Die Kaktusinitiative sieht keinen anderen Weg mehr: Am heutigen Dienstag hat sie über ihr Mitglied Jürgen Klaffke vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die IHK Stuttgart eingereicht. Die Initiative, in der sich kritische IHK-Mitglieder organisiert haben und die bei der letzten Wahl auf Anhieb 22 von 100 Sitzen der IHK-Vollversammlung erobert hat, möchte durchsetzen, dass auch von ihrer IHK ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.06.2015 umgesetzt wird.
In dem Urteil hatten die obersten deutschen Verwaltungsrichter festgestellt, dass zwei unter Demokratiegesichtspunkten problematische Regelungen bei IHK-Wahlen, nämlich das Wahlgruppenverfahren und die Kooptation zwar grundsätzlich zulässig sind, aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen.
Begriffe und Urteile kurz erkärt
Wahlgruppenverfahren: Die Mitgliedsunternehmen werden ihren Branchen entsprechend, bei großen IHKs zudem nach Regionen getrennt, in Wahlgruppen eingeteilt. In jeder Wahlgruppe steht eine bestimmte Zahl von Sitzen zur Wahl. Problem: Die Zahl der Sitze ist nicht proportional zur Anzahl der Mitgliedsunternehmen oder der abgegebenen Stimmen. Das Gleichheitsprinzip wird hier also außer Kraft gesetzt, die Stimmen haben ganz unterschiedliches Gewicht.
Kooptation: Zu- oder Ergänzungswahl - Die im Rahmen des Wahlgruppenverfahrens direkt gewählten Mitglieder wählen quasi als Wahlmänner eine Anzahl zusätzlicher Mitglieder hinzu. Traditionell waren das in der Region bedeutsame Personen, darunter häufig auch solche, die bei der eigentlichen Wahl nicht kandidierten oder dort keine ausreichende Stimmenzahl erhielten. Problem: Typischerweise entscheidet allein die Mehrheit der Vollversammlungsmitglieder über alle Hinzugewählten. Die Mehrheit kann damit nachträglich ihre Mehrheit weiter ausbauen. Das ist so, als wenn die schwarz-rote Koalition im Bundestag noch einmal Abgeordnete nachwählen könnte und zwar ausschließlich Mitglieder von Union und SPD.
Das Urteil von 1963: Die Richter verweisen in ihrer Begründung darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits 1963 geurteilt hat, eine Kooptation sei nur anhand objektiver Kriterien gerechtfertigt. „Sie müsse der Gewährleistung eines zutreffenden Bildes von der Struktur des Kammerbezirks und damit die Spiegelbildlichkeit der Vollversammlung dienen. Zulässig sei nur die Hinzuwahl von Vertretern bedeutsamer Wirtschaftszweige, die durch die unmittelbare Wahl noch nicht in der Vollversammlung vertreten seien, nicht die Hinzuwahl bedeutsamer Personen.
Das Urteil von 2015: Entscheide sich nun eine IHK für eine Kombination aus Wahlgruppenverfahren und Kooptation, so müsse die Wahlordnung Bestimmungen enthalten, die objektive Kriterien für die Auswahl der zugewählten Mitglieder vorgebe. Die Zuordnung der Sitze in der Vollversammlung zu Wahlgruppen müsse unter Einschluss der mittelbar hinzugewählten Mitglieder vorgenommen werden. (Links zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sowie zur dazu erschienenen Pressemitteilung)
Wahlordnung ist fehlerhaft - Zuwahl von Mitgliedern ist ungültig
Die Kooptation ist also keine „carte blanche“, mit der die Mehrheit der Vollversammlung willkürlich bekannte Persönlichkeiten hinzuwählen kann. Und damit gilt im Umkehrschluß: Wo die Wahlordnung nicht die im Urteil verlangten Bestimmungen enthält, müssen die Hinzugewählten ihre Mandate niederlegen.
Genau dies forderte die Kaktus-Initiative nun am 17.09.2015 in einem offnen Brief an IHK-Präsidenten Fichtner mit Frist bis zur Vollversammlung am 24.09.2015. Das hätte allerdings prominente Stuttgarter Unternehmer und Manager wie z.B. Ferdinand Piech betroffen.
Auf der Vollversammlung am 24.09.2015 verweigerte IHK-Präsident Fichner auf den Antrag der Kaktus-Initiative erneut, von den kooptierten Mitgiedern die Mandatsniederlegung zu fordern. Er erwiderte laut Kaktus-Initiative, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für die IHK Stuttgart keine Bedeutung habe. Das ist insofern überraschend, als die IHK Stuttgart dieselbe Musterwahlordnung des DIHK verwendet, welche die vom Bundesverwaltungsgericht gerügten Mängel enthält.
Chance der Klage stehen gut - trotzdem hätte man sie sich gerne gespart
Dass es auch anders geht, zeigen die Beispiele anderer Kammern: Die Kooptierten in der Vollversammlung der IHK Heilbronn, darunter sogar der Präsident, hatten die Konsequenzen aus dem Urteil des BVerwG gezogen und ihr Mandat niedergelegt.
Die Chancen der Kaktusinitiative bzw. von Jürgen Klaffke, der stellvertretend für die anderen Mitglieder klagt, stehen sehr gut. Trotzdem hätten die Stuttgarter gerne auf eine gerichtliche Auseinandersetzung verzichtet, die Zeit und Geld kostet – nicht zuletzt das Geld von IHK-Pflichtmitgliedern. Jürgen Klaffke kopfschüttelnd: „Als Körperschaft des öffentlichen Rechts und in ihrer Verantwortung für Wahrung und Anstand des ehrbaren Kaufmanns hätte ich von der IHK-Führung ein anderes Verhalten erwartet. Aber wenn es unbedingt eine Klage braucht, um zu zeigen, dass Rechtsprechung auf Bundesebene auch für die IHK Stuttgart gilt, dann machen wir das.“
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