Die Ein-Personen-Gesellschaft galt vielen als Schutz vor der Scheinselbstständigkeit. Diese – schon immer trügerische – Gewissheit hat das Bundessozialgericht nun mit neuen Urteilen ins Wanken gebracht.
"Ist der Auftragnehmer eine Gesellschaft in Form einer juristischen Person (z. B. AG, SE, GmbH, UG [haftungsbeschränkt]), schließt dies ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zum Auftraggeber grundsätzlich aus."
So steht es im Rundschreiben der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) vom April 2022. Sind damit alle Solo-Selbstständigen vom Verdacht der Scheinselbstständigkeit frei, sobald sie eine GmbH oder eine Unternehmergesellschaft (UG) gründen?
Tatsächlich scheint es manchen Solo-Selbstständigen als das Mittel der Wahl, mit der Rechtsform der GmbH oder UG unangenehmen Nachforschungen der DRV aus dem Weg zu gehen. Doch ein Selbstläufer war die Sache nie. Zuletzt in einem Beitrag im Herbst 2022 wiesen wir darauf hin, dass die Gesellschaftsform allein keine Garantie ist, von Überprüfungen in Sachen Scheinselbstständigkeit verschont zu bleiben.
Weisungsgebundenheit in der Pflege erscheint naheliegend
Nun hat das Bundessozialgericht (BSG) im Juli mit drei Urteilen klargestellt, dass Vertragsbeziehungen mit einer Ein-Personen-Kapitalgesellschaft sozialversicherungspflichtig sein können. Es komme auf den "Geschäftsinhalt, wie er sich nach der tatsächlichen Durchführung des Vertrages darstellt" an, teilte das Gericht zu den drei Urteilen mit (Aktenzeichen B 12 BA 4/22 R, B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R). Die Rechtsform allein schützt also nicht.
Bei zwei der Verfahren ging es um Pflegedienstleistungen – Tätigkeiten, für die eine starke Integration in die Arbeitsabläufe des Auftraggebers erforderlich ist. Eine Scheinselbstständigkeit scheint bei einer als Gesellschaft auftretenden Einzelperson dabei nicht so fernliegend. "Ein für eine selbstständige Werk- oder Dienstleistung erforderlicher unternehmerischer Gestaltungsspielraum kam der UG nicht zu", schreibt das Gericht zum einen der beiden Fälle.
"Paukenschlag" für beratende Solos?
Etwas mehr Fragen wirft das dritte der drei Urteile auf (B 12 BA 4/22 R). Die Rechtsanwaltskanzlei Kleffner Rechtsanwälte in Markkleeberg hält das Urteil für einen "Paukenschlag in der Beurteilung von Beschäftigungsverhältnissen hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht". Das BSG schaffe mit dem Urteil "erneut erhebliche Rechtsunsicherheiten, die eigentlich seit fast 10 Jahren überwunden schienen", schreiben die Anwälte in ihrem Newsletter vom 24. Juli 2023.
Die Entscheidungsgründe des Urteils liegen noch nicht vor; sie werden in zwei bis drei Monaten erwartet. Solange gibt es nur die kurzen Mitteilungen des BSG, um die Fallkonstellation nachzuvollziehen.
Berater wurde später angestellt
In dem Fall ging es um eine UG mit alleinigem Geschäftsführer, der mit seiner Auftraggeberin einen Beratervertrag abschlossen hatte. Aufgabe war es, die Auftraggeberin "bei der Optimierung vertrieblicher Strukturen und im Vertrieb der Produkte zu unterstützen". Vereinbart wurden zunächst drei, später vier Beratertage pro Woche, die zu einem pauschalen Tagessatz vergütet wurden. Zwei Jahre nach Beginn der freien Mitarbeit wurde der Geschäftsführer von der Auftraggeberin versicherungspflichtig angestellt.
Die Tätigkeiten des Beauftragten werden so beschrieben: "Er pflegte Kontakte zu bestehenden Händlern, baute Kontakte zu neuen Händlern auf, betreute Messen vor Ort – auch im Ausland –, warb Aufträge ein und schulte Mitarbeiter. Der Solo-Selbstständige "stand im ständigen Dialog mit dem Geschäftsführer der Auftraggeberin, der seine Tätigkeit kontrollierte und die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen auf Plausibilität und Wirtschaftlichkeit prüfte", heißt es in der Fallbeschreibung des Gerichts. Es urteilte daher: "Geschäftsinhalt der Vereinbarungen … war eine weisungsgebundene unternehmensberatende und -fördernde Tätigkeit unter Eingliederung … in deren Organisation."
Eine typische oder eine untypische Vereinbarung?
Das BSG ignoriere damit sein eigenes Prüfungsschema, das die getroffenen Vereinbarungen in den Vordergrund stelle, kritisieren die Anwälte der Kanzlei Kleffner. Allerdings hat auch dieses Prüfungsschema nicht ausgeschlossen, eine "wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses" und unter besonderen Umständen eine "hiervon [=den vertraglichen Vereinbarungen] abweichende Beurteilung" vorzunehmen.
Es gebe "tausende" entsprechende Vereinbarungen bei Unternehmensberatern und Interims-Managern, schreiben die Anwälte. Auftraggeber müssten nun fürchten, dass bei Betriebsprüfungen "dem Buchungskonto 'Fremdleistungen' besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird".
Wir sehen den Fall auf Basis der bisher vorliegenden Informationen nicht ganz so pessimistisch. Er zeigt einige Hinweise auf eine stärkere Integration ins Unternehmen, als sie für Berater typisch ist. Wir hoffen, dass die Deutsche Rentenversicherung ihn nicht zum Anlass nehmen wird, die Selbstständigkeit von Beratern und anderen Dienstleistern über das ohnehin schon bestehende Maß hinaus in Frage zu stellen und werden uns natürlich weiterhin mit ganzer Kraft für mehr Rechtssicherheit einsetzen. Genaueres werden die Urteilsgründe zeigen, über die wir euch berichten werden, sobald sie vorliegen!
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