Seit Monaten ärgern wir uns über die Behauptung des BMAS, dass rund die Hälfte der Solo-Selbstständigen nicht in die gesetzliche oder eine private Altersvorsorge investiere.
Andrea Nahles sagte Ende Mai: „Wenn die Hälfte der Solo-Selbstständigen nicht für das Alter vorsorgt, birgt das ein neues Risiko von Altersarmut und damit nicht zuletzt eine Belastung für die Allgemeinheit“ und begründet damit die von ihr geplante Rentenversicherungspflicht. Viele Medien haben diese Behauptung ungeprüft übernommen. Das gilt auch für andere Parteien, die irreführende Aussage hat sogar ihren Weg in das Rentenkonzept der CDU gefunden.
Bereits im Juli haben wir in einem Beitrag detailliert erklärt, warum diese Behauptung falsch ist. BMAS und Nahles berufen sich auf eine im Auftrag des BMAS erstellte DIW-Studie, die irreführend formuliert ist, bei deren aufmerksamem Lesen aber schnell deutlich wird, dass sie die meisten bei Selbstständigen beliebten Formen der Altersvorsorge überhaupt nicht abdeckt.
Autor korrigiert Missverständnisse durch neue Studie
Jetzt hat sich der Autor der Studie mit einer neuen Studie quasi selbst korrigiert. Schon der Titel macht das deutlich: „Die allermeisten Selbstständigen betreiben Altersvorsorge oder haben Vermögen“. Karl Brenke schreibt:
„Diese Analysen ergeben jedoch ein lückenhaftes Bild. Denn sie können nur entweder darüber informieren, wie viele Selbstständige in die gesetzliche Rentenkasse beziehungsweise in eine Kapitallebensversicherung einzahlen (...). Traditionell besteht die Altersvorsorge von Selbstständigen darin, eigenständig Vermögen zu bilden.“
Eine Gesamtbetrachtung der Vorsorgemaßnahmen von Selbstständigen sei auf der Basis der (für die früheren Studien) genutzten Datenquellen Mikrozensus und SOEP nicht möglich. Um die Lücke zu schließen, nutzt Brenke jetzt die Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS). Sie hat den Vorteil, dass sie nicht den einzelnen Selbstständigen (zum Beispiel eine in Teilzeit selbstständige junge Mutter), sondern den ganzen Haushalt berücksichtigt. Das war z.B. bei Experten-Workshops im BMAS von den anwesenden Wissenschaftlern immer wieder gefordert worden.
Teilzeit-Selbstständige häufig über Partner versichert?
Die Ergebnisse bestätigen zunächst einmal, dass „nur“ 43 Prozent der Selbstständigen aktuell aktiv in die DRV einzahlen (was nicht heißt, dass sie nicht vor der Gründung Ansprüche erworben haben). Bei den aktuell nicht DRV-Versicherten fällt auf, dass der Anteil der Teilzeit-Selbstständigen relativ hoch ist. Brenke vermutet: „Möglicherweise spielt dabei eine Rolle, dass diese Selbstständigen über ihre Partner oder Partnerinnen versichert sind.“
Des Weiteren fällt auf, dass dies besonders unter Selbstständigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung verbreitet ist. (Dies bestätigt unsere Überlegungen zum Thema Selbstständige in der Grundsicherung.)
Nicht aktiv Rentenversicherte: Zwei Drittel haben Immbobilie, die Hälfte Lebens-, ein Drittel Rentenversicherungen
In Hinblick auf die Selbstständigen, die zurzeit nicht aktiv in die DRV einzahlen, stellt Brenke fest:
„Knapp die Hälfte (...) lebt in Haushalten, die über eine Kapitallebensversicherung verfügen. Bei fast einem Drittel der Selbstständigen ist eine private Rentenversicherung vorhanden (...). Nicht selten verfügen Haushalte über beide Versicherungen. Bei zwei Dritteln der Selbstständigen ohne gesetzlicheh Rentenversicherung verfügen die Haushalte über Immobilienvermögen.“
Immerhin ein Sechstel der nicht aktiv rentenversicherten Selbstständigen verfügen über Geld-, Aktien-, Anleihen- oder Investmentfondsvermögen in Höhe von mindestens 100.000 Euro.
Auch die Datenquelle EVS sei zudem nicht vollständig, so fehlten zum Beispiel Informationen zum Wert des Betriebsvermögens, das bei manchen Selbstständigen (z.B. medizinischen Praxen) einen erheblichen Wert darstellen kann.
Nicht die Hälfte, sondern 7 bis 9 Prozent aller Selbstständigen sorgen nicht aktiv vor - darunter sind aber vermutlich viele Gründer
Gleichwohl, so Brenke gibt es zweifellos Selbstständige, die aktuell nicht ausreichend für ihr Alter vorsorgen. Von den 57 Prozent der Selbstständigen, die nicht aktiv in die DRV einzahlen, verfügten zwölf Prozent über keine der untersuchten privaten Anlageformen und über kein Haushaltsvermögen von mindestens 100.000 Euro. Setze man die Messlatte bei 250.000 Euro an, steige der Anteil von zwölf auf 16 Prozent. (Das entspricht einem Anteil von sieben bis neun Prozent aller Selbstständigen.)
Dabei sei aber, so Brenke im weiteren Verlauf, zu berücksichtigen, dass der Vermögensaufbau ein viele Jahre dauernder Prozess ist: „(...) so dass bei jüngeren Selbstständigen nicht erwartet werden kann, dass sie bereits über ein großes Vermögen verfügen.“
Mangelnde Vorsorge kein Problem nur von Selbstständigen, sondern des Niedriglohnbereichs
In seinem Fazit merkt der Autor an, mangelnde Vorsorge komme nicht nur bei Selbstständigen vor: „Konsequent wäre unter diesem Blickwinkel, wenn auf dieselbe Weise mit den abhängig Beschäftigten verfahren würde. Denn wohl bei nicht wenigen Personen mit einem Minijob dürfte eine spätere Altersarmut wahrscheinlich sein.“
Brenke warnt, politische Interventionen hin zu einer Pflichtversicherung könnten zu einem weiteren Rückgang von Existenzgründungen und zu Geschäftsaufgaben führen. Das könne zu politischen Zielkonflikten führen, denn viele der bedrohten Gründungen seien kurz zuvor erst staatlich gefördert worden.
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