"Größtes Weihnachtsgeschenk, das man sich vorstellen kann": So kommentiert die freigesprochene Angeklagte die Entscheidung des OLG Düsseldorf. Statt Strafe wegen Subventionsbetrugs ein doppelter Freispruch erster Klasse. Anderen Betroffenen möchte sie Mut machen.
Der 14. Dezember wird einen festen Platz als privater Feiertag im Kalender der Familie Dietrich bekommen. Der Tag, an dem ein Alptraum ein Ende hatte. Nun steht fest: Helena Dietrich, Kosmetikstudio-Inhaberin und Mutter zweier erwachsener Töchter, hatte Anspruch auf die im März 2020 beantragte Corona-Soforthilfe und hat keinen Subventionsbetrug begangen. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat den Freispruch des Landgerichts Wuppertal bestätigt. Der VGSD hatte über den Fall berichtet und die Verteidigung der Dietrichs finanziell unterstützt.
Ein harter und langer Weg für die Familie
"Wir haben alle Rotz und Wasser geheult", berichtet Angelina Dietrich, Tochter der Angeklagten, die ihre Mutter in dem Verfahren maßgeblich unterstützt hatte, über die Erleichterung nach der Entscheidung. Die Familie – neben der angeklagten Mutter und Jura-Studentin Angelina nahm auch die zweite Tochter Anteil – hat einen langen Weg hinter sich.
Helena Dietrich, alleinerziehende Mutter von zwei erwachsenen Töchtern, verliert im Januar 2019 ihren Job als Filialleiterin bei einer Spielzeugkette. Da ihre Leidenschaft schon lange der Kosmetik gilt und sie sich neben der Arbeit eine Ausbildung zur Kosmetikerin finanziert hat, eröffnet sie nach dem Jobverlust im April 2019 ein Kosmetikstudio. Dieses läuft gut an, doch die Einnahmen schwanken und sie hat viele Ausgaben, sie unterstützt ihre erwachsenen Töchter beim Studium. Sie nimmt deshalb im September 2019 eine Festanstellung als Berufsbegleiterin an und arbeitet in dieser 39 Wochenstunden. Die Kundinnen und Kunden im Kosmetikstudio versorgt sie nachmittags, abends und am Wochenende. Im November 2019 übernimmt sie ein zweites Kosmetikstudio, das schon einen festen Kundenstamm hat.
Trotz Krise den Kontakt zu den Kundinnen pflegen
Im März 2020 muss sie wegen des ersten Lockdowns beide Studios schließen. Sie beantragt für das erste Studio Soforthilfe und erhält im April 9.000 Euro. Angelina Dietrich erkundigt sich für ihre Mutter bei der Handwerkskammer, ob sie auch für das zweite Studio Hilfe bekommen könnten und erhält die Auskunft, es sei ratsam, für dieses einen zweiten Antrag zu stellen. Dieser wird abgelehnt.
Die Familie kämpft sich gemeinsam durch die Krise. Angelina erzählt, wie ihre Mutter versucht, mit dem Verkauf und Ausfahren von Produkten den Kontakt zu den Kundinnen zu halten.
Im Sommer 2020 dann Post von der Bank: Das Konto ist gepfändet. Es stellt sich heraus, dass Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dahinterstecken. Mutter und Tochter gehen von einem Irrtum aus. Einem Missverständnis, das sich schnell klären lässt. Doch weit gefehlt. Die Strafverfolger lassen nicht von Helena Dietrich ab, sie werfen ihr Subventionsbetrug vor. Es kommt zum Prozess vor dem Amtsgericht Solingen.
Zwei Punkte werden der Mutter vorgeworfen:
- Sie habe ihre Kosmetikstudios nicht im Haupt-, sondern nur im Nebenerwerb betrieben. Das ist entscheidend, da die Soforthilfe nur für selbstständige Tätigkeiten, die im Haupterwerb betrieben wurden, gewährt wurde. Was allerdings ein "Haupterwerb" ist, ist weder generell juristisch einheitlich geklärt noch im Antrag definiert.
- Sie hätte nicht für beide Studios Anträge stellen dürfen. Der Tatbestand des Subventionsbetrugs (§ 264 Strafgesetzbuch) ist nicht erst erfüllt, wenn die antragstellende Person Geld erhält, sondern schon dann, wenn sie falsche Angaben macht.
Im März 2021 spricht das Amtsgericht Solingen Helena Dietrich des Subventionsbetrugs in zwei Fällen schuldig. Es verurteilte sie dazu, die 9.000 Euro Soforthilfe zurückzuzahlen, und zusätzlich zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro. Das Urteil ist für die Familie ein Alptraum. "Meine Mutter hat die Welt nicht mehr verstanden", sagt Angelina Dietrich. Sie sei verzweifelt gewesen und drauf und dran, den Schuldspruch hinzunehmen. Nur dem Kampfgeist der Tochter ist es zu verdanken, dass die Geschichte nicht hier endet.
Hier das Urteil des Amtsgerichts Solingen (erste Instanz):
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Angelina Dietrich ist überzeugt, dass das Urteil ungerecht ist. Ihre Wut setzt sie in Tatkraft um: Sie überredet ihre Mutter, in Berufung zu gehen und sich dafür neue Anwälte zu suchen. Der Anwalt der ersten Instanz hat sie schwer enttäuscht. Jura-Studentin Angelina schreibt Briefe, telefoniert herum und unterstützt die neuen Anwälte mit Hinweisen und dem Material, das sie zusammenträgt.
Das Landgericht Wuppertal fällt sein Urteil im Oktober 2021. Es ist eine schallende Ohrfeige für das Amtsgericht Solingen und die Staatsanwaltschaft. "Am Ende hat sich der Richter bei uns quasi für die Staatsanwaltschaft entschuldigt", berichtet Angelina. Die Härte der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft, das monatelang gesperrte Konto – das sind einschneidende Erfahrungen für die Familie.
Haupterwerb: Nicht Verdienst, sondern Zeitaufwand entscheidend
Das Landgericht hat keinen Zweifel daran, dass Helena Dietrich ihre Kosmetikstudios im Haupterwerb betreibt. Dabei ist für das Gericht nicht entscheidend, wie viel Helena Dietrich mit ihren Kosmetikstudios verdient, sondern wie viel sie arbeitet. Neben ihren 39 Stunden in Festanstellung seien das 47 Stunden – was eine Wochenarbeitszeit von 86 Stunden ergibt. "Meine Mutter ist ein Arbeitstier", sagt Angelina Dietrich. Den Haushalt führen derweil die erwachsenen Töchter.
Auch den Antrag für das zweite Studio findet das Landgericht unproblematisch. Es sei nachvollziehbar, dass die Dietrichs eine solche Auskunft eingeholt hätten. Dass der Mitarbeiter der Handelskammer eine falsche Auskunft gab, spiegle "in stimmiger Weise die seinerzeit herrschende Unsicherheit im Zusammenhang mit der Antragsberechtigung wider".
Hier das Urteil des Landgerichts Wuppertal (zweite Instanz):
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Die Staatsanwaltschaft will das Urteil nicht auf sich sitzen lassen und geht in Revision. In einer Revision wird nicht noch einmal auf die tatsächlichen Vorgänge eingegangen, sondern die Ankläger müssen dem Gericht einen Rechtsfehler nachweisen, wenn sie Erfolg haben wollen.
Die Staatsanwaltschaft zweifelt an, dass Helena Dietrich so viel Arbeitszeit in ihre Kosmetikstudios gesteckt habe. Ob das tatsächlich so war, kann sie im Revisionsverfahren aber nicht überprüfen lassen. Die Richter am Landgericht haben den Ausführungen der Dietrichs Glauben geschenkt und sind in ihrer Beweiswürdigung frei. Deshalb argumentiert die Staatsanwaltschaft: Eine Wochenarbeitszeit von 86 Stunden könne niemand dauerhaft durchhalten. Es liege deshalb ein Rechtsfehler des Gerichts darin, die hohe Stundenzahl überhaupt nicht zu hinterfragt zu haben.
Außerdem beharren die Ankläger darauf, dass der zweite Antrag auf Soforthilfe strafbar gewesen sei.
Hier die Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft (um eine Verhandlung in dritter Instanz zu erreichen):
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Die Revisionsbegründung überzeugt die Richter am Oberlandesgericht (OLG) nicht. Sie bestätigen das Urteil des Landgerichts Wuppertal ohne Einschränkungen. Beide Studios im Hauptbetrieb, keine falschen Angaben, keine Zweifel an der Arbeitszeit, kein Problem mit dem zweiten Antrag: Die Richterinnen und der Richter des dritten Strafsenats am OLG Düsseldorf erteilen der Staatsanwaltschaft eine ebenso deutliche Abfuhr wie die Vorinstanz.
Die Dietrichs haben nun den endgültigen Freispruch.
Ermutigung für andere Betroffene
"Wir haben das geschafft, weil wir als Familie zusammenhalten. Ich frage mich, wie Menschen das durchstehen, die allein sind", sagt Angelina Dietrich. Dennoch wünschen sich Mutter und Tochter, dass auch andere Betroffene nicht aufgeben: "Ich bin dankbar, dass es gute Richter gibt, die sich mit dem Fall auseinandergesetzt haben. Ich möchte anderen Mut machen, dass es in unserem Land so gute Richter gibt", sagt Helena Dietrich.
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