Von R. S.
Nach einem extrem heißen Tag begann am Freitag pünktlich um 18:00 Uhr im Hamburger betahaus die zweite Veranstaltung der VGSD-Vortragsreihe - zu dem ebenfalls extrem heißen und kontrovers diskutierten Thema „Scheinselbstständigkeit“.
Eingeladen hatte der VGSD zusammen mit der XING-Gruppe „XING Live Hamburg“.
Für rund 120 Teilnehmer begann der Abend mit der Frage, was ein Haufen Werbeprospekte im Briefkasten mit dem Thema des Abends zu tun hat. Eigentlich gar nichts - wäre dazwischen nicht ein Brief der Deutschen Rentenversicherung (DRV) gewesen.
Mit diesem Brief änderte sich alles
Er änderte von einem Tag auf den anderen das Leben von Christa Weidner, der Referentin. Bislang hatte sie alles richtig gemacht, hatte als tüchtige Freiberuflerin immer mehr Aufträge erhalten und schließlich selbst eine Reihe von freien Mitarbeitern bei Kundenprojekten eingesetzt – und alles stets von der Deutschen Rentenversicherung prüfen und für korrekt befinden lassen. Und dann kam dieser Brief.
Um die Entwicklung zu verstehen, machte Christa eine einfache Übung mit uns. Einfach mal den gesunden Menschenverstand abschalten und dann anhören, wie die Rentenversicherung Bund mit den unterschiedlichsten Argumenten eine selbstständige Tätigkeit in eine Scheinselbstständigkeit umdeutet.
Am Ende haben die Gerichte zwar entgegen der DRV-Bescheide in den sechs strittigen Fällen die Selbstständigkeit von Christas freien Mitarbeitern bestätigt. Allerdings hat dies drei Jahre gedauert und Christa musste ihr Geschäftsmodell aufgegeben. Und bei anderen Betroffenen nutzt die DRV die gleichen fragwürdigen Kriterien weiterhin, um auf Scheinselbstständigkeit zu entscheiden...
Man erlebte mit, wie sich das Ganze für einen Betroffenen anfühlen musste
Der Vortrag war emotional, er rüttelte auf, man erlebte mit, wie das Ganze sich für Christa und andere Betroffene anfühlen muss. Kopfschüttelnd mussten viele Zuhörer feststellen, dass es derzeit viele Kriterien gibt, die für eine Scheinselbstständigkeit sprechen, aber kaum (praktikable) Kriterien dafür, dass eine Selbstständigkeit vorliegt. Wir alle - die Auftraggeber, die Agenturen und die Selbstständigen benötigen aber Rechtssicherheit für unsere tägliche Arbeit.
Ich bin mit gemischten Gefühlen, einer guten Portion Verunsicherung und mit vielen Fragen nach Hause gegangen. Wie kann es angehen, dass eine gängige Praxis ohne Gesetzesänderung durch eine Behörde einseitig verändert werden kann? Dass man sich bei einer an sich einfachen Sache wie der Erteilung eines Auftrags nicht mehr auf den gesunden Menschenverstand, ja noch nicht einmal auf den Rat eines Anwalts verlassen kann? Christa hat es zu Beginn ihres Vortrages mit den Worten „ich habe alles richtig gemacht“ auf den Punkt gebracht: Alles richtig machen - das reicht nicht mehr...
Wenn "alles richtig machen" nicht mehr reicht...
Mit dem Wissen von heute können wir Selbstständige eigentlich nicht so weiter machen, aber andererseits bleibt uns in vielen Situationen nichts anderes übrig als mit der Unsicherheit zu leben. Wir brauchen deshalb einen breiten und ergebnisoffenen Dialog, um eine gute und zukunftsweisende Lösung zu erarbeiten. Und an diesem Dialog müssen wir Selbstständige beteiligt werden.
Unterstützt den VGSD und nehmt aktiv an diesem Veränderungsprozess teil.
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