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Lesetipp Ergebnisse der Gespräche von Union und SPD "Selbstständige" im Sondierungspapier mit Lupe gesucht

Zwei Tage früher als geplant haben Union und SPD die Sondierungen abgeschlossen und am Samstag (8.3.25) die Inhalte des Sondierungspapiers bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Wir haben uns das Papier für euch angeschaut.

Um "Selbstständige" im Sondierungspapier von Union und SPD zu finden, muss man schon ganz genau hinschauen

Wir freuen uns, dass sich beide Seiten zusammengerauft haben, kompromissbereit gezeigt haben und das Ziel verfolgen, bald eine neue, handlungsfähige Regierung zu bilden. Wir teilen das Ziel, Freiheit und Frieden zu schützen, unser Land zu modernisieren, hierfür in Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz zu investieren, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die bestehende Polarisierung zu reduzieren.

Selbstständige nur an einer Stelle und nur mit zusätzlichen Belastungen

Und doch: Für Selbstständige ist das Sondierungspapier enttäuschend. Nur an einer einzigen Stelle geht es auf den elf Seiten ausdrücklich um Selbstständige – und zwar allein um zusätzliche Belastungen bzw. Einschränkungen: "Wir wollen Selbstständige besser fürs Alter absichern. Wir werden alle neuen Selbständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind, in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen. Andere Formen der Altersvorsorge, die eine verlässliche Absicherung für Selbständige im Alter gewährleisten, bleiben weiterhin möglich." (255 ff.)

Rechtssicherheit für Auftraggeber und -nehmer durch eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens – Fehlanzeige. Eine faire Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge, die ja Voraussetzung dafür ist, damit sich auch die Normalverdiener unter den Selbstständigen die Altersvorsorgepflicht leisten können – Fehlanzeige. Beamte, die speziell für Solo- und Kleinstunternehmen zuständig sind und entsprechende fachliche Kompetenz aufbauen – Fehlanzeige. Die Ersetzung des negativen Narrativs von Selbstständigkeit als prekärer Erwerbsform durch eine positive Erzählung von Gründung und Selbstständigkeit – Fehlanzeige.

Unklare Formulierung bezüglich Opt-out

Statt dessen: "Wir wollen Selbstständige besser fürs Alter absichern." Ein Satz, der pauschal unterstellt, dass Selbstständige nicht verantwortungsvoll handeln und dass die gesetzliche Rentenversicherung der geeignete Weg ist, dies zu ändern. Schon in früheren Koalitionsverträgen haben sich Regierungen die Einführung einer Altersvorsorgepflicht für Selbstständige vorgenommen, auch wenn sie von den Arbeitsminisiter/innen Nahles und Heil dann letztlich nie umgesetzt wurde. 

Dabei war stets klar und deutlich von einem unbürokratischen Opt-out die Rede, also der Möglichkeit, alternativ eine private Altersvorsorge nachzuweisen. Es ist erläuterungsbedürftig, was im Sondierungspapier mit dem Satz "Andere Formen der Altersvorsorge, die eine verlässliche Absicherung für Selbständige im Alter gewährleisten, bleiben weiterhin möglich" gemeint ist, nachdem es zuvor klar heißt: "Wir werden alle neuen Selbständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind, in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen." Als Leser gewinnt man den Eindruck, dass hier die SPD ganz klar den Stift geführt hat.

Bestandsselbstständige bleiben ausgenommen

Auch wenn die Formulierungen extrem irritieren, immerhin sind andere Formen der Altersvorsorge erwähnt und die geplante Altersvorsorgepflicht gilt nicht für Bestandsselbstständige, die meist schon auf vielfältige Art und Weise für ihr Alter vorgesorgt haben. Wie die Formulierung ausgelegt wird, hängt maßgeblich davon ab, wer in der neuen Bundesregierung das Amt des/der Arbeitsministers bzw. -ministerin bekleidet. Wird es erneut Hubertus Heil werden oder aber ein/e Minister/in der Union, die Selbstständigen etwas verständnisvoller gegenübersteht?

Andererseits: Angesichts der Tatsache, dass das Sondierungspapier dem Klimaschutz gerade mal acht Zeilen widmet, sind viereinhalb für die Selbstständigen gar nicht so wenig. Wir hoffen, dass die Zahl der Zeilen keine Rückschlüsse auf die Prioritäten in den nächsten vier Jahren zulassen. Immerhin soll ein erheblicher Teil des geplanten Infrastruktur-Sondervermögens für Klimaschutz-Maßnahmen aufgewendet werden, der Klimaschutz im Stillen also doch ein wenig mitbedacht worden sein. Wir hoffen das gilt auch für Selbstständige.

Die Wirklichkeit ist komplizierter

Als Verband der Gründer und Selbstständigen in Deutschland wünschen wir uns natürlich eine gute Altersvorsorge für alle Selbstständigen in Deutschland. Dazu gehört aber mehr als eine Rentenversicherungspflicht. Wäre es so, hätten alle Künstler und Publizisten, Tagespflegepersonen und Hebammen eine hervorragende Altersvorsorge. Aber: Es kommt eben auch darauf an, ob man faire Honorare erhält – auch dann wenn der Auftraggeber eine staatliche Stelle ist. Und darauf dass die Sozialversicherungs-Beiträge fair berechnet werden und man nicht sehr viel höhere Abzüge hat als Arbeitgeber und -nehmer zusammen. Und dass man als Selbstständige/r überhaupt noch Aufträge erhält und die Auftraggeber nicht verunsichert sind aufgrund eines dysfunktionalen Statusfeststellungsverfahrens, das für sie zu existenzgefährdenden Nachzahlungen führen kann.

Hier muss die künftige Bundesregierung noch deutlich nacharbeiten, denn um die hohen Schulden zurückbezahlen zu können, die sie nun aufnehmen möchte, braucht es eine gesunde Wirtschaft. Eine erfolgreiche Wirtschaftswende gelingt aber nur mit uns Selbstständigen.

Selbstständige bitte mitdenken

Im Sondierungspapier heißt es gleich am Anfang (Zeile 30 ff.): Wir setzen uns für eine starke wettbewerbsfähige Wirtschaft ein, die von einer gut ausgebildeten und fair bezahlten Arbeitnehmerschaft getragen wird." Hat man hier möglicherweise einen nicht ganz unbedeutenden Teil der Wirtschaft übersehen? Wir hätten uns gefreut, wenn die Selbstständigen hier auch genannt worden wären...

"Uns eint der Wille, neue Zuversicht zu schaffen. Wir wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt festigen, indem wir (...) die Leistung der hart arbeitenden Menschen anerkennen. Wir wollen das Leben der Menschen in unserem Land einfacher und besser machen." Auch wir Selbstständige sehen uns als hart arbeitende Menschen und hoffen sehr, dass wir hier mitgemeint sind, liebe Koalitionäre! Auch wenn wir sonst nicht den Eindruck hatten, dass unsere Interessen in diesem Papier mitgedacht wurden.

Liebe Verhandler von Union und SPD, ihr dürft nicht nur an Arbeitnehmer, also Beamte und Angestellte, denken, wenn von Erwerbstätigen die Rede ist. Auch wir Selbstständigen gehören zu den Erwerbstätigen. Dass wir bisher wie schon bei der Inflationsausgleichsprämie NICHT mitgedacht wurden, ist zum Beispiel an dieser Stelle des Sondierungspapiers offensichtlich: 

Neuer Steuervorteile für Arbeitnehmer/innen

"Damit sich Mehrarbeit auszahlt, werden Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt. Als Vollzeitarbeit gilt dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden. Wir werden einen neuen steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten schaffen: Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen." (233 ff.)

Hier werden neue Steuervergünstigungen für Arbeitnehmer/innen eingeführt, in besonderem Maße für gewerkschaftlich organisierte Unternehmen (Stichwort "Tarifverträge"). Fleißige Selbstständige, die Mehrarbeit leisten und so zur Milderung des Fachkräftemangels beitragen, müssen Überstunden im Gegensatz zu Angestellten weiterhin ganz normal versteuern und profitieren in Bezug auf eventuelle eigene Arbeitnehmer auch nur eingeschränkt von den Regelungen. Statt die Schlechterbehandlung von Selbstständigen bei Steuern und Sozialabgaben abzubauen wird sie durch Regelungen wie diese ausgebaut.

Selbstständige sind nicht Gegner, sondern Fachkräfte

Es steht zu befürchten, dass die verabredeten Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung in eine ähnliche Richtung wirken könnten: Solo- und Kleinstunternehmen haben keine Mitarbeiter oder sind faktisch zu klein für Gewerkschaften und Tarifbindung. Maßnahmen, die nicht tarifgebundene Unternehmen bestrafen, bestrafen deshalb automatisch auch kleine Unternehmen und führen zu Wettbewerbsvorteilen für große Unternehmen mit ohnehin großer Marktmacht. Selbstständige müssen hier mitgedacht werden und dürfen von den Gewerkschaften und der SPD nicht länger als Gegner behandelt werden.

Selbstständige sind Fachkräfte. Wenn es also im Sondierungspapier zur Fachkräftesicherung heißt: "Die Sicherung der Fachkräftebasis ist ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes. Deshalb ziehen wir alle Register damit Fachkräftesicherung in den nächsten Jahren gelingt." (265 ff.) Dann muss dies auch für Selbstständige gelten. Es muss ihnen einfacher gemacht werden, ihre dringend benötigten Leistungen für ihre Kunden zu erbringen, sie müssen endlich beim Thema Fachkräftemangel als Teil der Lösung mitgedacht werden.

Keine erfolgreiche Digitalisierung ohne Selbstständige

Ganz im Gegensatz zu Begriffen wie "selbstständig" und "Klima" kommt der Begriff "Digitalisierung" im Sondierungspapier sehr häufig vor: Das Infrastruktur-Sondervermögen soll auch in die Digitalisierung fließen (18 f., 65). Die "Chancen von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung" sollen stärker genutzt werden. "Dazu braucht es eine massive Aufstockung der Mittel für Forschung und Entwicklung." (162 ff.) Die Digitalisierung sei zudem "zentral für die Modernisierung des Staates – sie macht Verwaltung effizienter, transparenter und bürgerfreundlicher" (169 ff.). Speziell auch um "den gesamten Fachkräftegewinnungsprozess vereinfachen" und beschleunigen zu können, sei eine "umfassende Digitalisierung" notwendig. (301 ff.) Auch für den Schutz von Arbeitnehmerrechten (230 ff.), vor Desinformationen und Fakenews (396 ff.) ist Digitalisierungs-Know-how entscheidend. Das ist nebenbei gesagt auch einer der Gründe, warum es künftig ein eigenes Digitalisierungsministerium geben soll.

An dieser Stelle die Erinnerung: Selbstständige IT-Experten spielen eine Schlüsselrolle für die erfolgreiche Digitalisierung sowohl von Unternehmen als auch von staatlichen Organisationen. Damit sie Seite an Seite mit Angestellten und Beamten ihr oft hochspezifisches Fachwissen einbringen können, braucht es Rechtssicherheit für ihren Einsatz in agilen Projekten. Denn Digitalisierung ist nicht eine Frage allein oder vorrangig von Investitionen und Sondervermögen, auch die Höhe des Strompreises ist nicht entscheidend. ;-) Entscheidend ist die gelungene Zusammenarbeit von Menschen mit ganz unterschiedlichem Wissen.

Es bedarf dringend "einer Konkretisierung im Koalitionsvertrag"

Dr. Stephan Hofmeister, Präsident des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB) hat es in einem Statement zu den Ergebnissen der Sondierungsgespräche von Union und SPD so formuliert: 

"Der Mittelstand ist nicht Objekt von Unterstützung, er ist der Problemlöser und braucht vor allem eines: bessere Bedingungen für Selbstständigkeit. Selbstständigkeit in Deutschland muss dringend gestärkt werden, taucht im Sondierungsergebnis aber nur einmal im Zusammenhang mit der Alterssicherung auf. Um den Selbstständigen ein positives Signal zu senden und ihre entscheidende Rolle für unsere Wirtschaft und den Arbeitsmarkt anzuerkennen, bedarf es einer Konkretisierung im Koalitionsvertrag."

Genau so sehen wir es auch. Bei den Koalitionsverhandlungen müssen die Solo- und Kleinstselbstständigen, die 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland ausmachen und für acht Millionen Erwerbstätige stehen, eine deutlich größere Rolle spielen als bisher bei den Sondierungsgesprächen. Nur mit ihnen, nicht gegen sie können die nächsten vier Jahre zu einem Erfolg werden.

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