Rainer Rösing ist selbstständiger User Experience Designer aus Hamburg und ärgerte sich mal wieder – wie so viele von uns auch ständig –, dass sich der angebotene, an sich spannende Auftrag als Arbeitnehmerüberlassung entpuppte. Und das angesichts der aktuell schwierigen Wirtschaftslage auch noch zu relativ bescheidenen Konditionen.
Warum eigentlich verunsichern die verantwortlichen Politiker und Beamten systematisch unsere Auftraggeber und zwingen sie so, aus bisher gut bezahlten Selbstständigen schlecht bezahlte Leiharbeiter/innen zu machen?
Auf LinkedIn teilte Rainer Rösing daraufhin gestern Nachmittag seine Argumente gegen Leiharbeit. Das führte innerhalb von weniger als 20 Stunden zu rund 100 Kommentaren. Wenn du dies liest, dürften es einige mehr sein. Mit Rainers Erlaubnis geben wir hier seinen Post wieder. Wir sind gespannt auf deine Meinung dazu. Und wenn du Lust hast: Teile auch du das obige Protestplakat, mehr dazu am Ende des Beitrags.
Auftraggeber resignieren vor der Rechtsunsicherheit
"Die Situation auf dem Freelancemarkt war schon mal geiler. Aber gerade deswegen könnte ich jedes Mal k..., wenn ich die Worte "in Arbeitnehmerüberlassung" lese und Firmen vor der Rechtsunsicherheit resignieren, anstatt entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. 😡
Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) kennst Du vielleicht auch als "Zeitarbeit". Man ist über einen Vermittler angestellt und wird an den eigentlichen Kunden für eine befristete Projektdauer „ausgeliehen“.
Jetzt kann man zu Gunsten der ANÜ sagen, dass man in dieser Zeit die Vorteile einer Festanstellung genießt: soziale Absicherung, Krankheit etc… Recruiter sagen gerne, dass es gleich ist wie freelancen, nur in einer anderen Vertragsart.
Arbeitnehmerüberlassung
Aufgrund der Rechtsunsicherheit bei Selbstständigkeit bekommen viele Selbstständige seit Jahren immer mehr Projekte als Zeitarbeit (auch Arbeitnehmerüberlassung, kurz ANÜ, genannt) anstelle von Aufträgen angeboten. Die Zeitarbeit erscheint den Auftraggebenden rechtlich weniger angreifbar. Die Selbstständigen werden im Rahmen der ANÜ zu Arbeitnehmer/innen, die Kosten und Margen der Vermittler sind noch höher als bei einer Vermittlung von Aufträgen an Selbstständige. Den Betroffenen bleibt oft ein niedrigeres Honorar beziehungsweise Gehalt als das, was sie als Selbstständige erhalten würden, ohne dass sich die Risiken reduzieren würden. Außerdem wird ab einem bestimmten Punkt vom Finanzamt die Selbstständigkeit, die Absetzbarkeit betrieblicher Ausgaben und so weiter in Frage gestellt.
Arbeitnehmerüberlassung verbindet die Nachteile von zwei Welten
Als eingefleischter Freelancer kann ich mich aber nicht an die Vorstellung einer Arbeitnehmerüberlassung gewöhnen, aus folgenden Gründen:
▶️ In einer richtigen Anstellung hätte ich die Möglichkeit aufzusteigen und wäre auch entsprechend motiviert. In einer ANÜ gibt es hier für mich keine Perspektive, zumindest sofern dauerhafte Übernahme keine Option für mich ist und ich weiter selbstständig bleiben möchte.
▶️ In einer Festanstellung ist auch das Unternehmen motiviert, mich weiter zu fördern. Das Invest des Kunden in mich und meine Skills wird bei ANÜ stark begrenzt sein.
▶️ Ich kann mir nicht vorstellen, dass man als befristeter Zeitarbeiter die gleiche Stellung und Mitsprache hat wie ein Festangestellter. Man ist von der Wahrnehmung trotzdem extern und ein Angestellter zweiter Klasse.
▶️ Man hat als Zeitarbeiter (vermutlich) kaum Credibility, um wirklich bei internen strukturellen Themen mitmischen zu können, also "kein Platz am Tisch".
▶️ Auch in der ANÜ muss ich Rücklagen für die Suche nach einem Anschlussprojekt bilden, das geht vom Gehalt ab.
▶️ Die private Altersvorsorge, die man als Freelancer haben sollte, sollte trotzdem weiterlaufen. Auch das geht vom Gehalt ab.
▶️ Die Kosten meiner Freelancer-Infrastruktur laufen auch weiter, meine Möglichkeiten steuerliche Vorteile zu nutzen, schwinden aber dahin.
▶️ ANÜ ist aber aktuell meist nicht besser bezahlt als eine entsprechende Festanstellung. Das war schon mal anders, und die befristeten Gehälter waren bis zu 50% höher als eine normale Festanstellung, aber aus der aktuellen Marktsituation will eben jeder Profit schlagen. Und selbst wenn man mehr bekommt, viel Spaß wenn die Festangestellten Kollegen das mitbekommen. Bei einem Freelancer ist jedem klar dass dieser mehr bekommt, er trägt ja schließlich das Risiko der Selbstständigkeit.
▶️ In einem Freelance-Verhältnis sind die Verhältnisse jedoch klar definiert. Ich leiste meine Arbeit und kümmere mich selbst um Weiterbildung und Tools. Dafür werde ich auch entsprechend gut bezahlt.
Letztendlich passt ANÜ für mich nicht zum Freelancer-Mindset. Entweder ich bin Freelancer oder eben Angestellter. Beides hat sicher Vor- und Nachteile, aber hier sehe ich weder Fisch noch Fleisch.
Oder wie seht ihr das?"
Lass dich nicht länger in Leiharbeit drängen!
So weit der Post von Rainer. Wir freuen uns über deinen Kommentare hier unter dem Beitrag – und natürlich auch auf LinkedIn.
Und: Mach es wie Rainer und ärgere dich nicht nur im Stillen: Teile Beitrag und Post. Schreib mit einem dicken Filzstift auf einen Karton die Überschrift dieses Artikels und mach ein Foto von dir mit deinem Protestplakat. Oder generiere ein solches Bild mit einem Meme-Generator wie imageflip. Oder bitte Dall-E, ein solches oder ähnliches Motiv zu generieren.
Wenn du dein Foto über ein soziales Netzwerk teilst, auf diesen Aufruf hier verlinkst und uns darüber informierst, teilen wir deinen Beitrag auf unserer entsprechenden Social Media-Seite. Gerne kannst du uns dein Foto auch zusenden, wenn du möchtest, dass wir es hier veröffentlichen. Wir dürfen uns nicht länger in Leiharbeit drängen lassen!
Eine Woche nach der Aktion haben wir mit Rainer ein Interview geführt.
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