Die meiste Zeit vertreten wir die Interessen unserer Mitglieder ganz unspektakulär: per E-Mail, Telefon, Zoom-Call oder persönlich bei Veranstaltungen (z.B. Workshops von Ministerien) sowie Einzel- oder Gruppenterminen mit Politikern und Beamten. Mit Abgeordneten zusammen etwas essen oder einen Schiffsausflug machen? – Das ist die absolute Ausnahme, kommt aber vor, wie der folgende Bericht beispielhaft zeigt.
Zum ersten Mal nach fünf Jahren (vgl. Bericht von 2018) fand am 6. und 7. Juli 2023 wieder der von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) organisierte "Politische Dialog in Berlin mit Spreefahrt" statt: Am Donnerstagabend hatte die vbw zwei lange Tischreihen im Restaurant "Ganymed" in unmittelbarer Spreenähe gleich beim S-Bahnhof Friedrichstraße reserviert und neben Verbandsvertretern auch alle bayerischen Bundestagsabgeordneten (außer von AfD und Linke) eingeladen. Bayern stellt 116 von insgesamt 735 MdBs. 100 davon gehören CSU, SPD, Grünen und FDP an. Es sind viele von ihnen, aber natürlich nicht alle gekommen.
Am fehlenden Namensschild zu erkennen
Die erste Gesprächsmöglichkeit bietet sich direkt nach der Ankunft. Ich stelle mich zu einer Gruppe von Abgeordneten. Sie sind daran zu erkennen, dass sie kein vbw-Namensschild tragen. Ich komme mit ihnen direkt in ein angeregtes Gespräch. Sie gehören FDP, Grünen und auch SPD an und scheinen sich gut zu kennen und untereinander zu verstehen. Dies ist nicht der einzige Anlass, bei dem sich die Abgeordneten eines Bundeslandes treffen. Schnell kommt das Gespräch auf Soloselbstständige, einige Anwesende waren früher selbstständig oder haben selbstständige Angehörige. Das sorgt automatisch für größeres Verständnis für unsere Anliegen.
Ein Abgeordneter muss nach dem Anstoßen mit einem Glas Sekt direkt wieder ins Plenum, um eine Rede zu halten und gibt mir noch seine Karte. Die Ausschusssitzungen dauern donnerstags oft bis spät in die Nacht. Beim Zusammenstehen hat sich ein grüner Abgeordneter aus dem Finanzausschuss besonders interessiert an den von mir vertretenen Themen gezeigt, ich werde beim Abendessen neben ihm sitzen, weitere das Finanzressort betreffende Anliegen ansprechen und von ihm kombiniert mit der Visitenkarte die Einladung erhalten, das Anliegen im Nachgang gemeinsam zu vertiefen.
Die Abstimmungen geben den Takt vor
Die Abgeordneten können das Hauptgericht nicht in Ruhe zu sich nehmen und verpassen das Dessert, sie müssen zu einer namentlichen Abstimmung zurück ins Plenum. Mein Tischnachbar lobt den interessanten Austausch und kehrt nach dem Plenum zurück, um sich mit mir und den Tischnachbarn über weitere Themen zu unterhalten. Auch die Altersvorsorgepflicht kommt dabei zur Sprache.
Ich achte darauf, möglichst wenig Alkohol zu mir zu nehmen, denn am nächsten Morgen treffen sich die Delegationsmitglieder bereits um 8 Uhr vor dem Paul-Löbe-Haus, einem der Bundestagsgebäude mit Sitzungssälen und Abgeordnetenbüros in unmittelbarer Nähe des Reichtstags. Der Schriftsetzer Paul Löbe, SPD-Mitglied, schrieb 1919 die Weimarer Verfassung mit und war ab 1920 zwölf Jahre lang Präsident des Reichstags. Das gleichnamige Gebäude befindet sich gegenüber des Kanzleramts zwischen Reichstag und Spree.
Sitzungsmarathon im Ausschuss-Saal
Nach der Eingangskontrolle werden wir wie vorgeschrieben vom Mitarbeiter eines Abgeordneten zum Ausschuss-Sitzungssaal begleitet. Es bleibt noch einige Zeit, sich mit den anderen Verbandsvertretern zu unterhalten, dann kommen die ersten Gäste. Geplant sind je einstündige Gespräche zunächst mit den Grünen, dann der FDP, CSU und schließlich SPD – es kommen jeweils die Landesgruppen-Vorsitzenden oder ihre Stellvertreter/innen. Von den Grünen sind es die Abgeordneten Dr. Manuela Rottmann und Stefan Schmidt. Neben letzterem saß ich vor fünf Jahren beim Abendessen. Wie auch später bei Karsten Klein von der FDP, Stefan Müller von der CSU sowie Marianne Schieder und Bernd Rützel von der SPD informiere ich mich vorab über die Ausschüsse, in denen die MdBs aktiv sind und passe meine Frage bzw. mein Statement daraufhin an, so dass sie mit meiner Information direkt etwas anfangen und aktiv werden können, statt sie weitergeben zu müssen. Das mache ich auch aus Rücksicht auf die Verbandskollegen, für die es ein wenig langweilig ist, wenn ich viermal hintereinander das identische Anliegen wiederhole.
Unter den anwesenden Verbänden sind viele aus der Industrie, deren Mitglieder unter den hohen Energiepreisen leiden. Sie berichten über erste Insolvenzen und Werksverlagerungen in andere Länder. Ein gemeinsames Thema ist die drohende Deindustrialisierung Deutschlands. Auch und gerade weil ich der einzige anwesenden Vertreter von Solo- und Kleinstunternehmer/innen bin, melde ich mich bei allen Gesprächspartnern zu Wort und weise auf unsere Themen hin. Wenn es wirklich zu einer Deindustrialisierung kommt, ist es wichtig, dass wir wenigstens bei Dienstleistungen wettbewerbsfähig aufgestellt sind, das ist aber nicht der Fall. Ich verbinde das mit Hinweisen darauf, wie etwa die Rechtsunsicherheit bezüglich Statusfeststellung auch unsere Auftraggeber aus allen anwesenden Branchen belastet und sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit behindert. Dafür erhalte ich immer wieder bei solchen Treffen Unterstützung von den Kolleg/innen.
Mit einem dicken Packen Visitenkarten nach Hause
Aus jeder meiner Wortmeldungen ergibt sich das Angebot einer Vertiefung. Die Gesprächspartner kommen beim Verlassen des Saals nochmals auf mich zu, um mir ihre Visitenkarte zu geben. Praktischerweise sitze ich gleich neben dem Ausgang. Ich fahre mit einem dicken Packen an Visitenkarten von Gästen, aber auch Verbandskollegen nach Hause, wo dann die eigentliche Arbeit beginnt. Bei einer Partei hat sich spontan vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt eingeschaltet und möchte an dem Videocall, zu dem ich eingeladen wurde, auch teilnehmen, was diesem noch einmal zusätzliches Gewicht gibt.
Treffen wie diese wirken nicht so gezielt wir die Ansprache der für das jeweilige Anliegen zuständigen Fachpolitiker, eröffnen aber die Chance zum Kennenlernen anderer – oft erfreulich pragmatischer – Gesprächspartner/innen, der Gemeinsamkeiten mit ihnen. Sie kann man um Rat zu Themen fragen, bei denen man an anderer Stelle nicht voran kommt.
Fans vor Ort
Auch mit der Fotografin komme ich ins Gespräch. Sie fragt, ob auch der Fotograf/innen-Verband Freelens Mitglied in unserer Verbände-Arbeitsgemeinschaft ist und freut sich, dass ich die Anliegen der Soloselbständigen vertrete. Sie berichtet davon, dass sie mit anderen Fotograf/innen eine GbR gegründet hat, um gemeinsam Aufträge besser abwickeln zu können, die solidarische Zusammenarbeit stärkt die einzelnen Mitglieder und hat sich inzwischen zu einer Agentur weiterentwickelt.
Schon bei der letzten Veranstaltung dieser Art vor fünf Jahren war der Fotograf auf mich zugekommen und meinte, er habe im Bundestag noch nie jemand so engagiert zu Fragen der (Solo-)Selbstständigkeit sprechen gehört, worüber ich mich riesig freue. Immer wieder erlebe ich solche Situationen, die mir zusätzliche Motivation und Selbstsicherheit geben.
Eine Stunde mit Staatssekretärin & Co auf der Spree
An die vierstündige Sitzung schließt sich eine Pause an, danach hat die vbw zur inzwischen traditionellen Spreefahrt mit Politikern eingeladen. Neben Karsten Klein von der FDP-Fraktion kommt auch seine Kollegin, die für Steuern zuständige parlamentarische Staatssekretärin Katja Hessel. Etwas später wird auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zusteigen.
Mit Katja Hessel haben wir für Ende Juli gerade einen Experten-Talk vereinbart, jetzt besteht die Möglichkeit, sie persönlich kennenzulernen und auch sie mit unseren das Finanzressort betreffenden Anliegen vertraut zu machen. Als ehemalige Steuerberaterin versteht sie sofort, um was es mir inhaltlich genau geht. Sie nimmt fachkundig Stellung und will zu zwei Themen weitere Informationen, um sie selbst nachzurechnen. Der Talk zum Thema Altersvorsorgedepot Ende Juli wird die Möglichkeit bieten, den Kontakt mit ihr weiter zu vertiefen.
Das alles ist auch mit abgelegter Anzugjacke eine schweißtreibende Angelegenheit, denn die Sonne strahlt bei 33 Grad vom wolkenlosen Himmel über Berlin. Kaum legen wir wieder an, eilen die drei Abgeordneten zum Bundestag, wo die AfD zwischenzeitlich eine Abstimmung per "Hammelsprung" veranlasst hat.
So funktioniert politische Interessenvertretung in Berlin
Bei mir schließt sich ein selbst organisierter Besuch des Plenums an, so dass ich eine halbe Stunde später gerade noch die Verkündung des Abstimmungsergebnisses mitbekomme, bevor sich der Bundestag in die parlamentarische Sommerpause verabschiedet.
Anmerkung: Bei der Beschreibung habe ich ich auf eine detaillierte Darstellung der politische Themen verzichtet, die ich angesprochen habe. Mir ging es an dieser Stelle darum, dass ihr euch ein besseres Bild davon machen könnt, wie politische Interessenarbeit bei uns und anderen Verbänden funktioniert – an diesem vergleichsweise spektakulären Beispiel eines Abendessens und einer Spreefahrt, das wie gesagt die große Ausnahme darstellt. Wie wir per E-Mail, Telefon oder beim Besuch in Abgeordnetenbüros und Veranstaltungen vorgehen, könnt ihr euch sicher gut vorstellen. Ich kann mich an eine einzige Gelegenheit erinnern, bei dem ich zusammen mit einem Verbandskollegen einen Beamten in ein Selbstbedienungs-Café einlud, um in etwas entspannterer Atmosphäre miteinander zu sprechen. Er bestand darauf, seinen Kaffee selbst zu bezahlen. So funktioniert Lobbyismus in Berlin – und das ist gut so!
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