Der politisch links stehende US-Radiosender “Ring of Fire”, dessen Programm von 43 Radiostationen in den USA übernommen wird, hat am Donnerstag in einem auch auf YouTube verfügbaren Beitrag über die Auswirkungen des kalifornischen Gesetzes “Assembly Bill 5” berichtet, das Freelancer vor Scheinselbstständigkeit schützen soll und über dessen Entstehungsgeschichte wir schon mehrfach informiert hatten.
Das Gesetz ist von der demokratischen Partei durchgesetzt worden. Die Kriterien für Scheinselbstständigkeit wurden so massiv verschärft, dass viele bisher Selbstständige nun angestellt werden müssen. Schon im Vorfeld gab es die Befürchtung, dass das Gesetz mit heißer Nadel gestrickt sei (zum Beispiel in Bezug auf den wie ein Flickenteppich wirkende Ausnahmenkatalog). Wir fürchteten auch, dass ähnlich wie zurzeit in Deutschland viele Selbstständige ihre Aufträge verlieren, weil sie angesichts des zusätzlichen bürokratischen Aufwands nicht mehr kostendeckend in Kalifornien durchgeführt werden können bzw. an Selbstständige in anderen Bundesstaaten vergeben werden.
US-Talksendung "New California Labor Has Made Freelancing Nearly Impossible" (YouTube)
“Großer Fehlschlag”
Moderator Farron Cousins und RT-Korrespondentin Brigida Santos erklären, warum "das Gesetz, das vor allem zum Schutz von Uber-Fahrern gedacht war, nun zu massiven Auftragsverlusten von freien Journalisten, Autoren, Musikern und anderen” führt, wie es im Erläuterungstext zum Video heißt. Der Titel des Beitrags lautet übrigens übersetzt: “Neues kalifornisches Arbeitsgesetz macht Freelancing fast unmöglich"
Einer politisch motivierten Kritik ist der Sender übrigens unverdächtig. Der Host leitet das Gespräch damit ein, dass sie alle sich ja schon lange mehr Schutz für Gig-Worker gewünscht hätten und fordert später, es müsse stärkere Gewerkschaften geben.
In Bezug auf das erst vor wenigen Tagen in Kraft getretene Gesetz sind beide Gesprächspartner sich aber einig: Es handle sich um einen “Big Fail” - einen “großen Fehlschlag”. Statt Crowdworker zu schützen, sorge es für die Kündigung von Verträgen und für große Kontroversen.
Die Korrespondentin sagt, das Gesetz sei nicht gut durchdacht und die Öffentlichkeit hätte kaum Gelegenheit gehabt, im Vorfeld Bedenken und Verbesserungsvorschläge vorzubringen.
“Freelancing is basically no longer possible"
Das Gesetz mache aus bislang Selbstständigen Angestellte, sofern sie sich nicht als “Businesses” (gemeint sind Kapitalgesellschaften) inkorporieren. Es gäbe zwar auch Branchenausnahmen, zum Beispiel für Gesundheitsberufe, Architekten und Ingenieure, Buchhalter, Immobilien- und Börsenmakler, aber die seien sehr eng ausgelegt. In einem Eilurteil seien auch Lkw-Fahrer ausgenommen worden, aber es sei unklar, ob dies bindend sei.
Host und Korrespondentin seien beide für mehr Arbeitsrechte, aber als Ergebnis dieses Gesetzes würden keineswegs neue Festanstellungen entstehen, vielmehr sei in der kurzen Zeit seit Inkrafttreten den Freelancern viel Schaden entstanden.
Uber und Lyft, gegen die sich das Gesetz eigentlich richtet, würden es dagegen nicht umsetzen und im Fall von Uber mit Änderungen der App speziell für den kalifornischen Markt versuchen sicherzustellen, dass seine Fahrer von einer der Ausnahmeregelungen profitieren und nicht betroffen sind.
In anderen Branchen hätten die Freelancer während der Weihnachtsfeiertage massenhaft Kündigungen erhalten. Vox Media zum Beispiel habe alle freien Mitarbeiter in Kalifornien gekündigt, weil sie sonst jeden, der mehr als 35 Beiträge pro Jahr für sie schreibt, als Vollzeit-Mitarbeiter hätten anstellen müsste. Auch Fotografen, Schauspieler, Musiker, für die Los Angeles ein Hotspot ist, hätten viele Aufträge verloren.
Einen Bassisten, der abends auf einem Gig gespielt und dafür bisher 100 Dollar erhalten habe, müsse man jetzt anstellen, einen Arbeitsvertrag schließen, ein Lohnbuchhaltungsbüro beauftragen, Sozialabgaben und Lohnsteuer getrennt vom Honorar abführen – das sei eine absurde Bürokratie.
Wer ist verantwortlich?
“Wer hat dieses Gesetz geschrieben? Tun sie etwas, um es zu überarbeiten?” fragt der Moderator. Die Korrespondentin antwortet, dass die für das Gesetz verantwortliche Kongressfrau Lorena Gonzalez es verteidige. Dabei hätten 46 Prozent der Selbstständigen angegeben, sie seien selbstständig, weil sie aufgrund von persönlichen Umständen gar nicht in traditionellen Anstellungsverhältnissen arbeiten könnten.
Ihres Erachtens stelle das Gesetz ein gefährliches Vorbild dar für andere Bundesstaaten. Ohne starke Gewerkschaften (!) drohe das Ende der Selbstständigkeit in Amerika. (Diese Aussage ist etwas erstaunlich, weil das Gesetz von Gewerkschaft vorangetrieben wurde.)
Moderator Farron Cousins berichtet von seinen eigenen Erfahrungen als Selbstständiger. Auch er hätte keine Aufträge erhalten, hätte das Gesetz früher schon gegolten. Uber und Lyft hätten ihre Mitarbeiter schlecht behandelt und sollten reguliert werden, aber es gebe viele andere Freelancer, für die die Selbstständigkeit sehr gut funktioniere, weil sie das sei, was sie wollen, weil sie besser zu ihre Lebensumständen passe und ihnen die gewünschte Freiheit biete.
Über den Sender und die Korrespondentin
Ring of Fire ist ein progressives, über zahlreiche Radiostationen syndiziertes US-Talk-Radio-Programm, das von Mike Papantonio, Sam Seder und Farron Cousins moderiert wird. Die drei Hosts konzentrieren sich laut “Über uns”-Text auf ihrer Website darauf, "Wall Street Schlägertypen, Umweltkriminalität sowie Versagen der großen Medien aufzudecken und politische Hintergrundgeschichten zu veröffentlichen, die man selten bei anderen Quelle findet”. (Wikipedia)
Die Korrespondentin ist von RT, vormals “Russia Today”. Dies ist ein 2005 vom russischen Staat gegründeter und staatlich finanzierter Auslandsfernsehsender. "Kritiker betrachten den Sender als Auslands-Propagandakanal von Präsident Putin. Der Sender gibt an, dem Publikum die 'russische Sichtweise' auf das internationale Geschehen vorzustellen und ein Gegengewicht zu 'westlichen Medien' darstellen zu wollen.” (Wikipedia)
Chance für andere Bundesstaaten
Aus anderen Bundesstaaten wie Texas oder Washington hören wir, dass das kalifornische Gesetz dort als Chance gesehen wird, gegenüber dem Silicon Valley zu punkten. Man erhofft sich in Städten wie Austin und Portland die Verlagerung attraktiver Aufträge und Jobs. Die Lebenshaltungskosten sind dort sehr viel niedriger.
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