriebsräten eine Schlechterbehandlung der organisierten Mitarbeiter aushandeln können.
Größte Sorge der Gewerkschaften: Die seit Jahren abnehmende Tarifbindung
Gewerkschaftler Wechsler sieht das ganz anders. Seine größte Sorge ist die seit Jahren abnehmende Tarifbindung: Immer weniger Arbeitnehmer sind Mitglied in Gewerkschaften.
Im gewerkschaftlich eigentlich gut organisierten Bayern sind es gerade noch 14 Prozent. Wie man diese Zahl erhöhen könnte, trieb Wechsler schon bei der vorhergehenden Veranstaltung Ende 2015 um.
(Die Gründe beschreibt Gerhard Bosch aus Gewerkschaftssicht im Beitrag "Auflösung des deutschen Tarifsystems".)
Gewerkschaft wünscht sich "stärkere Anreize" zu Gewerkschaftsbeitritt bzw. Tarifbindung
Jetzt wurde er konkreter: Er sprach darüber, dass es ja auch bei Industrie- und Handelskammern sowie Handelskammerneine Zwangsmitgliedschaft gebe, bezeichnete das System der Handwerksinnungen als vorbildliches Modell. Auch Österreich sieht er als Vorbild – das sei aber mit einem gewissen Maß an Zwang verbunden, das müsse er dazu sagen. Mindestens aber seien Anreize nötig – damit meinter er die Politik von Nahles, Vergünstigungen für tarifgebundene Betriebe vorzusehen, die er sehr positiv sieht.
Was der Gewerkschafter als Anreiz bezeichnete, sahen die anderen Diskussionsteilnehmer eher als Erpressung. Hauptgeschäftsführer Broszart sagte, wenn es immer weniger Gewerkschaftsmitglieder gäbe, läge es womöglich auch an der Attraktivität der Gewerkschaften und daran, dass ihre Forderungen manchmal wie aus der Zeit gefallen wirkten und sich gerade beim Thema Arbeitszeit oft nicht mit den Wünschen der Arbeitnehmer deckten.
Arbeitszeitregelungen als Beispiel
Die Arbeitszeitregelungen sind dafür ein gutes Beispiel. Viele Mitarbeiter wollten sich ihre Zeit lieber freier einteilen, früher nach hause gehen, um die Kinder abzuholen und mit ihnen Zeit zu verbringen. Dafür seien sie bereit später – ggf. auch vom Sofa – noch mal ihre Mails zu checken oder einen wichtigen Anruf mit einem Kollegen in einer anderen Zeitzone zu führen. Wer als Arbeitgeber diese Flexibilität zulasse, stehe aber schon mit einem Fuß im Gefängnis, denn es besteht Rechtsunsicherheit, ob nicht schon kurze Unterbrechungen anschließend die vorgeschriebene 11-stünige Ruhephase neu in Gang setzen. Wer als Arbeitgeber oder Vorgsetzter abends um 23 Uhr noch eine E-Mail von einem Mitarbeiter erhält, muss demnach einschreiten und ihm das verbieten, oder aber sagen, dass er nicht vor 10 Uhr in den Betrieb kommen darf. Ansonsten handelt es ich um eine Ordnungswidrigkeit. Der Arbeitgeber darf also berechtigte und als selbstverständlich erlebte Wünsche von Arbeitnehmern nicht erfüllen, diese fühlten sich gegängelt.
Der vbw wendet sich auch gegen den zwangsweisen Ausschluss der Erreichbarkeit, etwa nach Dienstschluss oder im Urlaub. Eine Erreichbarkeit verlangen dürfe man nicht, aber ein Verbot greife in die persönliche Entscheidungsfreiheit ein und schaffe in Klima der Bevormundung.
Recht auf Rückkehr in Vollzeit schaffe auf der anderen Seite prekäre Arbeitsverhältnisse
Am heißesten diskutiert wurde das von Andrea Nahles geplante Recht auf befristete Teilzeitarbeit und das Recht auf Rückkehr in Vollzeit Das sei gerade für mittelgroße Unternehmen nur schwer realisierbar und schaffe ein Zweiklassensystem. Beispiel: Eine auf ein bestimmtes Thema spezialiserte Mitarbeiterin reduziere für zwei Jahre ihre wöchentliche Arbeitszeit von 40 auf 32 Stunden. Entweder müsste das durch Mehrarbeit der anderen Mitarbeiter aufgefangen werden oder man müsse im Extremfall jemand mit entsprechender Qualifikation finden, der bereit ist, acht Stunden pro Woche befristet auf zwei Jahre zu arbeiten. Die Flexibilität für die einen führe dann zu den oft beklagten prekären Beschäftigungsverhältnissen für die anderen.
Eine Grünen-Politikerin aus dem Publikum verwies darauf, dass das flexible Anpassen der Arbeitszeit bei Lehrern in Bayern doch gut funktioniere und Arbeitszeitänderungen ja doch in der Regel im gegenseitigen Einvernehmen geschähen. Broszart kommentierte das mit Verweis auf seine eigene Erfahrungen mit schulpflichtigen Kindern, Unterrichtsausfall etc. Änderungen der Arbeitszeit im gegenseitigen Einvernehmen seien völlig in Ordnung und ja bereits die Regel. Dafür aber müsse man das Gesetz nicht ändern.
Skepsis bezüglich des Umbaus der Arbeits- in eine Weiterbildungsagentur
Noch eine weitere Forderung des Weißbuchs stieß auf Kritik: Die Arbeitsagentur soll ihm zufolge in eine Weiterbildungsagentur umgewandelt werden. Arbeitslosigkeit entstehe ja immer weniger durch ein Fehlen an Arbeit und immer mehr durch das Fehlen der nötigen Qualifikation, lautet die auf den ersten Blick eingängige Begründung. „Fast schon planwirtschaftlich“ nannte Prof. Sascha Stowasser, Institutsdirektor des arbeitgernahen ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, diese Vorstellungen. Auch MdB Sascha Stracke (CSU) hält es angesichts der bestehenden Strukturen bei der Bundesagentur für Arbeit wenig realistisch, dass die Arbeitsagentur den Qualifizierungsbedarf zielsicher ermitteln und decken könne.
Fazit: Die Digitalisierung und die damit verbundene größere zeitliche und räumliche Flexibilität sollte als Chance begriffen werden, nicht nur oder vor allem als Risiko. Auch der Rechtsrahmen sollte so flexibel gestaltet werden, dass Arbeitnehmer von dieser Flexibilität profitieren und die neue Freiheit nutzen können.
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