In Bayern hat der VGSD die Möglichkeit, Mitglieder als ehrenamtliche Richter für Sozial- und Landessozialgerichte, aber auch für Arbeits- und Landesarbeitsgerichte vorzuschlagen. Die als solche ernannten Richter dürfen dann bei Verhandlungen und Urteilsfindungen mitwirken. Wer sich zu einem solchen Amt berufen fühlt, verfügt idealerweise über grundlegende Rechtskenntnisse. Das ist aber keine Voraussetzung: Vielmehr ist bei ehrenamtlichen Richtern gefragt, den gesunden Menschen- und Sachverstand einzusetzen, etwa wenn es in einem Verfahren um die Beurteilung von Scheinselbstständigkeit geht.
VGSD-Mitglied, Unternehmensberater und Tai-Chi-Lehrer Rüdiger Große-Brauckmann aus Altomünster ist seit fast fünf Jahren auf unsere Empfehlung hin ehrenamtlicher Richter in einem Sozialgericht. Im Interview spricht er über seinen Weg in dieses Amt, worum es bei "seinen" Verhandlungen geht – und welchen Einfluss er auf die Urteile hat.
Drei Richter pro Urteil in den "unteren Gerichten"
VGSD: Was macht ein ehrenamtlicher Sozialrichter? Ist das so etwas wie ein Schöffe? Wer gehört dem Gericht außer dir noch an?
Rüdiger Große-Brauckmann: Schöffe ist nur ein anderer Begriff für einen ehrenamtlichen Richter. In jeder gerichtlichen Entscheidung in Deutschland, zumindest bei den "unteren Gerichten", müssen drei Richter zur Urteilsfindung anwesend sein. Ein Richter ist der berufliche Richter, der Jura studiert hat. Als Schöffen werden bei Sozial- und Arbeitsgerichten einmal ein Arbeitnehmervertreter und einmal ein Arbeitgebervertreter ernannt. Aus meiner Sicht besteht der Sinn, zwei ehrenamtliche Richter dabei zu haben, zum Einen darin, die Gerichtsbarkeit zu kontrollieren - und zum Anderen darin, unbefangene Sichtweisen aus der Praxis einzubringen.
Wie wird man Schöffe?
VGSD: Wie wird man das? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um ehrenamtlicher Sozial- oder Arbeitsrichter zu werden? Gibt es das überall oder nur in Bayern?
Rüdiger Große-Brauckmann: Um Schöffe als Arbeitgebervertreter zu werden, muss man über einen Verband, der noch freies "Kontingent" hat, vorgeschlagen werden, in Bayern zum Beispiel über den VGSD. In unserem Bundesland ist der VGSD nämlich Mitglied bei der arbeitgebernahen Vereinigung der bayerischen Wirtschaft und kann über diese Vorschläge einreichen. Diese wiederum reicht die Empfehlung an das zuständige Ministerium. Dort wird geprüft - und der Empfohlene gegebenenfalls bestellt.
Ehrenamtliche, über die dort zuständigen Verbände vorgeschlagene Richter gibt es in allen Bundesländern. Die Voraussetzungen, um als "Arbeitgebervertreter" ehrenamtlicher Richter zu werden ist, dass man mindestens einen sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigt (> 520 Euro/Monat) sowie Erfahrung als Selbstständiger aufweist. Rechtliches Know-how ist willkommen, aber nicht zwingend erforderlich. Als Arbeitnehmervertreter läuft die Bestellung dagegen in der Regel über Gewerkschaften oder Sozialverbände.
In der Regel fünf Verhandlungen pro Jahr
VGSD: Was bekommst du für dieses Engagement?
Rüdiger Große-Brauckmann: Es ist ein Ehrenamt. Dafür erhält man keine Bezahlung, sondern lediglich auf Antrag die Erstattung der Fahrtkosten und noch eine kleine Aufwandspauschale.
VGSD: An wie vielen Verhandlungen nimmt man pro Jahr teil? Wie hoch ist der Zeitaufwand? Und ist man zeitlebens Schöffe?
Rüdiger Große-Brauckmann: Eine Verpflichtung zum ehrenamtlichen Richter erfolgt normalerweise für einen Zyklus von fünf Jahren. Man soll auch nicht vorher aufhören, nur, weil man keine Lust mehr hat. Es besteht normalerweise auch die Pflicht zur Teilnahme an den vorgegebenen Terminen. Das sollte man sich daher vorher also gut überlegen. Normalerweise finden fünf physische Verhandlungen pro Jahr statt. Mit An- und Abreise sind das dann im Schnitt etwa fünf Mal ein Dreivierteltag.
Scheinselbständig oder nicht?
VGSD: Wie oft entscheidet man über Fragen der Scheinselbstständigkeit, wie oft über andere Themen - und welche sind das?
Rüdiger Große-Brauckmann: Es gibt im Wesentlichen drei Themengebiete, über die man mitentscheidet, wenn man wie ich über den VGSD bestellt wird: Das sind zum Einen die Erwerbsminderungsrenten. Die Ansprüche seitens der Klagenden sind oft schwer durchzusetzen und werden schnell abgewiesen. Zum Anderen geht es um Rentenansprüche, drittens um Scheinselbstständigkeit. Die Häufigkeit der Urteile folgt dieser Rangfolge. Die Bereiche Arbeitslosengeld 1 und 2 gehören in meinem Fall nicht dazu. Das ist ein anderes Ressort.
VGSD: Wie ist der Ablauf eines Verfahrens und wie lange zieht sich das hin?
Rüdiger Große-Brauckmann: Der Hauptrichter bereitet das Verfahren in aller Regel sehr gut vor. Es haben manchmal auch schon vorab Anhörungstermine durch den Hauptrichter stattgefunden. Man kann von einem Umfang von circa 5 Stunden Verhandlungszeit ausgehen.
Der Hauptrichter bringt die Dinge meist sehr gut auf den Punkt, die Verhandlungen sind oft abschließend. Es kann jedoch auch zu weiteren Terminen kommen oder zu einem Urteil mit der Möglichkeit zur Zulassung einer Berufung zum Landessozialgericht.
"Nach bestem Wissen und Gewissen"
VGSD: Wie viel Einfluss hast du auf die Entscheidungen? Könntest du theoretisch zusammen mit dem anderen ehrenamtlichen Richter den hauptamtlichen überstimmen?
Rüdiger Große-Brauckmann: Die Schöffen haben das gleiche Stimmrecht wie der Hauptrichter. Man ist jedoch per Eid verpflichtet, dem Gesetz der Bundesrepublik Deutschland nach besten Wissen und Gewissen zu dienen. Hat man keine ausgefeilte eigene Argumentation, kann man sich nur den Argumenten des professionellen Hauptrichters anschließen. Das ist meist der Fall. Aber in einem konkreten Fall habe ich auch allein dagegen gestimmt, da ich mich als Arbeitgebervertreter sehe und die Interessen dieser Gruppe im Fokus habe.
Spannender Blick durch die Richterbrille
VGSD: Was ist deine Motivation für dieses Ehrenamt?
Rüdiger Große-Brauckmann: Gerne wollte ich einfach auch mal durch die Richterbrille blicken, um zu verstehen, wie Urteile gefällt werden. Ich finde es spannend und man lernt auch etwas. Jedoch ist bei vielen Urteilen die Entscheidung durch den Hauptrichter bereits so gut vorbereitet, dass man (leider) in der ersten Instanz meist nur einen kurzen Einblick in die Problematik erhält.
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