Kurz vor Weihnachten wurde VGSD-Mitglied Helena Dietrich endgültig vom Vorwurf des Subventionsbetrugs bei der Beantragung von Corona-Soforthilfen freigesprochen. Nun liegt die Urteilsbegründung vor. Sie nimmt in erfreulicher Weise die Lebenswelt von Selbstständigen in den Blick und liefert einen wichtigen Beitrag zur Abgrenzung von haupt- und nebenerwerblicher Selbstständigkeit.
Es war ein freudiges Weihnachtsfest für Familie Dietrich: Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf sprach Helena Dietrich am 14. Dezember 2022 endgültig vom Vorwurf des Subventionsbetrugs frei. Viele VGSD-Mitglieder haben sich mit den Dietrichs darüber gefreut, dass die Staatsanwaltschaft in der dritten Instanz wie schon in der zweiten mit ihren Vorwürfen abblitzte.
Einige Fragen, die in dem Prozess eine Rolle spielten, können auch für andere Selbstständige Bedeutung haben. Dadurch dass in dem Fall schon abschließend entschieden wurde (das OLG urteilte über die Revision der Staatsanwaltschaft nach einer Verurteilung in erster Instanz und einem Freispruch in der zweiten), könnte das Urteil wegweisend sein für andere strafrechtliche Fälle, die noch aufkommen könnten. In Bayern beispielsweise hat die Nachprüfung der Corona-Soforthilfe erst vor kurzem begonnen.
Seit wenigen Tagen liegt nun die Urteilsbegründung vor. Wir haben sie für euch unter die Lupe genommen und stellen sie Vereinsmitgliedern exklusiv zum Nachlesen zur Verfügung.
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Ein entscheidender Punkt im Verfahren gegen Helena Dietrich war, dass die Staatsanwaltschaft ihr vorwarf, ihre selbstständige Tätigkeit nicht im Haupterwerb ausgeübt zu haben. Nur für selbstständige Tätigkeit im Haupterwerb durfte jedoch Corona-Soforthilfe beantragt werden.
Wann also liegt eine selbstständige Tätigkeit im Haupterwerb vor? Wenn das erzielte Einkommen mehr als die Hälfte des persönlichen Einkommens ausmacht, sagte die Staatsanwaltschaft. Das sei das relevante Kriterium.
"Es handelt sich um eine Grundsatzentscheidung"
Dem hat das OLG Düsseldorf nun widersprochen. Wie schon das Landgericht (LG) Wuppertal geht es, ganz anders als die Staatsanwaltschaft, auf die tatsächliche Lebenswelt von Selbstständigen ein und nimmt das ganze Bild in den Blick. Es komme auch darauf an, wie viel Zeit und Geld die selbstständig tätige Person investiere und in welchem Stadium ihrer Selbstständigkeit sie sich befinde. "Selbst wenn anfängliche Gewinne nach dem Beginn einer selbstständigen Tätigkeit fehlen sollten, wäre dies durchaus üblich und nähme der gewerblichen Tätigkeit nach Ansicht des Senats nicht die Qualifizierung als Haupterwerbstätigkeit", heißt es auf Seite 7 des Urteils.
"Ein schematisches Abstellen auf den Gewinn ist nicht ausreichend für die Beurteilung, ob es sich um eine Haupterwerbstätigkeit handelt", sagt Rechtsanwalt Joshua Christmann von der Kanzlei Plan A, der Helena Dietrich vor dem LG und dem OLG verteidigte. "Aus meiner Sicht handelt es sich hier um eine Grundsatzentscheidung."
"Überdurchschnittlich hohe persönliche Belastung"
Zweifel hatte die Staatsanwaltschaft auch an der hohen Arbeitszeit von Helena Dietrich angemeldet. Da sie – um ein sicheres Einkommen zu haben – in einer befristeten Anstellung 39 Wochenstunden arbeitete, kam sie zusammen mit 47 Stunden Arbeit in den Kosmetikstudios auf eine Wochenarbeitszeit von 86 Stunden. Wie sie diese auf ihre Festanstellung montags bis freitags von morgens bis mittags, ihre Kosmetikstudios an Nachmittagen, Abenden und Wochenenden verteilte, erläutert das Urteil noch einmal ausführlich auf Seite 4. Auch hier ging das Gericht auf die besondere Situation von Selbstständigen ein: "Zutreffend deuten die Ausführungen des Landgerichts darauf hin, dass Jungunternehmer ebenso wie Berufsanfänger – jedenfalls zu Beginn ihrer Tätigkeit und für einen überschaubaren Zeitraum – bereit sind, überdurchschnittlich hohe persönliche Belastungen hinzunehmen."
Dass Helena Dietrich bei der Anmeldung ihres Gewerbes angegeben hatte, ihre Selbstständigkeit im Nebenberuf zu betreiben, spielte in der Revision keine Rolle mehr. Dies hatte schon das LG als eine vorläufige Angabe angesehen, die für die tatsächliche Beurteilung nicht entscheidend ist.
Ein harter Weg für eine alleinerziehende Mutter
In der Revision noch einmal Thema war, dass Helena Dietrich für ihr zweites Kosmetikstudio einen zweiten Antrag gestellt hatte. Dafür hatte sie zwar kein Geld bekommen, da der Antrag als Dublette eingestuft worden war. Da Subventionsbetrug aber allein schon durch falsche Angaben begangen wird, hätte ihr der Antrag dennoch zum Verhängnis werden können. Günstig für sie war, dass nicht sie selbst, sondern ihre Tochter bei der Handwerkskammer angerufen und dort den Rat bekommen hatte, den Antrag auf jeden Fall zu stellen. Damit konnte die Tochter als Zeugin aussagen, was eine stärkere Wirkung hatte, als es eine Aussage der Angeklagten selbst gehabt hätte.
In der Freude über den Freispruch sollte man nicht vergessen: Hinter der Familie Dietrich liegt ein harter Weg. Allein die Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft, dann eine Verurteilung in erster Instanz – nicht jeder Mensch steht so etwas durch. Helena Dietrich hatte das Glück, dass sie nicht alleine war und ihre eine ihrer beiden Töchter Jura studierte und ihr half, sich zu wehren. Trotz allem verloren sie ihr Vertrauen in den Rechtsstaat nicht – und bekamen am Ende, im doppelten Sinne, Recht.
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