Sozialbeiträge verschlingen Einkommen, Altersvorsorge wird unmöglich: Für viele teilzeitselbstständige Frauen lohnt sich das Arbeiten nicht. Der VGSD hat mit Betroffenen gesprochen.
Ilka K. könnte eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen, berechtigt wäre sie dazu. Doch Ilka K. will arbeiten, denn sie liebt ihre Arbeit und sieht einen wichtigen Sinn darin. Die Mutter eines Sohnes ist ausgebildete Lehrerin und Sonderpädagogin, gibt Kurse zur Burnout-Prävention für pädagogische Fachkräfte an Schulen und in Kitas mit dem Ziel, die Resilienz zu erhöhen und den Krankenstand zu verringern. Zwar kann sie aus gesundheitlichen Gründen nur wenige Stunden arbeiten und bietet deshalb selbst keine eigenen Seminare mehr an. Sie bildet aber mehr als fünfzig andere Selbstständige aus und vermittelt diese, um ihre Arbeit weiterzuführen. Diese Arbeit ist sogar preisgekrönt, dazu gleich mehr.
Krankenkassenbeiträge auch aufs Ersparte
Wie Ilka K. geht es vielen Frauen: Selbstständige Frauen, die sich neben ihrem Unternehmen um ihre Kinder oder die Pflege ihrer Eltern kümmern möchten, können in der Regel nur in Teilzeit arbeiten. Für viele ist eine Selbstständigkeit die einzige Möglichkeit, die zeitlichen Anforderungen von Berufstätigkeit und Familie miteinander zu vereinen. Teilzeit-Selbstständige unterliegen jedoch exorbitanten Sozialabgaben, insbesondere wenn sie freiwillig in der GKV versichert sind. Denn sie müssen nicht nur hohe Mindestbeiträge zahlen, weil diese auf ein fiktives Einkommen von knapp 1.178 Euro berechnet werden, auch wenn sie in Teilzeit deutlich weniger verdienen.
Zusätzlich müssen sie – im Gegensatz zu Angestellten – auch Beiträge auf Einkünfte aus Kapitalvermögen und Mieten entrichten. Das ist besonders ungerecht, weil Selbstständige für ihre Altersvorsorge neben dem Arbeitnehmer- auch für den Arbeitgeberbeitrag aufkommen müssen und typischerweise privat vorsorgen. Durch die Pflicht zur Verbeitragung dieser Einkünfte wird die Rendite ihrer mühsam aufgebauten Altersvorsorge abgeschmolzen und unter die Inflationsrate gedrückt.
Im Extremfall: 70 Prozent Beiträge
Selbstständige Frauen mit privat versicherten Ehemännern müssen außerdem zusätzlich GKV-Beiträge für das Einkommen ihres Partners zahlen, auch wenn sie selbst deutlich weniger verdienen als dieser. Dies ist keine seltene Konstellation. Sie kann dazu führen, dass den betroffenen Frauen kaum etwas von ihrem Einkommen übrigbleibt. So muss eine Selbstständige mit einem Teilzeit-Einkommen von 600 Euro nach der Geburt des ersten Kindes, deren privat versicherter Mann 4.500 Euro verdient, etwa 70 Prozent ihres Einkommens (430 Euro) nur für Kranken- und Pflegeversicherung bezahlen – ihre angestellte Kollegin, die ebenfalls einen privat versicherten Mann mit diesem Einkommen hat, zahlt nur knapp 60 Euro monatlich. Der Aufbau einer Altersvorsorge ist für die Selbstständige unter diesen Rahmenbedingungen praktisch unmöglich.
Ilka K.s kleines Unternehmen wirft für sie selbst nur einen monatlichen Gewinn von 1.100 Euro ab – davon gehen knapp vierzig Prozent für Beiträge an die Krankenkasse, Pflegeversicherung und Rentenversicherung ab. Außerdem muss sie Beiträge für 600 Euro Mieteinkünfte aus einer Eigentumswohnung zahlen, die ihre Altersvorsorge ist. Aus dem laufenden Einkommen zusätzlich etwas zurückzulegen, ist für sie nicht möglich.
Arbeiten lohnt sich nicht
Das gilt auch für Denise B. Die Mutter von 3 Kindern zwischen drei und zehn Jahren zahlt trotz ihres niedrigen Teilzeit-Einkommens etwa 50 Prozent ihres Gewinns für Sozialabgaben (GKV, RV), hinzu kommen weitere Kosten, beispielsweise die Berufsunfähigkeitsversicherung. Denise ist ausgebildete Sprachwissenschaftlerin, kommt ursprünglich aus der Export-Branche, bietet Übersetzungsdienstleistungen für mittelständische Unternehmen an und betreibt einen Relocation-Service für ausländische Fachkräfte, um diese bei ihrer Integration in Deutschland zu unterstützen.
Ein Herzensanliegen sind Denise ihre Deutschkurse für Kinder mit Migrationshintergrund in der kommunalen Kita, damit die Kinder bis zur Grundschule sprachsicher sind. Sie hat sich vor sieben Jahren selbstständig gemacht, weil ihr kein Arbeitgeber Arbeitszeiten bieten konnte, die mit einer Familie vereinbar gewesen wären. Sie kann nur Teilzeit arbeiten, weil die Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder fehlen und beispielsweise die Grundschule keine Nachmittagsbetreuung anbietet. Ihr Mann wäre bereit, auch in Teilzeit zu gehen und die Care-Arbeit aufzuteilen. Da die Familie jedoch ein Haus abbezahlt, ist das finanzielle Risiko zu groß, denn die Einnahmen sind bei einer Selbstständigkeit Schwankungen unterworfen. Denise liebt ihre Arbeit, die sie als sehr sinnvoll empfindet, aber hat das Gefühl, dass sie sich nur noch für die Sozialkassen aufreibt. Zum Ende des Jahres wird sie deshalb ihre Selbstständigkeit einstellen und zu Hause bleiben. Es lohnt sich finanziell nicht mehr.
Finanzielle Diskriminierung Selbstständiger gefährdet gesellschaftlichen Konsens
Die hohe Beitragsbelastung wird von vielen Selbstständigen zunehmend als unerträgliche Ungerechtigkeit und Bedrohung für ihre wirtschaftliche Existenz empfunden. Die von den zuständigen Behörden – darunter dem BMG – mantramäßig vorgetragen Behauptung, Selbstständige würden entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit verbeitragt, geht insbesondere für Teilzeit-Selbstständige vollkommen an der Realität vorbei. Horizontale Beitragsgerechtigkeit erfordert gleiche Beitragsbelastung für gleiche Einkommen – ein Grundsatz, der zwischen Angestellten und Selbstständigen systematisch verletzt wird.
Waltraud K.* ist Physiotherapeutin und Mutter von drei Söhnen, die in kurzen zeitlichen Abständen geboren wurden. Sie wollte immer eine große Familie und hat sich bewusst für diesen Beruf entschieden, in dem sie auch stundenweise arbeiten kann. Aber sie hat in ihrer Planung nicht die Beitragsbemessung der GKV berücksichtigt, bei der sie freiwillig versichert ist. Als sie nach der Elternzeit des dritten Kindes eine Auszeit für die Familie benötigt und notgedrungen ihre Anstellung kündigt, muss sie plötzlich den maximalen Krankenkassenbeitrag in Höhe von mehreren hundert Euro zahlen, obwohl sie selbst gar nichts mehr verdient. Denn ihr Mann, der das Haupteinkommen verdient, ist privat versichert.
Auch Waltraud K. bleibt zu Hause
Waltraud versteht voller Frustration: Erst wenn sie mehr als die Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze (aktuell monatlich 5.175 Euro) verdient, muss sie nicht mehr Beiträge für das Einkommen ihres Mannes zahlen und ihre eigene Arbeit wird sich finanziell lohnen. Kaum zu schaffen mit drei kleinen Kindern. Ihre Konsequenz: Sie bleibt zu Hause bei der Familie.
Auf ähnliche Erfahrungen kann auch die kurz vor der Rente stehende Physiotherapeutin Annette D. verweisen. Sie pflegt ihre Mutter und muss mit ihrem Teilzeit-Einkommen ebenfalls Beiträge für das Einkommen ihres privat versicherten Ehemannes zahlen. Die als Altersvorsorge gedachte kapitalgebundene Lebensversicherung brachte anstatt den erhofften 60.000 nur 20.000 Euro zur Auszahlung – auf diese muss sie nun auch noch Krankenkassenbeiträge zahlen.
Verhängnisvolles Statusfeststellungsverfahren
Existenzgefährdend jedoch ist für sie das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung, das sie vor einigen Jahren in den Verdacht der Scheinselbstständigkeit geraten ließ. Annette D. hatte eigentlich das Ziel zu arbeiten, bis sie siebzig Jahre alt ist – gesundheits- und arbeitsmarktpolitisch ein Glücksfall angesichts langer Wartelisten für Physiotherapie-Patienten. Ihr Fall ist seit zwei Jahren unentschieden und lähmt ihre Motivation und ihr Vertrauen in den Rechtsstaat. Wie es weiter geht, weiß sie nicht.
Die Krankenkasse will vom Innovationspreis was abhaben
Die betroffenen Frauen können nicht nachvollziehen, dass ihre Freunde und Freundinnen als Angestellte vollkommen anders behandelt werden. Manche von diesen verfügen über ein Nettoeinkommen von 4.000 bis 5.000 Euro und als zusätzliche Altersvorsorge über mehrere Eigentumswohnungen, müssen jedoch für die Mieteinkünfte im Gegensatz zu ihnen keine Beiträge zahlen – und auch nicht für ihre ausbezahlte Lebensversicherung. Diese Rahmenbedingungen verletzen das Gerechtigkeitsempfinden und untergraben das Vertrauen in den Staat.
Dabei erkennt bisweilen sogar der Staat selbst, wie wichtig die Leistungen dieser Frauen sind. Ilka K.s Arbeit wird als so wichtig erachtet, dass der Senat der Stadt Berlin ihr einen Innovationspreis in Höhe von etwas über 100.000 Euro verleiht, der überwiegend in Investitionen für die IT-Infrastruktur ihres Unternehmens zur Anbindung mit den kommunalen Kunden fließen soll. Eine große Chance für ihr kleines Unternehmen. Doch nun meldet sich die Krankenkasse und möchte auch noch an ihrem Erfolg teilhaben: 12.000 Euro muss sie von dem Preisgeld an die Krankenkasse abtreten, die nun nicht mehr für geplante Investitionen zur Verfügung stehen.
Arbeitsmarktpolitisches Desaster
Angesichts der demografischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird buchstäblich jede Arbeitskraft gebraucht. Nach einer aktuellen Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung wird die Zahl der Arbeitskräfte bis 2040 von derzeit 46,4 Mio. um knapp 10 Prozent auf 41,9 Mio. zurückgehen – bis 2060 sogar um 25 Prozent auf 35 Mio. Jährlich müssten daher 288.000 zusätzliche Arbeitskräfte die entstehende Lücke auffüllen.
Ein prioritäres Ziel der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik muss es in dieser Situation sein, das inländische Arbeitskräftepotenzial zu aktivieren und die Arbeitsmarktbeteiligung auch der Frauen zu erhöhen. Stattdessen werden selbstständige Frauen durch die hohe Abgabenbelastung aus der Erwerbstätigkeit gedrängt. Die fehlende Rechtssicherheit beim Statusfeststellungsverfahren lässt nicht nur teilzeitselbstständige Frauen aufgeben, sondern führt dazu, dass etwa die Hälfte betroffener Selbstständiger über eine Abwanderung ins Ausland oder die Beendigung der Selbstständigkeit nachdenkt. Der VGSD hat einfach umzusetzende Lösungen für eine faire Beitragsbemessung entwickelt und ist in ständigem Austausch mit Fachpolitiker/Innen und Ministerien zu diesem Thema.
Kennt ihr ähnliche Geschichten?
Ohne ihren Mann könnte sie finanziell gar nicht überleben, sagt Ilka K. und zieht jetzt in Erwägung, doch aufzuhören und auf die Erwerbsunfähigkeitsrente zurückzugreifen, denn: "Auch dann bleiben mir etwa 750 Euro monatlich, genauso viel wie bei meiner Selbstständigkeit."
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