Nur wer sein Honorar selbst und ohne eine Obergrenze festlegen kann, ist selbstständig tätig, meint die Europäische Union. Ist das realistisch? Wie verhält es sich in deiner Branche?
Das Thema Scheinselbstständigkeit lässt viele Mitglieder nicht los. Mit Beiträgen, Talks und Videos halten wir euch regelmäßig auf dem Laufenden. Vor allem die geplante EU-Richtlinie zur Plattformarbeit bietet viel Grund zur Diskussion. Im Entwurf der EU geht es auf Seite 69 darum: Wenn ein Auftraggeber die "effektive Bestimmung der Höhe der Vergütung oder Festlegung von Obergrenzen der Vergütung" vornimmt, dann gerät der Auftragnehmer in den Verdacht scheinselbstständig zu sein.
Ist dieses Kriterium für die Definition von Scheinselbstständigkeit geeignet?
Ein kurzer Exkurs: Wie entstehen überhaupt Preise? "Unter den idealen Bedingungen der vollständigen Konkurrenz ist die Preisbildung das Ergebnis des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage, bei dem sich der Gleichgewichtspreis und die Gleichgewichtsmenge bilden", schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung. Weniger abstrakt formuliert: In einem freien Markt biete ich eine Leistung an, und kann dafür – je nachdem wie begehrt diese Leistung ist – einen unterschiedlich hohen Preis erzielen. Nicht ideal sind die Bedingungen etwa, wenn auf der Nachfrageseite kein Wettbewerb herrscht und ein einzelner Akteur, etwa der Staat, die Höhe der Honorare vorgibt.
Die volkswirtschaftliche Definition sagt allerdings nichts darüber aus, ob Anbieter oder Nachfrager einen Preis vorschlagen müssen und ob sie über diesen Preis verhandeln oder die Sache einfach nicht weiterverfolgen, weil der genannte Preis zu hoch beziehungsweise zu gering ist. Die Wahrnehmung von Politikern ist oft durch öffentliche Ausschreibungen geprägt, bei denen sich die Anbieter gegenseitig unterbieten. In der Praxis heißt es aber oft: "Take it or leave it". Ein Auftraggeber, der mit vielen Selbstständigen zusammenarbeitet, wird aus Effizienzgründen, und um Konflikte zwischen diesen zu vermeiden, bestimmte Standardhonorare festlegen, von denen er nur in Ausnahmefällen abweicht, wenn überhaupt.
Oft ist ein Honorar auch dadurch nach oben gedeckelt, dass der Auftraggeber bei den eigenen Kunden selbst kein höheres Honorar durchsetzen kann oder dass ihr oder ihm – im Fall größerer Unternehmen oder Verwaltungen – nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung steht. "Das ist einfach die Realität und heißt nicht, dass jeder Selbstständige, der für einen solchen Auftraggeber arbeitet, scheinselbstständig wäre", sagt VGSD-Vorstand Andreas Lutz. "Er oder sie muss und wird den Auftrag nicht annehmen, wenn dieser die eigenen Kosten nicht deckt oder es lohnendere Aufträge gibt."
Wie Preise entstehen hängt oft von der Branche ab
Eine Einzelhändlerin oder ein Gastronom können ihre Preise selbst bestimmen. Komplizierter ist es aber zum Beispiel für freie Journalisten: Viele Zeitungen und Magazine bezahlen nach der Anzahl der gelieferten Zeichen; Spielraum für Verhandlungen gibt es nur in Ausnahmefällen. Die Marktmacht der Verlage ist in diesem Fall oft so groß, dass den Journalisten nur eine Wahl bleibt: den angebotenen Preis zu akzeptieren - oder abzulehnen.
Architekten wiederum haben von ihrer Kammer festgelegte Honorarsätze, von denen sie nur begrenzt abweichen dürfen. Und die Preise von Dolmetschern, die für Polizei oder Jusitz tätig sind, sind sogar gesetzlich geregelt. Allein diese drei kurzen Beispiele zeigen, dass nicht jeder Selbstständige seine Honorare frei bestimmen kann. Wichtig dafür, ob Preisverhandlungen möglich und ökonomisch sinnvoll sind, ist sicherlich auch, ob man als Selbstständige/r für Privat- oder Geschäftskunden arbeitet und wie groß die einzelnen Aufträge sind.
Eine Frage wird gesucht
Die Frage, wer die Preise bestimmen kann, beschäftigt nicht nur die EU, sondern zurzeit auch Statistik-Behörden. International wird gerade versucht, die verschiedene Erwerbsformen genauer voneinander abzugrenzen, darunter auch "abhängig Selbstständige". Einheitliche Kriterien würden Vergleiche zwischen verschiedenen Staaten vereinfachen und aussagekräftiger machen.
Eine mögliche Frage an Selbstständige könnte künftig lauten: "Wer legt den Preis für deine angebotenen Produkte oder Dienstleistungen fest?"
- Du selbst
- Du verhandelst den Preis mit deinem Auftraggeber bzw. Kunden
- Dein Auftraggeber bzw. Kunde bestimmt den Preis
- Dein Preis ist gesetzlich festgelegt
- Dein Preis wird durch andere bestimmt (z.B. Honorarbestimmungen oder Gebührenordnungen).
Allerdings bleibt auch dann die Frage offen, was dies über deine Selbstständigkeit aussagt.
Wie läuft es bei dir?
Wie werden bei dir beziehungsweise in deiner Branche die Preise festgelegt? Konntest du die allgemeinen Preissteigerungen der vergangenen Monate an deine Kunden weitergeben? Wenn ja: Wie hast du das gemacht? Falls du die Preise nicht selbst vorgibst: Ist das in deinem Fall ein Anzeichen für Scheinselbstständigkeit? Welche Frage in Bezug auf die Preisfindung sollten die Statistikbehörden stellen?
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