"Kaum Reserven, schlecht versichert, jetzt hilfebedürftig" - Unter diesem Titel hat Ursula Weidenfeld am Samstag eine Kolumne im Tagesspiegel veröffentlicht, über die sich zahlreiche Mitglieder bei uns beschwert (und vermutlich auch direkt an den Tagesspiegel geschrieben) haben. Direktes Feedback ist auch auf der Facebookseite der Autorin möglich.
Wir haben den Beitrag im Folgenden einem Faktencheck unterzogen und werden auch direkt auf Frau Dr. Weidenfeld zugehen. Sie ist für uns keine Unbekannte, sondern seit Mai 2017 stellvertretendes Kuratoriumsmitglied der Werner-Bonhoff-Stiftung, über deren Aktivitäten zum Thema Bürokratieabbau wir immer wieder berichten. Auch deshalb sind wir von diesem Beitrag sehr enttäuscht.
Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin, Kolumnistin und Moderatorin, wurde 2007 mit dem renommierten Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. Die Schwerpunkte Ihrer Arbeit liegen in der Analyse wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen. Bevor sie sich im Herbst 2009 selbstständig machte (!), war sie Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazins "Impulse" und stellvertretende Chefredakteurin des "Tagesspiegel".
"Nicht gegen Einkommensausfälle abgesichert"
Aussage: "Die meisten von ihnen [den drei Millionen Solo-Selbstständigen] haben sich nicht gegen Einkommensausfälle abgesichert."
Viele Solo-Selbstständige haben Betriebsschließungsversicherungen abgeschlossen, die aber im Pandemiefall bei staatlich auferlegten Betätigungsverboten meist nur anteilig leisten.
Statt dessen verweisen die Versicherungen die Selbstständigen auf das für analoge Fälle geschaffene Infektionsschutzgesetz und sehen den Staat in der Haftung. Das Infektionsschutzgesetz sieht eine Entschädigung in Höhe des Honorarausfalls und der weiterlaufenden betrieblichen Kosten vor. Die zuständigen Gesundheitsämter verweigern jedoch bisher entsprechende Leistungen.
Und auch die Arbeitslosenversicherung bietet keinen Schutz. Selbst wenn alle Solo-Selbstständigen freiwillig Mitglied in ihr wären, würde ihnen dies nicht helfen. Denn freiwillig versicherte Solo-Selbstständige erhalten kein Kurzarbeitergeld! Obwohl die versicherten Selbstständigen gleich hohe oder sogar höhere Beiträge wie Angestellte zahlen, werden sie in der Arbeitslosenversicherung auf vielfältige Art und Weise schlechter behandelt. Der fehlende Anspruch auf Kurzarbeitergeld ist hier nur eines von vielen Beispielen.
Und auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 hilft den betroffenen Selbstständigen in der Praxis oft nicht weiter, weil sie – um es zu erhalten – ihre selbstständige Tätigkeit auf weniger als 15 Stunden pro Woche reduzieren müssten. Das entspricht bei einem Ladengeschäft weniger als 2,5 Stunden Öffnungszeit pro Werktag. Wenn aber das Arbeitslosengeld 1 trotz Anspruchs nicht genutzt wird, schließt dies auch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld 2 aus.
"Nun mit Hartz IV auskommen"
Aussage: "Nun müssen viele mit Hartz IV, Betriebs- und Mietkostenzuschüssen auskommen."
Es wäre schön, wenn die Solo-Selbstständigen diese Hilfen bekämen und damit ihre Kosten decken könnten. Die Betriebskosten spielen bei dieser Zielgruppe jedoch eine untergeordnete Rolle. Bei zwei Dritteln betragen sie unter 1.000 Euro pro Monat, bei fast der Hälfte sogar unter 500 Euro.
Private Miete, Lebenshaltungskoten und Krankenversicherung machen den Hauptteil der monatlichen Kosten aus. Von den Solo-Selbstständigen, deren Einkommenseinbußen so hoch sind, dass sie ihre Miete etc. nicht mehr bezahlen können, nehmen nur 17 Prozent Grundsicherung in Anspruch. Die restlichen gut 80 Prozent müssen ihre Altersvorsorge aufbrauchen, weil die Vermögensgrenzen in Hinblick auf das Alter und die vorhandene Vorsorge der Betroffenen so niedrig angesetzt ist.
Es ist also gerade umgekehrt wie im Artikel dargestellt: Gerade weil sie (in der vom Gesetzgeber für sie vorgesehenen und von Verbraucherschützern empfohlenen Art und Weise) vorgesorgt haben, erhaltenen die meisten Selbstständigen keine Hilfe.
Die Soforthilfen wiederum sind Ende Mai ausgelaufen. Die geplanten Überbrückungshilfen sind so ausgestaltet, dass sich die Beantragung für einen Großteil der Solo-Selbstständigen nicht rechnet.
"Haben kaum Reserven gebildet"
Aussage: "Rund ein Drittel von ihnen verdienst sehr schlecht - Friseure wie Akademiker, Handelsvertreter wie Journalisten. Rund die Hälfte zahlt nicht in die Rentenversicherung ein, ... 50 Prozent haben ein Vermögen von über 50.000 Euro. Doch die anderen haben kaum Reserven gebildet. Sie leiden jetzt besonders."
Es wäre hilfreich, wenn bei solche Angaben eine Quelle angegeben würde.
Die maßgebliche Studie zur Altersvorsorge von Selbstständigen stammt von Karl Brenke (DIW, 2016) und hat den Titel: "Die allermeisten Selbstständigen betreiben Altersvorsorge oder haben Vermögen". Demnach zahlen 42 Prozent der Solo-Selbstständigen aktiv in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Von den übrigen 58 Prozent verfügen wiederum 58 Prozent über ein Immobilien-, Geld oder Anlagevermögen von mindestens 100.000 Euro.
Gerade diejenigen Berufsgruppen, die wie Künstler und Kulturschaffende besonders von der Krise betroffen sind oder die von der Autorin aufgezählten Journalisten sind über die Künstlersozialkasse schon jetzt pflichtversichert. Andere Selbstständige wie z.B. VHS-Lehrer, Kindertagespflegepersonen und Hebammen sind ebenfalls pflichtversichert, wobei sie anders als Künstler und Publizisten die Sozialversicherung ganz alleine tragen müssen.
Weil sie zugleich höhere gesetzliche Krankenversicherungsbeiträge (und damit insgesamt deutlich höhere Sozialversicherungsbeiträge) zahlen müssen als Angestellte und deren Arbeitgeber zusammen, können Selbstständige in diesen Berufen in der Tat nur schwer Rücklagen bilden.
Verantwortlich dafür ist nicht schlechtes Wirtschaften, sondern ihre aus der Schlechterbehandlung gegenüber Angestellten resultierende extrem hohen prozentuale Abgabelast in Verbindung mit unangemessen niedrigen Honoraren in diesem Bereich. Dabei sind ihre Auftraggeber in der Regel öffentliche Stellen bzw. legen öffentliche Stelle die Höhe der Vergütung fest.
"Diskussion (über Altersvorsorgepflicht) verweigert"
Aussage: "Statt aber gemeinsam einen Weg zu suchen, wie Unternehmer die eklatante Versorgungslücken eigenverantwortlich schließen können, haben sich die Selbstständigen dieser Diskussion in der Vergangenheit verweigert."
Der VGSD und die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) beteiligen sich seit Jahren konstruktiv an einem Dialog über eine Altersvorsorgepflicht. Mehr als 20 Berufsverbände tragen unser Positionspapier zu diesem Thema. Bereits 2012 haben wir dazu mehrere Gespräche mit der damaligen Arbeitsminsterin von der Leyen geführt, später dann mit Andrea Nahles und mit Hubertus Heil.
Auch mit der Deutschen Rentenversicherung und allen anderen wichtigen Stakeholdern haben wir konstruktive Gespräche geführt. Im Jahr 2019 waren wir im Bundesarbeitsministerium an vier Fachgesprächen zu je sechs Stunden Dauer beteiligt.
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