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Lesetipp Unter der Lupe Was sonst Wichtiges im Koalitionsvertrag steht – und was darin fehlt

SFV-Reform, Altersvorsorgepflicht, Elterngeld und Mutterschutz sowie Steuervorteile für längeres Arbeiten haben wir separat unter die Lupe genommen, in diesem Beitrag berichten wir, welche weiteren wichtigen Punkte der Koalitionsvertrag für Selbstständige beinhaltet.

Ausschnitt: Mit der Lupe haben wir den gesamten Koalitionsvertrag nach für Selbstständige relevanten Regelungen durchsucht

Union und SPD wollen laut Koalitionsvertrag das Statusfeststellungsverfahren schneller, rechtssicherer und transparenter machen, und das zügig und wirksam, unter anderem durch eine Genehmigungsfiktion. Diese "werden" sie gemeinsam mit einer Altersvorsorgepflicht für Selbstständige einführen. Sie "wollen" den Mutterschutz für Selbstständige verbessern, eventuell finanziert durch eine zusätzliche Umlage sowie die Elterngeld-Bemessung flexibilisieren. Schließlich planen sie steuerliche Anreize für längeres Arbeiten – sowohl im Sinne von Überstunden als auch in der Rentenzeit. Fraglich ist aber, ob davon auch Selbstständige profitieren werden. Diese Vorhaben des Koalitionsvertrags haben wir jeweils in separaten Beiträgen analysiert.

Was steht sonst noch im Koalitionsvertrag, das speziell für Solo- und Kleinstunternehmer/innen von Interesse ist? Und was steht nicht oder nicht mehr darin?

Gewerbsteuer-Freibetrag

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Hoffnung hatte uns der folgende Satz im geleakten Ergebnispapier der AG 16 ("Finanzen") gemacht: "Zudem werden gewerbesteuerliche Freibeträge angehoben." Immer wieder haben wir darauf hingewiesen, dass der Gewerbesteuerfreibetrag seit mehr als 30 Jahren unverändert ist, was dazu führt, dass man als Gewerbetreibende/r inzwischen unter Umständen Steuern auf das Existenzminimum zahlen muss: Zwar keine Einkommensteuer, aber eben Gewerbesteuer, die mangels Einkommensteuer mit dieser nicht verrechnet werden kann.

Doch der Satz stand in blau im Ergebnispapier, stammte also von der Union und war noch "ungeeint". Im Koalitionsvertrag findet er sich nicht. Wir werden uns dadurch nicht entmutigen lassen und weiterhin diese unseres Erachtens verfassungswidrige Untätigkeit anprangern, gerade auch gegenüber Abgeordneten der SPD, die sich doch eigentlich gerade Erwerbstätigen mit niedrigem Einkommen verpflichtet fühlen sollten.

Corona-Hilfen zeitnah abschließen

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Unverändert aus dem Ergebnispapier der AG 2 ("Wirtschaft") in den Koalitionsvertrag haben es die beiden schon zuvor geeinten Sätze zu den Corona-Hilfen geschafft: "Wir werden die Überprüfungen der ausgezahlten Corona-Hilfen zeitnah abschließen, um Verwaltung und Wirtschaft zu entlasten. Dazu werden wir den Ländern ermöglichen, einen Schwellenwert festzulegen, unterhalb dessen Stichproben genügen." (Zeile 357 ff.)

Wessen Sofort- oder sonstige Coronahilfe bisher nicht geprüft wurde, wird insbesondere als Soloselbstständige/r also vielleicht gar nicht mehr geprüft werden. Die Hilfen stammen überwiegend aus dem Bundeshaushalt. Für Vergabe, Überprüfung und Rückforderung sind aber die Länder zuständig. Ihre Motivation noch viele weitere Jahre Verwaltungsaufwand zu treiben, um Gelder für den Bundeshaushalt zurückzuholen, dürfte sich in Grenzen halten.

Altersvorsorge-Depot

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Die Ampel hatte die Einführung eines Altersvorsorge-Depots bereits gut vorbereitet. Geplant war sie zunächst als Nachfolgeprodukt für die Riesterrente, auf unseren Protest hin wurde klargestellt, dass sie über die engen Grenzen der Riesterrente hinaus auch als Anlageprodukt für Selbstständige zur Verfügung stehen sollte.

Unter der Zwischenüberschrift "Riester-Rente" schreiben die Koalitionäre nun: "Wir werden die bisherige Riester-Rente in ein neues Vorsorgeprodukt überführen, von bürokratischen Hemmnissen befreien und mit dem Verzicht auf zwingende Garantien sowie der Reduzierung der Verwaltungs-, Produkt- und Abschlusskosten reformieren. Wir prüfen eine Ausweitung des Kreises der Förderberechtigten. Wir wollen dieses neue Produkt mit einer möglichst einfachen staatlichen Förderung für Bezieherinnen und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen begleiten. Kern der reformierten Riester-Rente wird ein Anlageprodukt sein, das es auch in Form eines Standardproduktes geben soll." (Zeile 1.535 ff.)

Das klingt nach einem geförderten Riester-Nachfolgeprodukt in Form eines Altersvorsorge-Depots oder staatlichen Fonds, eventuell mit Öffnung der Riesterrente für Selbstständige. Den Bedarf der Bestandsselbstständigen, die nicht der Altersvorsorgepflicht unterliegen werden und sich – auch als Lehre aus der Corona-Krise - diese insolvenzsichere Form der Altersvorsorge wünschen, um sie in sehr viel höherem Maße als Angestellte zu besparen, hat man bei Union und SPD möglicherseise bisher nicht erkannt. Wir werden sie an diesen wichtigen Anwendungsfall erinnern.

Honoraruntergrenze für Künstler bei Bundesförderungen

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Unter der Zwischenüberschrift "Verlässlicher Partner der Kultur" schreiben die Koalitionspartner: "Wir systematisieren die Förderung für die Freien Künste und berücksichtigen bei der Bundesförderung Mindestgagen und Honoraruntergrenzen." (Zeile 3.828 ff.) Bei vom Bund geförderten Kulturprojekten werden deren Organisatoren künftig also vermutlich auch die Honorarhöhe der beauftragten Künstler nachweisen müssen. Wir sind gespannt, ob das zu höheren Honoraren führt oder vor allem zu mehr Bürokratie. Grundsätzlich halten wir auskömmliche Honorare für zwingend notwendig und wünschen uns möglichst unbürokratische Prozesse, um diese sicherzustellen. 

Stabilisierung und Vereinfachung der Künstlersozialabgabe

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Nicht um die Künstler, sondern deren "Verwerter", also Auftraggeber, geht es bei der Künstlersozialabgabe (KSA). Sie ist auf die Betriebsausgaben für künstlerische und publizistische Leistungen abzuführen und finanziert zu 30 Prozent die Ausgaben der Künstlersozialversicherung (20 Prozent trägt der Staat, 50 Prozent die Versicherten). Aktuell beträgt die KSA 5,0 Prozent, lag aber auch schon bei unter vier und bei knapp sechs Prozent. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: 

"Unser Ziel ist die Stabilisierung des Abgabesatzes der Künstlersozialversicherung. Wir prüfen die Vereinfachung des Abgabeverfahrens, zum Beispiel durch Pauschalisierung. Die zunehmend digitale Verwertung von künstlerischen Werken muss der Künstlersozialabgabe unterliegen." (Zeile 638 ff.)

Erst das Flussdiagramm, dann das Gesetz

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Ein Schwerpunkt des Koalitionsvertrags ist der Bürokratieabbau. Aus der Vielzahl geplanter Maßnahmen greifen wir im Folgenden einige Highlights heraus. Unter der Zwischenüberschrift "Gute Gesetzgebung" heißt es (Hervorhebungen durch uns): 

"Unser Recht muss verständlich und digitaltauglich sein. Für uns gilt: Erst der Inhalt, dann die Paragrafen. Bereits in der Frühphase von Gesetzgebungsverfahren werden wir Praxischecks durchführen und Betroffene sowie Vollzugsexperten und -expertinnen aus Bund, Ländern und Kommunen mit angemessenen Fristen (in der Regel vier Wochen) beteiligen. Um den Wirkungsgrad von Gesetzen nachprüfbar zu machen, etablieren wir Erfolgsindikatoren, an deren Maßstab der spätere Gesetzesvollzug gemessen werden kann. Unsere Gesetzentwürfe enthalten eine Visualisierung von Organisationsstrukturen, Prozessabläufen und Wirkungsmodellen." (Zeile 1.866 ff)

Damit könnte nun etwas umgesetzt werden, was sich die CDU bereits vor der letzten, für sie gescheiterten Bundestagswahl (2021) vorgenommen hat und was wir unter der Überschrift "Erst das Flussdiagramm, dann das Gesetz" beschrieben haben. Auch die frühzeitige Beteiligung von Betroffenen und die Überprüfung des Gesetzesvollzugs anhand von Erfolgsindikatoren begrüßen wir ausdrücklich. Hier sehen wir auch die Bereitschaft, als Gesetzgeber von der Wirtschaft zu lernen.

Einführung eines Bürokratiemeldeportals

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Bei unserem Voting zu den wichtigsten politischen Anliegen und zuvor schon bei einer Sammlung der besten Vorschläge zum Bürokratieabbau bekam die Idee eines Bürokratie-Portals viel Unterstützung unserer Mitglieder. Die Idee war, einfach ermitteln zu können, welchen bürokratischen Pflichten man abhängig von Rechtsform, Umsatz Mitarbeiterzahl usw. unterliegt, eine Anleitung zu bekommen, wie man diese am schnellsten erfüllen kann und Updates, wenn sich Pflichten ändern oder neue hinzukommen.

Tatsächlich will die neue Koalition lediglich ein Bürokratiemeldeportal einführen: Unter der Überschrift "Wir identifizieren Bürokratie" (Zeile 1.964 ff.) schreibt sie: "Wir richten ein digitales Bürokratieportal ein, über das bürokratische Hemmnisse und Verbesserungsvorschläge mitgeteilt werden können." Dafür gibt es Vorbilder auf Landesebene, etwa in Hessen. Wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass den Betreibern des Portals die Verbesserungsideen nicht ausgehen und sie daran messen, wie viele Verbesserungen sie nicht nur sammeln, sondern auch tatsächlich umsetzen...

Beauftragte für alles, aber nicht für Solo-Selbstständige

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Vor zwei Jahren haben wir in einem Beitrag darauf aufmerksam gemacht, dass es mehr als 40 Beauftragte der Bundesregierung gibt, allerdings keinen für Solo- und Kleinstunternehmen. Einen solchen werden wir auch unter der neuen Regierung nicht bekommen. Allerdings hat sich diese im Rahmen ihrer Bürokratieabbau-Anstrengungen vorgenommen, mindestens zwanzig Beauftragten-Positionen zu streichen. Sie schreibt im Koalitionsvertrag: "Das ausgeuferte Beauftragtenwesen des Bundes reduzieren wir um rund 50 Prozent." (Zeile 1.816)

Statt einem oder einer Beauftragten für unsere Gruppe fordern wir schon längere Zeit ganz normale Beamte, die bei den für uns relevanten Ministerien, insbesondere aber auch im Bundeskanzleramt angesiedelt sind und auf unsere 90 Prozent der Unternehmen spezialisiert sind. Ihre erste Aufgabe sollte die Erarbeitung einer Strategie der Bundesregierung für Solo- und Kleinstunternehmen sein, deren ministeriumsübergreifende Umsetzung sie anschließend koordinieren.

Zentralisierung des Datenschutzes

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An mehreren Stellen des Koalitionsvertrags sind Maßnahmen zu finden, den Datenschutz vom Kopf auf die Füße zu stellen.  Unter der Zwischenüberschrift "Datenschutz entbürokratisieren" heißt es: 

"Wir reformieren die Datenschutzaufsicht und bündeln sie beim Bundesdatenschutzbeauftragten. (...) Auf europäischer Ebene wollen wir erreichen, dass nicht-kommerzielle Tätigkeiten (zum Beispiel in Vereinen), kleine und mittelständische Unternehmen und risikoarme Datenverarbeitungen (zum Beispiel Kundenlisten von Handwerkern) vom Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung ausgenommen werden. Im Interesse der Wirtschaft streben wir eine Bündelung der Zuständigkeiten und Kompetenzen bei der Bundesdatenschutzbeauftragten an. Sie soll dann Bundesbeauftragte für Datennutzung, Datenschutz und Informationsfreiheit sein." (Zeile 2.095 ff.)

Bisher wird der Datenschutz von Länderbehörden überwacht, die teils widersprüchliche Auffassungen über die Auslegung der entsprechenden Gesetze haben, so dass für bundesweit und erst Recht grenzüberschreitend Tätige erhebliche Rechtsunsicherheit besteht bzw. der Bürokratieaufwand unverhältnismäßig hoch ist. Wir begrüßen deshalb die geplante Zentralisierung des Datenschutzes und auch die geplanten Ausnahmen für kleine Unternehmen.

Keine Datenschutzbeauftragten in kleinen Unternehmen mehr?

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Im geleakten Ergebnispapier der AG 2 ("Wirtschaft") ist zu lesen, dass die Union noch einen Schritt weiter gehen wollte. Sie hatte gefordert: "Konkret werden wir die Verpflichtung zur Bestellung von Betriebsbeauftragten für Unternehmen unter 250 Mitarbeitern abschaffen, insbesondere den Datenschutzbeauftragten, den Abfallbeauftragten, Abscheidesachkundige, Asbestsachkundige, betriebliche Datenschutzbeauftragten, Emissionsbeauftragten, Entsorgungsverantwortlichen, Brandschutzbeauftragte, Gesundheitsschutzbeauftragte, Gefahrenschutzbeauftragte abschaffen."

Im Koalitionsvertrag steht nun jedoch lediglich: "Im Rahmen eines nationalen 'Sofortprogramms für den Bürokratierückbau' werden wir bis Ende des Jahres 2025, insbesondere mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen, Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abschaffen (...)." (Zeile 1.905)

Ob diese knappere Formulierung lediglich die ausführlichere obere Passage auf den Punkt bringt oder auch inhaltlich etwas anderes bedeutet, bleibt abzuwarten. Wir werden dem auf den Grund gehen.

Weitere Branchenausnahme bei Statusfeststellungsverfahren

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Mit dem Herrenberg-Urteil und seiner einseitigen Auslegung gefährden das Bundessozialgericht (BSG) und die Deutsche Rentenversicherung (DRV) die Funktionsweise des gesamten Bildungsbereichs und haben sich dementsprechend viele politisch einflussreiche Feinde gemacht. Die kurz vor dem Ampel-Aus noch mit Unions-Unterstützung beschlossene Übergangsregelung muss zudem erst noch unter Beweis stellen, dass sie für diesen Wirtschaftsbereich tatsächlich vorübergehend Sicherheit bringt.

Zuvor hatte es bereits eine andere Insellösung für die Poolärzte gegeben, die für die Verfügbarkeit von ärztlichen Bereitschaftsdiensten eine wichtige Rolle spielen. Die  aus einem eigenen Dialogprozess des BMAS resultierende, von uns beschriebene Regelung war aber offenbar so wenig praktikabel, dass es nun eine Bereichsausnahme für  Bereitschaftsärzte geben soll: 

"Wir schaffen eine gesetzliche Regelung, die die Sozialversicherungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten im Bereitschaftsdienst der Krankenversicherung ermöglicht und bringen Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform auf den Weg." (Zeile 3.412)

Wir freuen uns für die Bereitschaftsärzte, halten es aber unter dem Aspekt der Gleichbehandlung und Berufsfreiheit verfassungsrechtlich für ein Unding, dass immer wieder neue Ausnahmen für bestimmte Branchen geschaffen werden, statt das dysfunktionale Statusfeststellungsverfahren insgesamt zu reformieren. Wir hoffen dies wird unter der neuen Regierung nun zeitnah und wirksam angegangen.

Umsetzung der EU-Plattformrichtlinie

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Einig war man sich bezüglich der Nachunternehmerhaftung in der Logistikbranche: "Wir verbessern die Arbeitsbedingungen in der Kurier-, Express- und Paketdienstbranche. Die Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge hat sich hier bewährt. An diesen Regelungen orientieren wir uns für die Paketzustellung und führen eine vergleichbare Nachunternehmerhaftung ein." (Zeile 488 ff.)

Oft wird von Politikern und Journalisten selbstständige Plattformarbeit mit Ridern und Logistikdienstleistern gleichgesetzt, obwohl diese in Deutschland fast ausschließlich in Anstellung tätig sind. Tatsächlich betrifft die beschlossene EU-Plattform-Richtlinie zu einem großen Teil hochqualifizierte Selbstständige, die Plattformen als Marketinginstrument zur Kundengewinnung nutzen. Zur Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht, die nach Bildung der neuen Regierung relativ zeitnah erfolgen muss, steht nichts (mehr) im Koalitionsvertrag. Offenbar konnten sich die Koalitionspartner hierüber nicht einigen. Im geleakten Ergebnispapier der AG 5 ("Arbeit und Soziales") hatte die Union gefordert: "Die Umsetzung der EU-Plattform-Richtlinie erfolgt 1:1." Das heißt ohne weitere Verschärfungen, was für die Selbstständigen schlimm genug ist, weil wir von der Richtlinie zusätzliche Rechtsunsicherheit erwarten. 

SPD will strengere Umsetzung der Plattform-Richtlinie

Die SPD-Teilnehmer/innen der AG 5 (Arbeit und Soziales) hatten sich dagegen eine ehrgeizigere, sprich strengere Umsetzung gewünscht: "Wir setzen den Nationalen Aktionsplan gegen Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit und die EU-Plattform-Richtlinie ambitioniert um. Wir aktualisieren bis Ende 2026 den nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte." Da dazu nun nichts im Koalitionsvertrag geregelt ist und das Arbeits- und Sozialministerium von einer SPD-Ministerin bzw. einem SPD-Minister geführt werden wird, besteht die Gefahr, dass die Umsetzung noch über die Richtlinie hinausgeht und sich aus diesem Grund die Gefahr weiter erhöhen könnte, als scheinselbstständig klassifiziert zu werden. Dies macht eine schnelle und wirksame Reform des SFV noch wichtiger.

Gleich an mehreren Stellen kündigt der Koalitionsvertrag zudem eine Verstärkung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit an, z.B. in Zeile 526 ff. und gleichlautend in Zeile 1.519 ff.: "Wir stärken die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, um härter gegen diejenigen vorzugehen, die illegale Beschäftigung betreiben oder die schwarzarbeiten." Die FK Schwarzarbeit ist beim Zoll angesiedelt und ermittelt mit polizeiähnlichen Methoden auch beim Verdacht auf Scheinselbstständigkeit, denn aus ihrer Sicht ist auch diese Schwarzarbeit: Der Selbstständige mag zwar selbst für sein Alter vorsorgen, und dafür entsprechend gut bezahlt werden. Aber es müsste bei nachträglicher Feststellung einer abhängigen Beschäftigung ja eigentlich der Auftraggeber die Beiträge abgeführt haben, weshalb dieser in den Augen des Zolls Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen hat. Das ist einer der Gründe, warum es in solchen Fällen auch zu Gefängnisstrafen kommen kann, auch wenn keiner der Beteiligten von einer Scheinselbstständigkeit ausgehen konnte.

Noch eine weitere Diskriminierung von Selbstständigen

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Wir haben den Koalitionsvertrag ganz genau angeschaut, denn auch wo nicht von Selbstständigen die Rede ist, können wir sehr wohl betroffen sein. Zum Beispiel bei dem geplanten Familienbudget für "Alltagshelfer": 

"Wir wollen Familien helfen, den alltäglichen Spagat zwischen Kindererziehung, Arbeit, Haushalt, Pflege und auch Erholung besser bewältigen zu können. Deshalb prüfen wir ein jährliches Familienbudget für Alltagshelfer für Familien mit kleinen Kindern und/oder pflegebedürftigen Angehörigen mit kleinen und mittleren Einkommen, das wir digital zugänglich machen. Damit wollen wir sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei haushaltsnahen Dienstleistungen fördern. Das hilft auch im Kampf gegen Schwarzarbeit." (Zeile 408 ff.)

Hier wird ohne Not die Förderung auf Arbeitgeber und ihre Angestellten eingeschränkt und unterstellt, dass Selbstständigkeit mit der Gefahr von Schwarzarbeit verbunden wäre. Dabei wird der Staat ja sicherlich nur Leistungen erstatten, die in Rechnung gestellt wurden.

Die Handschrift der Gewerkschaften und anderer Lobbygruppen

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An vielen Stellen erkennt man im Koalitionsvertrag den Einfluss, den die Gewerkschaften auf einen Teil der Verhandler hatten. Tarifvertraglich organisierte Mitarbeiter sollen noch mehr Vorteile erhalten und Gewerkschaftsmitglieder sogar direkt bezuschusst werden: "Wir machen die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver." (Zeile 585)

Aber auch die Handwerker haben eine starke Lobby in der Koalition. So ist davon die Rede, dass "Mittelstand und Handwerk" der Rücken gestärkt werden soll (Zeile 38 f.). An anderer Stelle ist von "Mittelstand, Handwerk und Selbstständigen" die Rede (Zeile 328), als wären Handwerker nicht eine Untermenge der Selbstständigen. Wenige Zeilen später heißt es: "Wir unterstützen Betriebsübergaben und Existenzgründungen im Handwerk" (Zeile 348 f.) nachdem wenige Zeilen zuvor die Zahl von 125.000 Übergaben im Handwerk in den nächsten Jahren benannt wurde. Übergaben und das Fehlen von Nachfolger/innen ist aber auch in vielen anderen Wirtschaftsbereichen ein Problem.

Von Gründungen ist im Koalitionsvertrag am häufigsten im Kontext von Start-ups zu lesen: Von der weiblichen Form "Gründerinnen" ist sogar nur an einer Stelle, nämlich im folgenden Satz die Rede: "Frauen sind bei Start-up-Gründungen unterrepräsentiert. Deshalb wollen wir einen stärkeren Fokus auf ihre Unterstützung legen und spezielle Förderungen für Gründerinnen ausbauen." (131 ff.) Gemeint sind dabei schnell skalierende Start-ups. Wäre es nicht auch wichtig, den Frauenanteil bei ganz normalen Gründungen zu erhöhen und die Erwerbsbeteiligung von Frauen im Bereich der Selbstständigkeit zu fördern (oder zumindest nicht weiter zu benachteiligen), die viele Vorteile hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bietet? 

Ausführlich ist auf den ersten Seiten von Kapitel 1.1 "Wirtschaft, Industrie, Tourismus"  erst von Start-ups, dann von der Industrie, dann der Automobilindustrie usw. die Rede. Man gewinnt den Eindruck, dass sich die Aufmerksamkeit für einzelne Bevölkerungs- bzw. Erwerbstätigengruppen nicht an der Anzahl der Wähler oder an ihrer wirtschaftlichen Bedeutung orientiert, sondern an der Zahl der Mitarbeitenden in ihren Lobbyorganisationen.  Darauf werden wir die Verantwortlichen konsequent hinweisen.

Welche wichtigen Anliegen im Koalitionsvertrag fehlen

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Wenn man unser Voting zu den wichtigsten politischen Anliegen von Solo- und Kleinstunternehmen durchgeht, stößt man auf zahlreiche Punkte, die im Koalitionsvertrag fehlen. Wir beschränken uns im Folgenden auf die fünf aus unserer Sicht wichtigsten Lücken im Koalitionsvertrag: 

  1. Eine faire Beitragsbemessung für Selbstständige, die sich an dem orientiert was Arbeitgeber und -nehmer gemessen an ihrem Einkommen an Sozialabgaben abführen: Das ist die offensichtlichste Lücke im Koalitionsvertrag. Eine faire Beitragsberechnung ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Einführung der geplanten Altersvorsorgepflicht für Selbstständige. Wir werden sie deshalb in diesem Kontext immer wieder einfordern.
  2. Das Altersvorsorge-Depot als insolvenzsichere Form der Altersvorsorge für Bestandsselbstständige. Wir werden – wie oben schon erwähnt - darauf hinwirken, dass dieser Aspekt des AV-Depots bei den Verhandlungen über ein Riester-Nachfolgeprodukt verstanden wird, so wie uns das bereits bei der Ampel gelungen ist.
  3. Die Entwicklung einer Strategie für Solo- und Kleinstunternehmen und die Bestellung von Beamten speziell für "unsere" 90 Prozent der Unternehmen, möglichst im Bundeskanzleramt. Auf diesen Punkt werden wir in den nächsten Wochen besonders insistieren. Denn jetzt ist die Zeit, um solche Zuständigkeiten einzurichten.
  4. Respekt und ein positives Narrativ von Gründung und Selbstständigkeit ist ein weiteres wichtiges Anliegen, das wir im Koalitionsvertrag vermissen. Hier werden wir negative, abwertende Äußerungen in Zukunft noch stärker anprangern.
  5. Der seit über 30 Jahren unveränderte Gewerbesteuerfreibetrag muss endlich angepasst werden und die Abgrenzung von Gewerbe und Freiberuflern vereinfacht und rechtssicherer gestaltet werden. Ein wenig Hoffnung macht hier der Satz "Im Falle einer Weiterentwicklung der Gewerbesteuer sichern wir die Einnahmen der Kommunen" (Zeile 3.632 f.).

Gibt es aus deiner Sicht weitere wichtige Punkte, die im Koalitionsvertrag (nicht) geregelt sind? Welchen Eindruck hast du insgesamt vom Koalitionsvertrag? Wie siehst du die Chancen, dass die geplanten Änderungen zeitnah umgesetzt werden? Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion!

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