Wie schön wäre das: Eine Bescheinigung, die einen für alle Aufträge vom Verdacht der Scheinselbstständigkeit freispricht. Die Rechtssicherheit, die der Staat Selbstständigen nicht bietet, wird nun im Internet versprochen. Wie soll das seriös sein?
Kein Thema beschäftigt den VGSD und seine Mitglieder so ausdauernd wie Scheinselbstständigkeit. Gerade mussten wir im Halbzeit-Check des Koalitionsvertrags festhalten, dass auch die aktuelle Regierung ihr angebliches "Ziel (…), in der digitalen und agilen Arbeitswelt unbürokratisch Rechtssicherheit zu schaffen" aus den Augen verloren hat. Dabei empfinden viele Selbstständige und ihre Auftraggeber die ständig drohende Scheinselbstständigkeit als drängendstes Problem. Das zeigte sich auch vor knapp einem Jahr in der Mitglieder-Abstimmung über Vorschläge zum Bürokratieabbau.
Die Kränkung, unter Generalverdacht zu stehen
Wo der Staat nicht liefert, bleibt Raum für Geschäftsideen. Kann es nicht möglich sein, sich als Selbstständige/r bescheinigen zu lassen, dass man tatsächlich selbstständig ist? Und zwar so, dass dies geklärt ist, bevor man einzelne Aufträge annimmt? Die Entscheidung für die Selbstständigkeit ist in der Regel eine bewusste und aus Überzeugung getroffene Entscheidung für ein Lebensmodell, die Respekt verdient. Wenn dieses Lebensmodell beständig in Frage gestellt wird, ist dies zum einen ein wirtschaftliches Problem: Über jedem Auftrag schwebt das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit, oder, häufig der Fall, Unternehmen vergeben Aufträge gar nicht mehr an Selbstständige aus Furcht vor dem unberechenbaren Statusfeststellungsverfahren. Dort könnte Scheinselbstständigkeit festgestellt werden und das Unternehmen müsste Sozialbeiträge nachzahlen. Zum anderen ist es eine persönliche Kränkung, unter Generalverdacht zu stehen.
Wie schön wäre es da, ein Zertifikat für die eigene Selbstständigkeit zu haben. Nur: Unter der geltenden Rechtslage kann es kein Dokument geben, das eine Person an sich als Selbstständige ausweist. Es kommt immer auf den einzelnen Auftrag an. Eine Person kann im einen Auftragsverhältnis selbstständig sein und im anderen scheinselbstständig. Das Dokument müsste also für einzelne zukünftige Aufträge wirken.
Jeder gestempelte Zettel kann ein "Zertifikat" sein
Ein Dokument dieser Art, so wird zumindest suggeriert, wird nun im Internet angeboten. Geld bezahlen, Fragen beantworten, Zertifikat ausdrucken. Kann das funktionieren? Eines ist sicher: Für uns beim VGSD ist Scheinselbstständigkeit eines der wichtigsten Themen. Gäbe es aus unserer Sicht eine einfache Lösung, wir hätten sie längst selbst unseren Mitgliedern angeboten. Und über ein aus unserer Sicht überzeugendes Modell eines privaten Anbieters hätten wir unsere Mitglieder natürlich auch informiert.
"Das Wort Zertifikat ist kein geschützter Begriff", sagt Kathi-Gesa Klafke, Rechtsanwältin und Expertin für Scheinselbstständigkeit bei der Berliner Kanzlei jura-ratio. Was banal klingt, ist nicht unerheblich: Dass etwas ein "Zertifikat" ist, bedeutet zunächst einmal gar nichts, jeder Mensch kann einen Zettel stempeln und ihn Zertifikat nennen.
Am Ende entscheidet immer die DRV
Man sollte sich deshalb genau ansehen, was einem da als "Zertifikat" angeboten wird und auch auf das Bauchgefühl und den ersten Eindruck achten: Eine Website voller grammatikalischer Fehler, sprachlichen und inhaltlichen Unsauberkeiten wirkt nicht nur unseriös, sondern berechtigt zu ernstem Zweifel am gesamten Angebot.
Ein Geschäft läuft in der Regel so, dass Geld bezahlt wird für eine Leistung. Welche Leistung wird mit dem "Zertifikat" geboten für das Geld? Das sollte man auf der Website genau prüfen. Was wird versprochen? Gibt es eine Garantie? Kein privater Anbieter kann Selbstständigen garantieren, von Behörden als selbstständig anerkannt zu werden. Der Erwerbsstatus wird nach wie vor ausschließlich durch die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) festgestellt. "Keiner kann verbindlich vorhersagen, wie die DRV entscheidet", sagt Kathi Klafke.
Wir haben auch die DRV selbst um Stellungnahme gebeten. Sie teilt uns mit: "Im Zusammenhang mit der Statusbeurteilung gibt es kein gesetzlich legitimiertes Zertifikat. Rechtssicherheit kann nur durch die im Gesetz zur Statusklärung vorgesehenen Verfahren, beispielsweise durch das sogenannte Statusfeststellungsverfahren, erzielt werden." Die DRV verweist auf die seit April 2022 bestehende Möglichkeit, den Status vorab in einer Prognoseentscheidung zu klären. Dass es dabei allerdings in der Praxis oft hakt, hat Kathi Klafke gemeinsam mit Hartmut Paul in einem Talk vergangenen November erläutert.
Es kann teuer werden
Ein von irgendeiner privaten Stelle ausgestelltes "Zertifikat" ist damit mindestens nutzlos. Doch nicht nur das: Es kann sogar gefährlich werden. Aus zwei Gründen. Zum einen empfiehlt sich ein Blick in die AGB. Denn hier können über das für die Bescheinigung hinaus verschwendete Geld weitere Kosten verborgen sein. Das Stichwort lautet: Vertragsstrafe. Hier können schnell mal ein paar Tausend Euro fällig werden, etwa wenn ein "Zertifikat" weiterhin verwendet wird, auch wenn keine Gebühr mehr gezahlt wird – dies dürfte sich auch auf den Verweis auf das "Zertifikat" in E-Mail-Signaturen und auf Websites beziehen. So etwas kann man schnell mal übersehen.
Auch auf Fragen der Haftung und Gewährleistung sollte geachtet werden. Wird das Produkt nur an Unternehmer/innen im Sinne von § 14 BGB verkauft, greift kein Verbraucherschutz. Wie ist die Gewährleistung geregelt und wie lange läuft die Gewährleistungsfrist? Probleme mit Scheinselbstständigkeit tauchen oft erst nach Monaten auf, und ihre Klärung zieht sich über Jahre. Eine Gewährleistungsfrist von einem Jahr oder weniger wird dem nicht gerecht. Übernimmt der Anbieter irgendeine Haftung? Weitgehende Haftungsausschlüsse sollten skeptisch stimmen.
Womöglich wird mit "Zertifikat" alles noch viel schlimmer
Der gravierendste Haken eines solchen Vorgangs ist jedoch: Wer sich ein solches "Zertifikat" ausstellen lässt, zeigt der DRV, dass er oder sie es für möglich hält, scheinselbstständig zu sein – und macht damit womöglich alles viel schlimmer. Kathi Klafke erklärt, welche rechtlichen Folgen das hat: "Im Gegensatz zu Personen ohne Zertifikate beweist ein Zertifikat, dass die Betroffenen Kenntnis vom Problem Scheinselbständigkeit haben. Wenn sie dann von der Einholung eines verbindlichen Verwaltungsaktes absehen, und sich auf ein 'Zertifikat' verlassen, riskieren sie den Vorwurf vorsätzlicher Beitragshinterziehung (§ 266a StGB), und hierneben eine Verjährungsfristverlängerung für Beitragsnachforderungen von vier auf 30 Jahre, die Schadenserhöhung durch Anwendbarkeit der Nettolohnhochrechnung und die Verhängung von 1 Prozent Säumniszuschlägen pro Monat."
Dem Anbieter Fragen stellen!
Es ist also Vorsicht geboten – und Skepsis gegenüber dem Anbieter. Wer sich mit einer Offerte dieser Art beschäftigt, könnte dem Anbieter auch folgende Fragen stellen: Wie kann ein solches Zertifikat einen Auftraggeber schützen? Gibt es Kooperationen und/oder Referenzen von Auftraggebern? Wie werden Merkmale einzelner Aufträge berücksichtigt, auf die es ja im Kern ankommt? Wie viele Zertifikate wurden bisher erstellt? Gibt es Stellungnahmen von Anwälten zu dem Zertifikat? Wie sieht der Schutz im Falle eines Statusfeststellungsverfahrens genau aus?
Lass uns gerne in den Kommentaren wissen, ob du dich auch schon mit einem solchen Angebot beschäftigt hast. Einen Austausch zu diesem Thema gibt es auch bei Frag den VGSD.
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