Die Reutax AG war einer der größten Personalvermittler in Deutschland. 2013 war sie insolvent. Viele Freelancer/innen warteten monatelang vergebens auf ihre Honorare – und mussten währenddessen sogar weiterarbeiten. Könnte so etwas heute wieder passieren?
Der Personaldienstleister Reutax aus Heidelberg galt lange als einer der erfolgreichsten Vermittler von IT-Fachleuten weit und breit, Hunderte freiberufliche Berater/innen waren für das Unternehmen tätig. Zu den Kunden zählten Konzerne wie die Deutsche Telekom, T-Systems und die Deutsche Bahn.
Doch dann folgte der harte Fall: Im März 2013 war das Unternehmen insolvent. Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatte der Gründer Soheyl Ghaemian viele Firmengelder für private Luxusausgaben veruntreut. Reutax soll sogar dann noch Verträge mit Freiberuflern geschlossen haben, als die Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bevorstand. Ghaemian wurde 2014 wegen Insolvenzverschleppung und Betrug zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt.
Unser Vereinsmitglied Christa Weidner war damals eine der Betroffenen und hatte vergangene Woche ein Deja-vu. Eine große deutsche Agentur, für die sie zurzeit tätig ist, zahlte nicht – wie sonst üblich – fristgemäß ihre Rechnung. Sie rief an, konnte aber trotz mehrerer Versuche niemanden erreichen, auch auf ihre Mails erhielt sie keine Antwort. Sie fühlte sich an Reutax erinnert, wo es ähnliche Warnzeichen gegeben hatte.
Christa ist jemand, der nicht so leicht locker lässt. Nach zahlreichen Versuchen erreichte sie endlich einen Ansprechpartner, der freimütig technische Probleme einräumte und sinngemäß sagte: "Da haben schon viele angerufen." Tatsächlich hat Christa inzwischen ihr Honorar erhalten. Wahrscheinlich wäre die Nervosität im Rückblick nicht nötig gewesen – sie ist aber auch nicht überraschend vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und in einer Zeit, in der sogar Banken finanziell ins Schleudern geraten. Um so wichtiger findet Christa eine klare Kommunikation: "Ich hätte mir gewünscht, dass das Unternehmen die Selbstständigen proaktiv über die Verzögerung informiert hätte."
Was Freelancer aus der Reutax-Pleite lernen können
Eine Pleite wie die von Reutax könnte sich wiederholen. Dafür sensibilisiert zu sein, ist vielleicht eine der wichtigsten Erkenntnisse für heutige Freelancer, die bisher noch nie mit einer Insolvenz zu tun hatten. Den von Reutax Betroffenen ging es vor zehn Jahren ähnlich – sie hatten so etwas noch nie erlebt und standen vor vielen offenen Fragen, das Ganze geriet deshalb zu einer Zitterpartie. Am schmerzhaftesten war, dass die Freelancer kein Honorar bekamen und Mails und Anrufe von Reutax nicht mehr beantwortet wurden.
Im Internet kursierten daraufhin viele vage, teils widersprüchliche, Ratschläge, was in dieser Lage zu tun sei. Die Computerwoche etwa schrieb: "Bestehen noch offene Forderungen, sollte der Freiberufler diese zur Insolvenzmasse anmelden. Das gleiche gilt für etwaige Schadenersatzforderungen. In der Regel werden diese Forderungen nicht vollständig, sondern lediglich mit einer Quote beglichen. Der Freiberufler wird also lediglich einen Bruchteil der ursprünglichen Forderung herausverlangen können."
Letzten Endes erhielten die Betroffenen im Fall von Reutax allerdings überhaupt kein Geld. Besonders bitter: Sie wurden monatelang vertröstet und mussten auf Anweisung des Insolvenzverwalters ohne Bezahlung weiterarbeiten – Endkunden wie die Deutsche Telekom hatten ja ihre Rechnungen bereits bezahlt, die Selbstständigen hatten ihre Leistung vertraglich zugesagt, nur dass das Geld wegen der Pleite des Vermittlers nicht bei den Freelancern ankam. Eine groteske Situation. Auch im Vergleich zu Angestellten: Diese hätten einfach die Arbeit einstellen können und im Gegenzug Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit erhalten. So viel übrigens auch zu dem Argument der Deutschen Rentenversicherung (DRV), Soloselbstständige würden kein unternehmerisches Risiko tragen. Damit begründet die DRV häufig ihre Entscheidungen für eine abhängige Beschäftigung.
Warum spielen Vermittler für Freelancer eine so wichtige Rolle?
Eine entscheidende Funktion von Vermittlern ist die Zwischenfinanzierung von Aufträgen, das heißt sie bezahlen die Freelancer zeitnah, auch wenn sie von Auftraggebern eventuell länger auf Geld warten müssen. Das kann einen solchen "Zwischenhändler" natürlich in Liquiditätsprobleme bringen, besonders in einem auch für Auftraggeber wirtschaftlich eher unsicheren Umfeld.
Vereinbarungen großer Unternehmer mit Einzelkämpfern sind aber die absolute Ausnahme. Unternehmen versprechen sich durch den Einsatz von Personalvermittlern eine einfachere Administration, ein besseres und schnelleres Matching und vor allem einfachere Vertragsbeziehungen und Abrechnungsprozesse. Viele Freiberufler haben daher keine andere Wahl als Agenturen zu nutzen, die wiederum ihren Freelancern nicht nur Zugang zu großen Projekten ermöglichen, sondern - in der Regel zumindest - auch verlässliche Zahlungseingänge garantieren können.
Freelancer oder Selbstständige, die über Vermittler bei ihren Endkunden tätig sind, sollten sich der Möglichkeit eines Zahlungsausfalls also zumindest bewusst sein. Und auf jeden Fall über ein Liquditätspolster verfügen. Denn im Falle einer Insolvenz – das hat die Reutax-Pleite gezeigt – ist aus den Unternehmen, außer durch den Verkauf von Immobilien und Büroausstattungen, nicht mehr viel herauszuschlagen.
Unser weiterer Rat an euch: Tauscht euch bei Problemen frühzeitig auf Basis der beobachteten Tatsachen untereinander aus - ohne aber Gerüchte in die Welt zu setzen, das könnte sonst juristische Konsequenzen für euch haben. Besteht - wie bei anderen Kunden auch - auf eure Honorare, hakt bei Unregelmäßigkeiten zeitnah bei den Vermittlern oder auch bei den Endkunden nach, und besteht auf verbindliche Aussagen. Wenn die Zahlungen länger ausbleiben, setzt eine Frist.
Hast du auch schon Erfahrungen wie Christa gemacht? Wie verhältst du dich, wenn es bei der Bezahlung von Rechnungen zu Verzögerungen kommt?
Du möchtest Kommentare bearbeiten, voten und über Antworten benachrichtigt werden?
Jetzt kostenlos Community-Mitglied werden