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Lesetipp Sondierungen, Koalitionsvertrag, Kanzlerwahl Wie geht es in Berlin weiter und wie lange dauert das?

Deutschland hat gewählt. Wie geht es jetzt weiter? Wann stehen unsere neuen Ansprechpartner/innen fest? Wir haben die letzten fünf Wahlperioden analysiert, um diese Fragen zu beantworten.

Alles läuft auf eine "große" Koalition zwischen CDU/CSU und SPD hinaus

Die Union hat die Bundestagswahl gewonnen. Eine Zusammenarbeit mit AfD und Linke kommt nicht in Frage, auch eine Zusammenarbeit mit den Grünen hatte sie ausgeschlossen und dafür würde es auch gar nicht reichen. Bleibt also nur eine Koalition mit der SPD. Diese "große" Koalition hat mit 328 Sitzen etwas mehr als die für eine Mehrheit nötigen 316 Stimmen. 

Hätte es die FDP in den Bundestag geschafft, hätte die große Koalition nicht alleine regieren können, sondern die Grünen oder FDP als Partner benötigt. Wahrscheinlich wäre es auf die FDP und damit eine "Deutschland-Koalition" hinausgelaufen. So steht die FDP vor einem personellen Neuanfang. Christian Lindner zieht sich aus der aktiven Politik zurück.

Wenig Zeit für Wunden lecken und Wendemanöver

Die CDU hat ihr historisch zweitschlechtestes Ergebnis (nach 2021) eingefahren, darf sich aber über den Regierungsauftrag freuen. Für die SPD ist es ein schmachvolles Ergebnis, das schlechteste in der Nachkriegsgeschichte. Trotzdem wird sie als Regierungspartner gebraucht. Auch die SPD steht vor einer personellen Neuaufstellung. Olaf Scholz ist Geschichte. 

Um denselben Friedrich Merz zum Bundeskanzler zu wählen, an dessen Charakter man eben noch erhebliche Zweifel äußerte, erfordert es ein Wendemanöver, das mit erheblichen rhetorischen und psychologischen Herausforderungen verbunden ist, wenn man möglichst viele Parteimitglieder sowie verbleibende Wähler mitnehmen möchte. Auch wenn es keine Alternative gibt, wird sich die SPD möglicherweise erst einmal zieren, den Preis für eine Koalition mit der Union hochtreiben. 

Zugleich wartet die Welt nicht auf Deutschland, wie Unionspolitiker zurzeit gerne sagen. Die Herausforderungen sind groß und es ist wichtig, mit der neuen Regierung Handlungsfähigkeit zu beweisen, um verlorenes Vertrauen und damit auch Stimmen von den populistischen Parteien zurückzugewinnen.

Konstituierende Sitzung des Bundestags zwischen 18. und 25. März

Einigermaßen genau schätzen lässt sich, wann die konstituierende Sitzung des neu gewählten deutschen Bundestags stattfinden wird, bei der unter anderem der neue Bundestagspräsident gewählt wird (Armin Laschet ist dafür im Gespräch). Nach den letzten fünf Bundestagswahlen fand diese genau 30 Tage nach der Wahl statt – und da alle fünf Wahlen im September stattgefunden hatten und der September 30 Tage hat – war dies "genau einen Monat später": Auf die Wahl am 26.9.21 zum Beispiel folgte die konstituierende Sitzung am 26.10.21.

Der Februar 2025 hat allerdings nur 28 Tage. "Genau einen Monat" nach dem Wahltag 23.2.25 wäre in diesem Fall vier Wochen später der 23.3.25, ebenfalls ein Sonntag. Wahrscheinlicher ist eine konstituierende Sitzung 30 Tage später am 25.3.25. Es ging aber auch schon mal schneller: Nach der Wahl am 2.12.1990 fand die konstituierende Sitzung nur 18 Tage später statt, allerdings wollte man sie auch noch rechtzeitig vor Weihnachten über die Bühne bringen. Ansonsten fand die Sitzung immer 23 bis 30 Tage nach der Wahl statt, was dem 18. bis 25.03.25 entspräche. 

Von der Wahl zum Koalitionsvertrag: 27 bis 136 Tage

Viel wichtiger für uns ist der Koalitionsvertrag und was darin über Gründer und Selbstständige steht. Wie lange wird er verhandelt? Wann ist der richtige Zeitpunkt, auf ihn Einfluss zu nehmen? 

Am schnellsten ging es bei der Wahl 2009, als die erste große Koalition unter Angela Merkel zugunsten eines schwarz-gelben Bündnisses abgewählt worden war. Auf Sondierungen verzichtete man, stieg direkt in Koalitionsverhandlungen  ein. Diese dauerten drei Wochen. 27 Tage nach der Wahl wurde bereits der Koalitionsvertrag vorgestellt, zehn Tage später Angela Merkel wiedergewählt und die Regierung gebildet. Könnten auch Union und SPD mangels Alternativen auf Sondierungsverhandlungen verzichten wie einst Union und FDP? – Das ist eher unwahrscheinlich, denn die Sondierungen könnten als psychologisches Manöver nötig sein, um die oben beschriebene Kehrtwende hinzubekommen.

Am längsten dauerte es 2017 bis zur Regierungsbildung: Nach vierwöchigen Sondierungen erklärte Christian Lindner die Verhandlungen mit Union und Grünen für gescheitert, zu dieser Zeit waren seit der Wahl schon sieben Wochen vergangen. Weitere sieben Wochen dauerte es dann, bis Union und SPD ihre Sondierungen zu einem positiven Ergebnis gebracht hatten. Dann erst begannen die Koalitionsverhandlungen. Erst 136 Tage nach der Wahl konnte der Koalitionsvertrag vorgestellt werden und es dauerte dann noch einmal 35 Tage bis zur Regierungsbildung, insgesamt fast ein halbes Jahr. So viel Zeit haben wir dieses Mal nicht.

Regierungsbildung bis Ostern ist sportlich

Merz hat in der Berliner Runde gestern gesagt, er wolle eine Regierungsbildung bis Ostern. Vom Wahl- bis zum Ostersonntag sind es genau acht Wochen. Von heute bis Osterdonnerstag 53 Tage. Das ist möglich, wie das Beispiel 2009 zeigt, als man nur 31 Tage benötigte, damals allerdings zwischen zwei Parteien mit weniger Konfliktstoff. Zudem hat sich die SPD darauf festgelegt, erneut einen Mitgliederentscheid über die Regierungsbeteiligung durchzuführen.

Sieht man von den beiden Extremfällen 2009 und 2017 ab, dauerte es 55, 59 und 66 Tage von der Wahl bis zum Koalitionsvertrag und dann noch einmal 10, 14 und 20 Tage bis zu Kanzler(innen)wahl und Regierungsbildung. In Summe also 65, 73 und 86 Tage.

Die Welt wartet nicht auf Deutschland: Schon in der Zwischenzeit muss also – noch von der alten Regierung, die geschäftsführend im Amt bleibt – die eine oder andere Entscheidung auf den Weg gebracht werden. 

Wann konstituieren sich Ausschüsse? Wann Zwischenbilanz ziehen?

Die Bundestagsausschüsse konstituieren sich übrigens meist erst in den Wochen nach der Regierungsbildung. Bleibt es bei der aktuellen Planung der Sitzungswochen des Bundestags wäre dies erst in den beiden Mai-Wochen vom 12. bis 23. Mai möglich. Insgesamt sind zwischen Ostern und dem Beginn der Sommerpause (Mitte Juli) fünf Sitzungswochen geplant.

Eine erste Zwischenbilanz der Arbeit der neuen Regierung wird man nach ihren ersten 100 Tagen ziehen. Angenommen, die Regierung würde direkt am Dienstag nach Ostern gebildet, würden die ersten 100 Tage am 31.7.25 enden.

Unsere To-Dos als Interessenvertretung

Unsere Aufgabe als Verband ist nun, Kontakt zu den neu- und den wiedergewählten Abgeordneten aufzunehmen, unsere Anliegen speziell auch bei Unions- und SPD-Abgeordneten, bei den für uns zuständigen Fachpolitiker/innen und solchen mit Selbstständigkeits-Erfahrung in Erinnerung zu rufen, damit sie möglichst in Sondierungen und Koalitionsvertrag einfließen sowie in die Pläne der neuen Regierung für die ersten 100 Tage.

Wir werden den Koalitionsvertrag genau analysieren, auf Lücken hinweisen und natürlich auch die Besetzung der Ministerien kritisch betrachten. Für unsere Arbeit wäre ein Personalwechsel im Bundesarbeitsministerium von besonderer Bedeutung.

Beziehungen aufbauen und Mobilisierungsfähigkeit unter Beweis stellen

Sobald die Ausschüsse gebildet sind, werden wir auf die Mitglieder der relevanten Ausschüsse zugehen und versuchen, eine konstruktive Arbeitsbeziehung aufzubauen. Wir werden nach den ersten 100 Tagen und dann ein Jahr nach der Regierungsbildung die Regierungsarbeit einer Bestandsaufnahme unterziehen. Den Grünen wird als Oppositionspartei ebenfalls eine besondere Bedeutung zukommen. Auch sie stehen nach der Ansage von Robert Habeck, künftig keine führende Rolle mehr einnehmen zu wollen, vor einer personellen Neuaufstellung.

Wir werden mit Kampagnen in Form von Petitionen und anderen Aktionen gezielt und mit gut überlegtem Timing auf die Anliegen der Selbstständigen und Gründer/innen aufmerksam machen. Unser Kampf für Respekt und faire Bedingungen für Solo- und Kleinstunternehmer/innen wird in den nächsten vier Jahren nicht einfacher werden, wir müssen den Druck weiter intensivieren. Wenn uns das gelingt, sind wir guter Hoffnung, in den nächsten vier Jahren wichtige Fortschritte für die Selbstständigen erreichen zu können.

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