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Die größte Wahl, die keiner kennt Was Selbstständige über die Sozialwahl 2023 wissen müssen

Viele gesetzlich Kranken- und Rentenversicherte erhalten derzeit Post: Im Mai stehen Sozialwahlen an. Auch Selbstständige sind wahlberechtigt – aber leider nicht mitgedacht. Sie können nach dem Prinzip des geringsten Übels wählen.

Post von der Rentenversicherung: Info-Material zur Sozialwahl 2023

Grauer Umschlag, roter Aufdruck. "Deine Stimme. Deine Wahl." Diese Post erreicht immer mehr Menschen in Deutschland in diesen Wochen. Und parallel dazu erreichen den VGSD die Anfragen, was wir denn Selbstständigen für die Wahl empfehlen.

Eines vorneweg: Eine konkrete Empfehlung können wir nicht abgeben. Aber einiges zur Sozialwahl erklären.

Es darf 52 Millionen Mal gewählt werden

Sozialwahlen finden alle sechs Jahre statt, zuletzt also 2017. Immer wieder fällt das Schlagwort, dass es sich um die drittgrößten Wahlen in Deutschland handelt: Nur bei der Bundestagswahl und der Wahl zum Europäischen Parlament gibt es mehr Wahlberechtigte. Allein bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund, dem größten Rentenversicherungsträger, sind mehr als 30 Millionen Versicherte und Rentnerinnen und Rentner zur Wahl aufgerufen. 22 Millionen Beitragszahlende sind bei den fünf Krankenkassen wahlberechtigt, die tatsächlich Wahlen abhalten. Ein Teil dieser 22 Millionen dürfte auch bei der DRV Bund wahlberechtigt sein. Wenn also von 52 Millionen Wahlberechtigten bei der Sozialwahl die Rede ist, handelt es sich nicht um 52 Millionen verschiedene Menschen.

Traditionell niedrige Wahlbeteiligung

Traditionell ist die Wahlbeteiligung bei den Sozialwahlen niedrig: Sie lag bei den letzten drei Wahlen bei um die 30 Prozent. Kein Wunder, denn viele Menschen wissen schlicht nicht, worum es geht. Alle sechs Jahre kommt ein Umschlag mit einer Broschüre per Post, darin eine Broschüre, in der es heißt: "Warum ist die Sozialwahl wichtig?"

Ja, warum? Etwas blumig heißt es dann von der DRV und anderen Verbänden, Sozialwahl sei "gelebte Demokratie". In ihrer Info-Broschüre schreibt die DRV Bund dann auch den eher halbherzig klingenden Satz: "Weil in einer Demokratie Wählen einfach dazugehört." Es gibt jedoch ganz konkrete Gründe, die für die Sozialwahl sprechen: Mit ihr werden die höchsten Entscheidungsgremien der Sozialversicherungen bestimmt. Bei den Krankenkassen die Verwaltungsräte, bei der Rentenversicherung und der Unfallversicherung die Vertreterversammlung.

Die Welt unterteilt sich in Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Diese sogenannten Versichertenparlamente sind vollständig in der Dichotomie Arbeitnehmer/Arbeitgeber gedacht: Ein Teil der Sitze ist für Arbeitgeber reserviert, der andere Teil für die Versicherten, die als Arbeitnehmer gedacht werden. Blöd nur, dass Selbstständige keiner der beiden Gruppen eindeutig zuzuordnen sind. Sie können auf beiden Seiten stehen, sofern sie gesetzlich kranken- und/oder rentenversichert sind: Solo-Selbstständige sind wahlberechtigt und wählen die Versichertenvertreter mit. Beschäftigen Selbstständige mindestens eine gesetzlich versicherte Person, werden sie der Arbeitgeberseite zugerechnet und dürfen selbst nicht bei den Versicherten mitwählen.

Einrichtungen kennen Zahl der wahlberechtigten Selbstständigen nicht

Diese besondere Rolle der Selbstständigen zu sehen, scheint für die Einrichtungen nicht interessant: Wir haben bei allen sechs Einrichtungen, die Wahlen abhalten, nachgefragt, wie viele Selbstständige bei ihnen bei der Sozialwahl wahlberechtigt sind. Nur eine konnte uns die gewünschte Auskunft geben: Bei der Barmer Ersatzkasse sind rund 200.000 Selbstständige wahlberechtigt – von 7,1 Millionen Wahlberechtigten, das sind 2,8 Prozent.

Alle anderen Einrichtungen konnten keine Auskunft darüber geben, wie viele Personen bei ihnen versichert sind, die selbstständig UND wahlberechtigt sind. Die TK konnte nicht einmal die Zahl aller bei ihr versicherten Selbstständigen nennen. Bei der DAK sind rund 100.000 Selbstständige versichert, bei der KKH knapp 40.000 und bei der hkk knapp 33.000. Die DRV Bund schreibt uns: "Die Anzahl der sogenannten Solo-Selbstständigen, die im Rahmen der Sozialwahl bei der Deutschen Rentenversicherung Bund wahlberechtigt sind, lässt sich aus unseren Daten leider nicht bestimmen. Insgesamt gab es zuletzt rund 331.000 Selbstständige, die in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert waren (Stand 31.12.2021)."

Gar keine Wahl für zig Millionen Versicherte

Wie viele Selbstständige bei der Sozialwahl wählen, bleibt also unklar, Hunderttausende sind es auf jeden Fall. Hunderttausende, die die Versichertenparlamente mitwählen. Diese bestimmen unter anderem über:

  • Den Haushalt der Krankenkasse
  • Den Vorstand bzw. die Geschäftsführung der Einrichtungen
  • Die Widerspruchsausschüsse, die Entscheidungen überprüfen können
  • Die Förderungen von Reha-Maßnahmen

Die Gremien, die durch die Wahl besetzt werden, sind also mächtig. Nur schade, dass bei ihrer Wahl so vieles intransparent bleibt. Das beginnt damit, dass bei vielen Einrichtungen überhaupt nicht gewählt wird: Wenn es bei einer Einrichtung nur so viele Kandidaten wie zu besetzende Mandate gibt, findet eine "Wahl ohne Wahlhandlung", auch wohlklingend "Friedenswahl" genannt, statt. Das trifft auf die Unfallversicherung, die meisten Krankenkassen und die kleineren Rentenversicherungsträger zu. Tatsächlich gewählt wird nur bei der DRV Bund und den fünf Ersatzkassen TK, DAK, KKH, hkk und Barmer. Zig Millionenfach können eigentlich Wahlberechtigte also gar nicht wählen. Die wichtigen Posten werden besetzt, ohne dass die Vertretenen überhaupt etwas davon mitbekommen.

Info-Broschüre listet nur die Listen auf

Auch da, wo gewählt wird, findet kein Wahlkampf statt. Aufgestellt werden nicht Personen, sondern Listen. Wer die meisten Stimmen bekommt, erhält die meisten Sitze. Die Wahlberechtigten bekommen per Post Info-Broschüren, in denen ihnen erklärt wird, dass die Sozialwahl wichtig ist und sie wählen sollen. Die wählbaren Listen sind in der Broschüre ebenfalls aufgelistet. Wofür die Listen stehen, können sich Interessierte dann selbst im Internet zusammensuchen oder per Post eine weitere Info-Broschüre anfordern.

Bei der DRV Bund, wo die größte Wahl abgehalten wird, sind dies 13 Listen. Entsprechend dem Grundgedanken, dass sich in der Vertretung Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegenüberstehen, sind darunter Listen von Gewerkschaften (Verdi, IG Metall). Daneben gibt es Listen von Versichertengemeinschaften, die die Versicherten gewerkschaftsunabhängig vertreten wollen.

Nur wenige Reaktionen auf Anfrage

Wir haben alle 13 Listen angeschrieben und sie gefragt, in welcher Form sie sich für Selbstständige einsetzen, ob sie für die Einbeziehung von Selbstständigen in die Rentenversicherung sind und ob sie Reformbedarf beim Statusfeststellungsverfahren für Selbstständige sehen. Nach drei Tagen hatten drei der 13 Angeschriebenen reagiert.

Die Barmer Versicherten Gemeinschaft verweist in ihrer Antwort auf ihre Satzung: "Mitglieder können nur Personen sein, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, sowie nicht Erwerbstätige, die zuletzt vor Beendigung oder Unterbrechung der Erwerbstätigkeit Arbeitnehmer waren." Eine Schwerpunktsetzung auf Selbstständige sei ihnen deshalb "aus Gründen der gesetzlichen Regelungen nicht möglich, da wir ansonsten unsere Wahlzulassung gefährden würden".

Für Einbeziehung von Selbstständigen in Rentenversicherung

Die Liste "DAK-VRV" beantwortet die Frage, ob sie für eine Einbeziehung von Selbstständigen in die Rentenversicherung ist, mit einem klaren "Ja". Zum Statusfeststellungsverfahren schreibt sie uns, dass sie für eine Vereinfachung sei. "Das Verfahren muss so transparent und einfach werden, dass jede/r allein, schnell und sicher den Antrag stellen und das Ergebnis nachvollziehen kann."

Eine Wahlempfehlung für Selbstständige ist deshalb schwer zu geben. Studiert selbst die Listen, fragt im Zweifel selbst an – schon allein eine zunehmende Zahl von Anfragen macht zumindest präsent, dass auch Selbstständige ein Interesse an der Wahl haben und vertreten werden wollen.

Eigene Liste? Großer Aufwand, wenig Erfolgsaussichten

Für die kommende Wahl gibt es auch die Möglichkeit, eine freie Liste aufzustellen – für diese Wahl ist das nicht mehr möglich. Doch der Aufwand ist nicht zu unterschätzen, beispielsweise sind 1.000 Unterschriften von Unterstützenden notwendig. Zudem ist zu berücksichtigen, dass man nicht nur Selbstständige, sondern auch noch andere für sich gewinnen müsste. Mit einem Stimmenanteil von 2,8 Prozent, was beispielsweise dem Anteil der stimmberechtigten Selbstständigen bei der Barmer entspricht, hätte man bei der Sozialwahl 2017 in keiner der Vertretungen einen Sitz bekommen.

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