Seit Anfang 2021 geht Produktionsleiter Dany Rau einen steinigen Weg durch Deutschlands Gerichte: Mit Hilfe seines Anwalts Michael Augustin hat er bislang dreizehn Klagen in elf Bundesländern eingereicht, um für sein faktisches Beschäftigungsverbot während der Corona-Pandemie entschädigt zu werden und damit auch einen Präzedenzfall für die vielen anderen Betroffenen zu schaffen. Es ist nach fast zwei Jahren des Kampfes und zugleich nach fünf mündlichen Verhandlungen Zeit für eine Zwischenbilanz. Wir haben Dany und Anwalt Michael Augustin im Interview nach ihren weiteren Zielen, Ärgernissen, Unterstützungsmöglichkeiten und Chancen befragt.
Ziel: einen Präzedenzfall schaffen
VGSD: Dany, du forderst auf dem Klageweg von elf Bundesländern Entschädigungen aufgrund des faktischen Berufsverbots während der Pandemie. Kannst du zunächst nochmal die Ziele nennen, die du mit den Klagen verfolgst?
Dany Rau: Als wir Anfang 2021 die ersten Klagen eingereicht haben, wollten wir in erster Linie ein Präzedenzurteil erwirken, auf dessen Grundlage andere Betroffene auch klagen können. Natürlich habe ich damals auch daran gedacht, dass eine Entschädigungszahlung, für die mir im Jahr 2020 entgangenen Einkünfte herausspringen könnte.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Die Ziele haben sich seither grundlegend geändert. Tatsächlich eine monetäre Entschädigung zu bekommen, ist eher unrealistisch und das habe ich mir auch abgeschminkt. Unser Ziel ist es nun, durch meinen Präzedenzfall ein Urteil zu erwirken, das die Politik dazu verpflichtet, ein Entschädigungsgesetz zu erlassen. Es ist für mich eine Frage der Gerechtigkeit, dass sich in Zukunft Betroffene eines Tätigkeitsverbots, egal aus welchem Anlass, auf eine faire Entschädigungsregelung berufen können. Um das zu erreichen, werden wir wohl bis zum Verfassungsgericht gehen müssen, da davon auszugehen ist, dass mir keines der vorgelagerten Gerichte eine Entschädigung zusprechen wird und so einen Präzedenzfall schafft. Wir führen auch Gespräche mit Politikern, um eine solche Entschädigungsmöglichkeit gesetzlich zu verankern.
Am Ende ist klar, dass ich das alles nicht für mich mache, sondern dafür, dass eine Gerechtigkeitslücke geschlossen wird. Wer jemandem verbietet zu arbeiten und damit demjenigen die Möglichkeit nimmt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, der muss dafür entschädigen!
Nüchterne Zwischenbilanz
VGSD: Was konntest du bisher auf dem Klageweg erreichen?
Dany Rau: Bei den Entschädigungsklagen konnten wir leider noch keines der Ziele erreichen, die wir uns gesteckt haben. Allerdings bescheinigt mir das Urteil des Sozialgerichts Berlin das Jobcenter zur Zahlung der Grundsicherung für den Beantragungszeitraum an mich verpflichtet ist und damit praktisch eine Existenzgefährdung, sonst würde mir ja kein ALG 2 zugesprochen werden. Da die Existenzgefährdung bei den Entschädigungsklagen eines unserer Argumente ist, unterstreicht das Urteil des Sozialgerichts Berlin unsere Argumentation. Das kann bei den Entschädigungsklagen helfen.
Ansonsten: Abgesehen vom Verwaltungsgericht Darmstadt hat sich keines der Verwaltungsgerichte für zuständig erklärt, alle anderen Klagen wurden daher an die ordentlichen Gerichte verwiesen.
Vor dem Bundesgerichtshof wäre ein Anwaltswechsel nötig
Das bereitet uns Probleme, da es Zeit kostet. Vor allem aber könnte mich Michael, wenn es über die Zivilgerichte bis in die höchste Instanz geht, mangels Zulassung vor dem Bundesgerichtshof nicht vertreten, was mich teuer zu stehen käme, da ich einen der wenigen zugelassenen Anwälte bräuchte. Vor dem Bundesverwaltungsgericht indes könnte Michael mich vertreten. Wir haben daher stets Widerspruch eingelegt, der aber jeweils abgewiesen wurde. Im Widerspruchsverfahren in Baden-Württemberg wurden unsere Rechtsmittel bis zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen – aber letztlich auch dort wieder abgewiesen. Für uns ist das nicht nachvollziehbar. Dementsprechend haben wir gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Hier warten wir noch auf eine Entscheidung.
"Ich empfinde es so, dass ich als Querulant gesehen werde"
VGSD: Gibt es Dinge, die dich an dem Prozess ärgern?
Dany Rau: Einerseits die persönliche Diskreditierung meiner Person, die in der Aussage des Richters im Verfahren beim Amtsgericht Neumünster gipfelte, wonach eine Existenzgefährdung nur dann Anerkennung finden kann, wenn ich obdachlos auf der Straße leben würde. Andererseits ärgert mich ungemein, dass die Richter zwar Handlungsbedarf sehen, und das teilweise auch genau so sagen, aber dass sie sich dennoch nicht in der Pflicht sehen, das Verfahren an das Verfassungsgericht hochzureichen.
Ich empfinde es so, dass ich als Querulant gesehen werde, der durch Zermürbungstaktik zum Aufgeben gezwungen werden muss, frei nach dem Motto: Was will der denn eigentlich, der kann doch froh sein, dass er die Hilfen bekommen hat!
Geht es um Zermürbungstaktik?
VGSD: Michael, du unterstützt Dany als Anwalt. Gibt es große Unterschiede in den Urteilen - je nach Bundesland? Welche Länder bzw. Länderjustizen sind uns Selbstständigen gegenüber aufgeschlossen, welche nicht?
Michael Augustin: In den Bundesländern, in denen bislang Urteile ergingen, sehe ich noch keine größeren Unterschiede. In Hessen und in Thüringen haben sich die Richter aber bislang offener gegenüber unserem Begehren gezeigt: So hat Hessen den Verwaltungsrechtsweg zugelassen. In Thüringen hat mir unser Verwaltungsrichter zumindest am Telefon gesagt, dass er den Entschädigungsanspruch aufgrund enteignenden Eingriffs jedenfalls für möglich hält. Leider wird uns hier das Verfahren auch von diesem Richter weg an das Zivilgericht verwiesen.
"Richter müssten gegen ihre Arbeitgeber urteilen"
VGSD: Michael, wie geht es nun konkret weiter? Welcher Erfolge erhofft ihr im weiteren Verlauf zu erzielen?
Michael Augustin: Unser Gefühl in den bisherigen mündlichen Verhandlungen war immer, dass wir keine Chance haben. Die Richter sind dem Personalwesen der Justizministerien der Bundesländer unterstellt. Da wir immer die Regierung des Landes als Beklagte gegenüber haben, zweifeln wir an der Unabhängigkeit der Gerichte. Die Situation ist vergleichbar damit, dass der Richter bei Gewährung einer Entschädigung für Dany gegen seinen „Arbeitgeber“ urteilen müsste. Dieses Argument haben wir schon in all unseren Rechtsbehelfen zum Rechtsweg vorgetragen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner schon von Dany genannten Entscheidung auf dieses Problem in keinem Wort eingegangen. Vom Bundesverfassungsgericht erwarte ich zu diesem Problem auch keine Abhilfe.
Wir reichen nun eine Individualbeschwerde vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein, weil wir uns in unserem Menschenrecht auf ein faires Gerichtsverfahren verletzt sehen. Wir erhoffen uns davon eine Verbesserung unserer Situation und auch die der Allgemeinheit in den Rechtsbereichen, in denen der Einzelne gegen den Staat klagen muss. Solange Richter – wie in den allermeisten zivilrechtlichen Fällen – unabhängig sind, funktioniert unser Justizsystem ja sehr gut.
"Thema muss auf der Agenda bleiben"
VGSD: Dany, wie können dich unsere Mitglieder in deinem Kampf unterstützen?
Dany Rau: Es ist wichtig, dass das Thema weiterhin auf der öffentlichen Agenda bleibt. Es kommt also darauf an, dass jeder darüber spricht und seine Kontakte zu Medien und in die Politik nutzt. Außerdem müssen die Verfahren sowohl mental als auch finanziell gestemmt werden. Das Mentale ist ein hartes Stück Brot, ich freue mich daher sehr, wenn bei den öffentlichen Verhandlungen Unterstützer anwesend sind. Das zeigt den Gerichten, dass es sehr wohl ein öffentliches Interesse in der Sache gibt! Im Moment sind zwei Termine vor dem Landgericht Stuttgart und dem Landgericht Düsseldorf angesetzt. Wir haben aber deren Aussetzung beantragt, weil wir ja wegen der fehlenden Unabhängigkeit der Richter in unseren Fällen, vor dem Bundesverfassungsgericht beziehungsweise dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerden eingereicht haben. Wir werden die nächsten Verhandlungen aber wieder öffentlich mitteilen.
Crowdfunding, damit es bis zur höchsten Instanz geht
Zudem würde es mir weitere finanzielle Unterstützung ermöglichen, wenigstens die Verfahren bis zu einem hoffentlich erfolgreichen Ende durchzustehen. Wir rechnen mit insgesamt bis zu 65.000 Euro nur für Anwalts- und Gerichtskosten, dazu kommen persönliche Kosten wie Reisekosten, die ich selbst trage. Wer mir bei den Anwalts- und Gerichtskosten helfen will, spendet am besten bei der Crowdfunding Kampagne bei GoFundMe – das dürfen gern auch Verbände und Stiftungen tun. Die bisherigen Spenden sind Großteils für die Kosten der bisherigen Verfahren verbraucht worden, die Kosten der gegnerischen Anwälte, die bei den abgewiesenen Klagen fällig werden, sind dabei noch nicht eingerechnet.
VGSD: Dany und Michael, danke für das Gespräch. Wir drücken euch die Daumen für alles, was noch auf euch zukommt!
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