Neues Ungemach für Selbstständige kommt oft wie der Wolf im Schafspelz, also unter einem Deckmantel daher. So ist es auch geschehen mit dem „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“, das im Juli in Kraft getreten ist. Vordergründig will der Bund damit schärfer gegen illegale Beschäftigung, Menschenhandel und Kindergeldmissbrauch vorgehen. So weit, so gut.
Doch mit dem Gesetz hat sich der Bund jetzt auch seine bislang schärfste „Waffe“ im Kampf gegen (vermutete) Scheinselbstständigkeit verschafft: Alle Selbstständigen stehen jetzt de facto unter einem Pauschalverdacht, ihre Geschäftsräume dürfen von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls und ihrer unterstützenden Stellen betreten, Unterlagen kontrolliert werden. Jederzeit! Zudem können jetzt auch Selbstständige für ihre „Subunternehmer“ in Mithaftung genommen werden. Es ist ein Katalog von möglichen Maßnahmen, der weitreichend in die Arbeit von Selbstständigen eingreift.
Der Bundestag hatte am 6. Juni 2019 in namentlicher Abstimmung das „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“ mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD angenommen; FDP und Grüne enthielten sich, die Linke stimmte dagegen. Nachdem auch der Bundesrat am 28. Juni sein Plazet gab, ist das Gesetz seit 18. Juli 2019 in Kraft.
FKS hat jetzt eine zentrale Prüfungs- und Ermittlungsbefugnis bei einem „Verdacht auf Scheinselbstständigkeit“
Dieses sogenannte Artikelgesetz hat über ein Dutzend Gesetze angepasst, die vor allem dem Zoll und seiner Einheit „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) deutlich erweiterte Befugnisse geben, um gegen illegale Beschäftigung, Tagelöhnerbörsen, „Arbeitsstriche“ und Menschenhandel oder den unberechtigten Bezug von Kindergeld vorgehen zu können.
Einen Geamtüberblick aller mit diesem Artikelgesetz tangierten Themen gibt das Bundesfinanzministerium in seinem Monatsbericht vom Juni 2019. Die meisten Verschärfungen haben ihren Niederschlag im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) gefunden.
Weit mehr noch: Die FKS hat jetzt eine zentrale Prüfungs- und Ermittlungsbefugnis bei einem „Verdacht auf Scheinselbstständigkeit“, das war ein erklärtes Ziel der Bundesregierung, wie sie selbst in ihrer Begründung ausgeführt hat.
Geschäftsräume dürfen betreten, Unterlagen in Augenschein genommen werden
So dürfen Behörden der Zollverwaltung jetzt „Geschäftsräume, mit Ausnahme von Wohnungen“ auch von Selbstständigen betreten, dort Auskünfte einholen und Einsicht in Unterlagen nehmen, „von denen anzunehmen ist, dass aus ihnen Umfang, Art oder Dauer (…) ihrer tatsächlichen oder scheinbaren Tätigkeiten hervorgehen oder abgeleitet werden können.“
Nachzulesen ist dies im §3 Absatz 1 des novellierten Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG). Zeitlich bezieht sich dieses Recht auf die „Arbeitszeiten“ der in den Räumen tätigen Personen – da Selbstständige keine 9to5-Arbeitszeitem haben, also theoretisch rund um die Uhr.
Dieses Betretungsrecht galt zuvor nur für die Geschäftsräume von Arbeitgebern und die Auftraggeber von Selbstständigen – das verschärfte Gesetz hat es auf die Geschäftsräume der Selbstständigen ausgeweitet.
Unklar ist hier, ob die FKS auch ein Betretungsrecht für ein „Office at Home“ hat, wenn der Selbstständige also seinen Geschäftsraum innerhalb seiner Wohnung hat, wenn sein Büro nur durch Wohnungszimmer betretbar ist.
"Sippenverdacht" bei Bürogemeinschaften und Coworking Spaces?
Ungemach könnte unter Umständen jenen Freelancern drohen, die sich ein Büro teilen, in einer Bürogemeinschaft oder einem WorkSpace arbeiten: Denn der Zoll darf von allen Personen, „die in den Geschäftsräumen (...) tätig sind“ Auskünfte über ihre Beschäftigungsverhältnisse einholen; auch dies ermöglicht das SchwarzArbG in §3 Absatz 1. Das heißt: Teilt sich eine Webdesignerin ein Büro mit einem Fotografen, klingelt der Zoll wegen der Designerin, dann darf der Zoll auch gleich noch den Fotografen kontrollieren und Einsicht in seine Unterlagen nehmen.
Apropos Einsichtsrecht: Die gesetzliche Formulierung dazu ist so weit gefasst, dass davon nicht nur Angebote, Aufträge und Ausgangsrechnungen, sondern sämtliche Geschäftsunterlagen betroffen sein könnten, wie auch Anwälte beklagen (siehe unten).
Eine Einsichtnahme heißt aber (noch) nicht Beschlagnahme: Für eine solche müsste der Zoll einen Beschlagnahmebeschluss beantragen.
Widersprüchliche Gesetzeslage
Für Selbstständige könnten damit weitreichende Fragen tangiert sein, zumal erst am 26. April 2019 das „Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen“ in Kraft getreten ist, das von Unternehmen angemessene Schutzmaßnahmen fordert.
Und durchaus pikant ist, dass der Zoll als Teil der Bundesverwaltung umfangreiche Einsichtnahme bei Selbstständigen nehmen kann, während die Bundesregierung selbst Bundestagsabgeordneten schon öfters die Einsichtnahme in von ihr mit Unternehmen abgeschlossenen Verträge verweigert hat – mit dem Hinweis auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen (z.B. als es um den Mautbetreibervertrag ging).
Betretungs- und Einsichtsrecht bei Selbstständigen auch für 20 weitere Stellen, darunter die Rentenversicherung
Das Betretungs- und Einsichtsrecht gilt nicht nur für Behörden der Zollverwaltung, sondern auch für alle den Zoll „unterstützenden Stellen“, sofern es sich um eine Prüfung nach SchwarzArbG § 2 Absatz 1 handelt. Das Gesetz listet dazu in §2 Absatz 4 ganze 20 Stellen auf, darunter nicht nur die Finanz- oder Polizeivollzugsbehörden, sondern auch die
- Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen
- Einzugsstellen nach § 28i des Vierten Buches Sozialgesetzbuch [das sind die Krankenkassen],
- Träger der Rentenversicherung
- Träger der Unfallversicherung
und viele weitere.
Diese Stellen hatten zwar bereits zuvor ein Betretungs- und Einsichtsrecht – aber eben auch hier nur für die Geschäftsräume von Arbeitgebern und Auftraggebern – jetzt dürfen sie auch die im Gesetz explizit genannten „Selbstständigen“ aufsuchen.
Unklar, welche Anhaltspunkte und Indizien Betretung ermöglichen
Der Gesetzgeber lässt die Selbstständigen im Unklaren darüber, aufgrund welcher Anhaltspunkte, welcher Indizien die FKS klingeln und den Geschäftsraum betreten, Unterlagen sichten darf. Umgangssprachlich gesagt: Der Zoll darf jetzt jederzeit alle Selbstständigen „prüfen“ –mithin könn(t)en alle Selbstständigen unter einem Pauschalverdacht stehen.
Selbstständige befinden sich hier zudem durchaus in einer Zwitterrolle: Sie können unmittelbar von der FKS geprüft werden (mit einer anschließenden Prüfung bei ihrem Auftraggeber), ebenso könnte erst ihr Auftraggeber, dann sie selbst geprüft werden.
Folgen für die Arbeit in Netzwerken
Und alle Freelancer, die in einem Netzwerk mit Kollegen zusammenarbeiten, um etwa gemeinsam einen größeren Auftrag akquirieren und bearbeiten zu können, sollten vorsorglich alle ihre diesbezüglichen geschäftlichen Vertragsbeziehungen sauber checken. Vergibt etwa eine PR-Beraterin im Rahmen eines gemeinsamen Projekts einen Auftrag an einen Web-Designer, dann könnte der Zoll auf die Idee kommen, der Web-Designer sei eventuell schein-selbstständig, und den Fall prüfen.
Zugegeben: Das sind noch theoretische Fragen und Szenarien, das Gesetz ist erst seit wenigen Wochen in Kraft. Doch entscheidend ist, was de jure jetzt möglich ist.
Mehr als 100.000 Prüfungen jährlich geplant
Wie oft wird die FKS aber real dem Verdacht auf eine Seheinselbstständigkeit nachgehen? Einen, wenn auch nicht sehr klaren Anhaltspunkt geben die Ausführungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (siehe dort auf Seite 36). Demnach geht die Bundesregierung von jährlich 106.000 Fällen aus, in denen der Zoll einen „Sozialleistungsbetrug durch Scheinarbeit und vorgetäuschte Selbstständigkeit“ prüfen wird. Wie viele Fälle davon Selbstständige betreffen, lässt sich daraus nicht ableiten – gleichwohl dürften es nicht wenige sein.
Zu nennen wäre da auch noch, dass die Befugnisse des Zolls zum automatisierten Datenaustausch mit anderen Stellen (etwa der DRV) deutlich erweitert worden sind. Für eine Fallprüfung muss die FKS also nicht erst auf die Büroklingel des Selbstständigen drücken. Vielleicht noch am Rande zu erwähnen: Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ist damit ebenfalls weiter eingeschränkt worden.
Onlinebörsen im Visier
Zudem soll die FKS künftig verschärft Fälle prüfen, „bei denen Dienst- oder Werkleistungen noch nicht erbracht wurden, sich aber bereits anbahnen“, wie es in der Begründung zum Gesetzentwurf heißt (siehe Link oben). In seinen Blick nehmen könnte der Zoll nicht nur die ohnehin im Visier stehenden „Tagelöhnerbörsen“ im Netz (Stichwort: Schwarzarbeit), sondern auch Freelancer-Börsen, auf denen Selbstständige ihre (freien) Arbeitskapazitäten anzeigen.
Dem Zoll ist es also möglich, sich bereits in die Projektvermittlung einzuklinken und eine Scheinselbstständigkeit zu prüfen.
Selbständige haften für ihre Subunternehmer
Auch mehr Bürokratie kommt auf Selbstständige zu: Wenn sie Dienst- oder Werkleistungen „in erheblichem Umfang“ von „eine oder mehreren Personen“ ausführen lassen, haften sie mit, wenn diese Dritten gewisse Anmeldungen oder Eintragungen nicht vorgenommen haben. Ein Bußgeld kann bereits bei fahrlässiger Unkenntnis drohen (§8 Absatz 1). Selbstständige sollten also Kenntnis über die „Anzeige vom Beginn des selbstständigen Betriebes eines stehenden Gewerbes“ der Auftragnehmer haben, sprich ob diese ihr Gewerbe angemeldet haben.
Was unter „erheblicher Umfang“ zu verstehen ist, darüber schweigt sich das SchwarzArbG aus – es dürfte somit der Interpretation des Zolls überlassen bleiben.
Betroffen sind auch selbstständige Event-Manager, die mit fahrenden Gewerben wie Schaustellern zusammenarbeiten: Können diese keine Reisegewerbekarte vorlegen, handelt auch der beauftragende Selbstständige ordnungswidrig.
Handwerkskarte bzw. Reisegewerbekarte vorlegen lassen
Und bei Aufträgen an zulassungspflichtige Handwerker sollten Selbstständige prüfen, ob diese in die Handwerksrolle eingetragen sind – ansonsten droht auch hier ein Bußgeld. Und das betrifft nicht nur freiberufliche Architekten, die mit Maurern oder Zimmerern zusammenarbeiten: Laut Handwerksordnung (HwO) gehört zu den zulassungspflichtigen Berufen auch der „Informationstechniker“. Wer als Selbstständige/r einen solchen mit der Wartung der IT beauftragt, sollte vorher prüfen, ob der Techniker in die Rolle eingetragen ist.
Die Nichtanmeldung bzw. Eintragung waren auch schon zuvor Ordnungswidrigkeiten – neu ist jedoch, dass alle Auftraggeber in die Mithaftung genommen werden. Somit haften jetzt auch Selbstständige für ihre „Subunternehmer“.
Gleiches gilt in umgekehrter Richtung: Die Auftraggeber von gewerblichen oder handwerklichen Selbstständigen dürften sich künftig vor Auftragsvergabe genauer nach deren Anmeldungen und Eintragungen erkundigen.
Deutlich mehr Personal für die FKS
Zusätzliche Befugnisse bedürfen zusätzlichen Personals: Die aktuelle Finanzplanung des Bundes sieht vor, die FKS bis zum Jahr 2026 von heute rund 7.900 auf dann mehr als 10.000 Stellen aufzustocken. Zudem sollen wegen der neuen Aufgaben perspektivisch weitere 3.500 FKS-Stellen geschaffen werden – gegenüber heute wäre dies dann fast eine Verdoppelung der Stellen.
Selbstständige sind originär betroffen – wurden aber nicht gefragt
Zur Jahreswende hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) die Verbändeanhörung für den Gesetzesentwurf durchgeführt, sie erfolgte „auf Grundlage der angenommenen Betroffenheit vom Inhalt des Referentenentwurfs. Die betroffenen Verbände wurden beteiligt“, schreibt die Bundesregierung forsch in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 10. Mai 2019.
Nimmt man die Bundesregierung beim Wort, dürften Selbstständige vom Gesetz also gar nicht betroffen sein, obwohl die Bekämpfung (vermuteter) Scheinselbstständigkeit ein zentrales Anliegen des Gesetzes ist – natürlich ist dies eine schelmenhafte Interpretation. Weder der VGSD noch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Selbstständigenverbände (BAGSV) wurden um ihre Einschätzung des Gesetzes gebeten.
So verwundert es nicht, dass unter den 18 Stellungnahmen von Verbänden der Bauindustrie, des Handwerks, von Gewerkschaften und Sozialorganisationen nur die vom Deutschen Anwaltsverein (DAV) auf die möglichen Kollateralschäden für (echte) Selbstständige eingeht, die der Zoll zu Unrecht der Scheinselbstständigkeit verdächtigt.
Nein, nicht ganz: Der dbb beamtenbund meint, dass „eine Eindämmung (…) der Scheinselbstständigkeit auch einen wirksamen Beitrag zur Verhinderung der individuellen Altersarmut leistet. Dies schließt selbstverständlich auch die so genannten Click- und Crowdworker ein, die im Zuge der Digitalisierung einen immer größeren Anteil an der Erwerbsbevölkerung stellen.“
Unklar ist, auf welche Statistik sich die Beamtengewerkschaft bei dieser sehr gewagten Behauptung stützt: Ausweislich einer BMAS-Studie zum Thema ist das gegen Selbstständige von Regierungsseite immer wieder ins Spiel gebrachte Clickworking ein Randphänomen – an dem sich ausweislich der Studie mehr Angestellte und Beamte beteiligen als Selbstständige.
Scharfe Kritik vom Anwaltsverein
Aufhorchen lässt die Stellungnahme des Deutschen Anwalt Vereins (DAV): Er beklagt darin vor allem „die Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse einschließlich der Übertragung von Aufgaben und Rechten einer Anklagebehörde auf die Finanzkontrolle Schwarzarbeit“. Das Gesetz greife „in vielfältiger Weise in Freiheitsrechte ein, missachtet die betriebliche und private Sphäre ohne dass damit der Sozialstaat verbessert wird und/oder die wirtschaftliche Situation (einschließlich soziale Sicherheit) der Betroffenen.“
Auch bei der Öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 6. Mai 2019 waren Selbstständige als Sachverständige nicht gefragt. Auch hier war es lediglich der Anwaltsverein, der sich kritisch zu den Folgen für Selbstständige äußerte, wie das Wortprotokoll samt eingereichter Stellungnahmen belegt.
Gegenüber dem Finanzausschuss äußerte sich der DAV noch ausführlicher als gegenüber dem BMF wenige Monate zuvor. So hat er drastisch auf die Folgen der neuen Durchsuchungsrechte der FKS hingewiesen: „Das Büro des Selbständigen wird betreten und durchsucht mit der Prüfaufgabe, ob der Selbständige wirklich als solcher tätig ist und/oder er seinerseits Aufträge an (Schein-)Selbständige erteilt. Die FKS kann damit nahezu alle Geschäftsräume in Deutschland betreten und Einsicht in nahezu alle Geschäftsunterlagen verlangen – ohne jeden Anlass, eben zur »Prüfung«.“
Den Finger in eine weitere Wunde legte der Anwaltsverband mit seiner Frage, warum ausbeuterische Arbeitsbedingungen „nur in Bezug auf Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verfolgungswürdig sind, nicht aber in Bezug auf Selbständige oder Beamtinnen und Beamte.“
Wie meinte doch Bundesfinanzminister Olaf Scholz, ein Kandidat für den Vorsitz der SPD, in seiner Rede zum Gesetz vor dem Bundestag im April: „Wir können nicht akzeptieren, dass immer wieder Berichte auftauchen, in denen zu erfahren ist, dass mit irgendwelchen Scheinverträgen Leute viel weniger verdienen als das, was ihnen zusteht. Das müssen wir kontrollieren und unterbinden können.“ Nun, das gilt für ihn eben nur für Arbeitnehmer und Tagelöhner, nicht für Selbstständige – die zum Beispiel für die öffentliche Hand zu überschaubaren Honoraren arbeiten (als Dolmetscher, Übersetzer, VHS-Dozenten etc.).
Zoll-Gewerkschaft BDZ hatte großen Einfluss auf das Gesetz
Über die neue Rechtslage samt ausgeweiteter Befugnisse der FKS gegenüber Selbstständigen ist die BDZ – Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft sehr erfreut. Die BDZ ist keine kleine Größe: Die im dbb beamtenbund organisierte Gewerkschaft ist laut eigener Angaben auf ihrer Website „die größte Fachgewerkschaft für die Beschäftigten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.“ Die rund 25.000 Mitglieder gehören demnach „im wesentlichen der Bundeszollverwaltung und dem Bundesministerium der Finanzen an.“ Die BDZ vertritt also viele der Zoll-Mitarbeiter, die Selbstständige prüfen (werden).
Bereits am 12. November 2018, drei Wochen bevor das BMF seinen Referentenentwurf in die Verbändeanhörung gab, lobte die BDZ in einer Pressemitteilung, der Zoll erhalte mit dem neuen Gesetz zusätzliche Kompetenzen. „Diesen Erfolg hat der BDZ aufgrund hartnäckiger Bemühungen und politischer Verhandlungen im Hinblick auf eine weitreichende Optimierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Prüfungs- und Ermittlungstätigkeiten der FKS erreicht“, hieß es seitens der BDZ. Ihr Bundesvorsitzender Dieter Dewes begrüßte darin nachdrücklich die zusätzlichen Befugnisse für die FKS – damit werde „der Zoll noch besser in der Lage sein, für Ordnung und Fairness am Arbeitsmarkt zu sorgen.“
Da es sich bei der BDZ um eine Gewerkschaft von Bundesbediensteten handelt, darf davon ausgegangen werden, dass die von der BDZ verbreiteten Angaben über ihren Einfluss stimmen.
… und forderte ein eigenständiges Entscheidungsrecht der FKS über Selbstständige
Einen tiefen Einblick, wie diese Zollgewerkschaft Selbstständige sieht, gibt die Stellungnahme der BDZ, die sie für die Anhörung des Finanzausschusses des Bundestages im Mai 2019 einreichte.
Demnach wusste die BDZ zu berichten: Die im Rahmen der Statusfeststellungsverfahren von Selbstständigen an die DRV Bund eingereichten Antworten „über die verrichtete Tätigkeit entsprechen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.“ Zudem sei die Deutsche Rentenversicherung Bund „bereits mit den von der FKS übersandten Verfahren zur Schadensberechnung überlastet“, heißt es auf der letzten Seite der Stellungnahme.
Naheliegend dürfte die Gewerkschaft diese interessante Einschätzung nur gegenüber den Bundestagsabgeordneten geäußert haben können, wenn sie über entsprechende Informationen oder Einschätzungen seitens der DRV Bund verfügt hat.
Die BDZ weiß jedoch, wie sich noch alles steigern lässt!
Da nach Ansicht der Zollgewerkschaft die Finanzkontrolle Schwarzarbeit „bei ihren Prüfungen vor Ort genau die maßgeblichen Kriterien, die für oder gegen eine Selbständigkeit sprechen, erhebt und feststellt, sollte der FKS auch die rechtliche Möglichkeit eingeräumt werden, in diesen Fällen eigenständig zu entscheiden, ob jemand selbständig oder abhängig beschäftigt ist.“ [Die Hervorhebungen sind von uns.]
Welche „maßgeblichen Kriterien“ prüft die FKS vor Ort, den umstrittenen Kriterienkatalog der DRV? Welche Sachkompetenz haben die Zoll-Mitarbeiter über die heutige komplexe (Projekt-)Arbeitswelt von Selbstständigen? Wir hätten da einige Fragen...
FKS wollte über Status fast aller Selbstständigen entscheiden dürfen
Im letzten Absatz ihrer Stellungnahme geht die Zollgewerkschaft dann noch mehr zur Sache. Die Ausübung einer derartigen Befugnis (die eigenständige Entscheidung der FKS über eine [Schein-] Selbstständigkeit) sollte sich „ausschließlich auf Selbständige beziehen, die von den Zöllnerinnen und Zöllnern bei einer Prüfung angetroffen werden und die o. a. Möglichkeit der Prüfung des Vorliegens einer Selbständigkeit nach § 7a SGB IV (das heißt: freiwilliges Statusfeststellungsverfahren, Anm. von uns) nicht genutzt oder der Rentenversicherung Bund im Fragebogen einen unzutreffenden Sachverhalt geschildert haben.“
Verständlicher formuliert: Da sich die Zahl der freiwilligen Statusfeststellungsverfahren im Vergleich zur absoluten Zahl von Selbstständigen im überschaubaren Rahmen hält, fordert diese Zollgewerkschaft für die FKS das Recht, über nahezu alle Selbstständigen das Damoklesschwert fällen zu dürfen.
In der Bundestagsanhörung am 6. Mai 2019 sprach keiner der Abgeordneten, die teilgenommen hatten, den als Sachverständigen geladenen Stellvertretenden BDZ-Bundesvorsitzenden, Thomas Liebel, auf die fragwürdigen Positionen seiner Gewerkschaft gegenüber Selbstständigen an (ausweislich des Wortprotokolls). Die schriftliche Stellungnahme der BDZ lag dem Ausschuss da bereits einige Tage vor, sie datiert vom 2. Mai 2019. Zur Erinnerung: Selbstständige waren nicht gefragt.
Unsere vorläufige Einschätzung des Gesetzes
Die verschärfte Bekämpfung von Schwarzarbeit, von Tagelöhnerbörsen, Schleusern und Menschenhandel ist nachdrücklich zu begrüßen, um hinterzogene Steuern und Sozialbeiträge einziehen zu können.
Doch das von der GroKo gemeinsam mit der AfD beschlossene Gesetz hat der Finanzkontrolle Schwarzarbeit so weitreichende Befugnisse eingeräumt, dass jetzt de facto alle Selbstständigen in Deutschland unter einem pauschalen Verdacht der Scheinselbstständigkeit stehen könn(t)en. Die umfangreichen Befugnisse zum Betreten von Geschäftsräumen, zur Sichtung von Unterlagen, zur Prüfung sich „anbahnender“ Projekte et cetera greifen so weitreichend in das Arbeitsleben von Selbstständigen ein, dass sich hier auch verfassungsrechtliche Fragen stellen.
Zwar ist nicht davon auszugehen, dass morgen die (bewaffneten!) FKS-Einheiten die Büros von Selbstständigen stürmen, zumal sich die Personalaufstockung der FKS auf 10.000 bis 2026 erstrecken soll und die Einheit bereits jetzt größere interne Probleme hat, wie Spiegel Online berichtete.
Doch in jedem Fall nimmt die Rechtsunsicherheit bei Selbstständigen und ihren Auftraggebern weiter zu – mit allen damit verbundenen wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Problemen, die das für unsere Seite mit sich bringt. Zumal nicht definiert ist, nach welchen Indizien der Zoll überhaupt die Selbstständigen verdächtigen darf.
Vor diesem Hintergrund ist es äußerst bedenklich, dass weder das BMF noch der Finanzausschuss des Bundestages an der Einschätzung von Selbstständigen-Organisationen interessiert waren, obwohl die Selbstständigen eine „Zielgruppe“ des Gesetzes sind.
Zumindest der Bundestag hätte während der parlamentarischen Beratung dafür sorgen können, dass bei (echten) Selbstständigen (und ihren Auftraggebern) eben nicht der Eindruck entstehen kann, sie stünden jetzt unter einem pauschalen Verdacht. Das hätte sicherlich „deeskalierend“ gewirkt.
Sowohl der VGSD wie auch andere Selbstständigen-Organisationen sind im Verbänderegister des Bundestages eingetragen, es wäre für die Mitglieder des Finanzausschusses ein Leichtes gewesen, das Register nach „Selbstständige“ abzufragen und unsere Seite um eine Einschätzung zu bitten (wenn schon nicht bereits das BMF).
Während der parlamentarischen Beratung ist den Bundestagsabgeordneten nicht aufgefallen, dass das Gesetz weitreichend in die Rechte von Selbstständigen eingreift – auch in die jener Selbstständigen, die zu Unrecht der Scheinselbstständigkeit verdächtigt werden. Diese Eingriffstiefe ist weitaus größer als die im Rahmen der Statusfeststellungsverfahren der DRV, die uns schon so lange beschäftigen.
Wie sagte doch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Juni gegenüber dem ARD Hauptstadtstudio: „Man muss Gesetze kompliziert machen. Dann fällt das nicht so auf. Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges. Aber auch Notwendiges wird ja oft unzulässig infrage gestellt.“
Der VGSD ist Eure Interessenvertretung
Das Gesetz zeigt wieder einmal, wie wichtig die Interessenvertretung von Selbstständigen ist – ohne eine einflussreiche Stimme werden wir nicht gehört. Je mehr Vereinsmitglieder wir haben, desto mehr können wir erreichen und mehr Themen frühzeitig aufgreifen und auf mögliche Folgen für uns analysieren.
Der VGSD wird die Umsetzung des Gesetzes durch die FKS aufmerksam verfolgen. Mitglieder, die im Rahmen einer Überprüfung auf vermutete Scheinselbstständigkeit Bekanntschaft mit der FKS machen sollten, können wir zwar nicht den Anwalt ersetzen: Wir bitten diese jedoch, uns über ihre Fälle zu informieren.
Postet gerne diesen Beitrag auf Euren Kanälen, macht weitere Selbstständige darauf aufmerksam und besprecht das Thema bei Treffen mit anderen Selbstständigen, um sie für die beschriebenen Risiken zu sensibilisieren.
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