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Lesetipp Wie lebst und arbeitest du als Selbstständige mit über 60 Jahren? Erika Mierow, Wohnberaterin: "Ich schätze die Selbstbestimmung"

Es kommt immer so, wie es kommen soll: Erika Mierow hätte vor ein paar Jahren nie gedacht, dass sie eines Tages selbstständig sein würde. Jetzt, im Alter von über 60 Jahren, macht ihr ihre Tätigkeit so viel Spaß, dass sie gar nicht mehr aufhören will zu arbeiten. Das verrät sie im Rahmen unserer neuen Reihe "Wie lebst und arbeitest du als Selbstständige mit über 60 Jahren?". Doch: Kommt da die Freizeit nicht zu kurz?

Nach Jahren im Angestelltenverhältnis entschied sich Erika dazu, selbstbestimmt zu leben – und machte sich, anstatt kürzerzutreten, als Wohnberaterin selbstständig

"Ich heiße Erika Mierow, bin Ü60 und lebe derzeit in Hamburg. Gearbeitet habe ich schon immer gerne: Seit meinem 16. Lebensjahr bin ich erwerbstätig, damals habe ich eine Ausbildung als Spediteurin gemacht. Dann schloss ich den Handelsfachwirt an. Zwischendrin habe ich einige Jahre nicht gearbeitet, aber aus einem schönen Grund: wegen meiner Tochter. Als sie ungefähr zehn Jahre alt war, begann ich an der Uni Hamburg ein Studium für Frauen, die sich nach der Erziehungszeit neu orientieren wollten. Die Fachgebiete konnten interdisziplinär ausgewählt werden. In den Seminaren saß und arbeitete ich dann mit den jungen Regelstudent/innen zusammen. Beendet habe ich das Studium mit einem Zertifikat. Für mich war es damals genau das Richtige.

Als internationale Einkäuferin für Wohneinrichtungs-Gegenstände konnte ich zunächst in Teilzeit arbeiten, stellte dann aber auf Vollzeit um, weil ich inzwischen alleinerziehend war. Der Job brachte auch viele Auslandsreisen mit sich, die fand ich besonders spannend. Später machte ich nebenberuflich eine Coachingausbildung und engagierte mich ehrenamtlich im Krankenhaus als Seelsorgerin.

In meinem Angestelltenjob wechselte irgendwann das Management. Der Druck auf uns Mitarbeitende wurde immer größer – und ich wusste, dass alles besser sein würde, als diesen Job weiterzumachen.

Raus aus dem Hamsterrad

Mit Ende 50 stieg ich schließlich aus meiner Anstellung als Einkäuferin aus. Und ehrlich gesagt hatte ich keinen blassen Schimmer, was ich als Nächstes tun würde. Trotzdem war mir klar: Länger konnte ich in diesem ständigen Hamsterrad nicht funktionieren, und irgendetwas würde sich schon ergeben. Ich meldete mich offiziell arbeitslos, das erste Mal in meinem Leben. Nun hatte ich endlich mal Zeit zum Durchatmen, wollte mich aber schnell sammeln und neu orientieren. Die Frage des Alters hatte ich mir gar nicht richtig gestellt – vielmehr erschrak ich, als eine Angestellte der Agentur für Arbeit mich fragte: 'Wie lange haben Sie es denn noch bis zur Rente?'

Tatsächlich hat mir das Thema Altersvorsorge nie wirklich Magenschmerzen bereitet. Dadurch, dass ich schon seit langer Zeit arbeite, hätte ich bereits mit 63 in Rente gehen können. Doch das war mir viel zu früh. Stattdessen nahm ich an einem Seminar teil, das einem helfen sollte, die eigenen Schwächen und Stärken zu identifizieren. Klingt kitschig, aber ist wirklich so: Die Teilnahme an diesem Seminar hat mir die Augen geöffnet – und plötzlich wusste ich, wo meine Talente schlummern. Deshalb entschied ich mich gegen eine frühe Rente und für die Selbstständigkeit.

Indien und Inneneinrichtung

Meine Idee: die Produzenten in Asien, die ich ja kannte, mit Trendnachrichten und Neuigkeiten zu versorgen. Dafür reiste ich weiterhin viel auf alle möglichen Möbel- und Design-Messen. Ich stellte den Antrag auf Gründerzuschuss, erstellte einen Business-Plan, ließ ihn von der Handelskammer begutachten und tatsächlich: Ich erhielt den Zuschuss.

Weil ich von meinem vorherigen Arbeitgeber eine schöne Abfindung bekommen hatte, war ich finanziell relativ unabhängig. Gleich nachdem ich mich selbstständig gemacht hatte, buchte ich einen Flug nach Indien zu einer mir bekannten Messe, um mich dort in neuer Funktion vorzustellen. Da ich vorher in meinem Job für den Einkauf aus diesem Land zuständig war, kannte ich die Companies, die meinen Service brauchen konnten. Und so flog ich da hin, um sie in Trends und Entwicklungen zu beraten. Dafür hatte ich Trendbücher erstellt, um ihnen zu zeigen, was ich anbieten konnte. Ich wurde überall freundlich begrüßt, meine Bücher stießen auf Interesse, aber verkauft habe ich nur wenig.

Mich selbst zu vermarkten, das fiel mir anfangs wirklich schwer: Ich musste mir eine aussagekräftige Website erstellen, viel networken und auf allen möglichen Events meine Visitenkarten verteilen. Darüber hinaus habe ich ein Konto eröffnet und einen Steuerberater beauftragt. Das waren weitere Kosten und Nerven, die ich, offen gesagt, vorher auch nicht eingeplant hatte.

Aber wie sagt man so schön: Aller Anfang ist schwer. Langsam, aber sicher wuchs mein Netzwerk, und ich erhielt Anfragen für Interviews. Mein Gefühl, dass ich mich in die richtige Richtung bewegte, nahm zu.

Ein weiterer Schlüsselmoment

Ein Jahr nach dem Start meiner Selbstständigkeit – ich war inzwischen Ü60 – entdeckte ich eine Fortbildungs-Maßnahme in Österreich, die mich sofort ansprach: Wohn- und Architekturpsychologie. Ich meldete mich an und fing Feuer. Das war meine Passion, schon immer: Wohn-Atmosphäre. Die Fortbildung erstreckte sich über mehrere Module und ich war sehr froh, dass ich die Mittel besaß, alle mitzumachen und immer wieder nach Wien fliegen zu können.

Seitdem habe ich diese Kompetenz mit aufgesattelt. Bei mir bekommt man nun eine „menschenzentrierte“ und ganzheitliche Wohnberatung. Mein Business: „Wohntrends und Raumpsychologie“. Damit bin ich happy und liebe das, was ich tue.

Und heute?

Als i-Tüpfelchen bin ich seit fast vier Jahren Podcasterin, zusammen mit einer Kollegin aus Wien. Wir haben den Podcast „Wohnsinn & Raumglück“ ins Leben geholt und senden alle 14 Tage neue Themen dazu. Darüber hinaus arbeite ich im Vorstand des Instituts für Wohn- und Architekturpsychologie (IWAP) aktiv und ehrenamtlich mit.

Auch wenn ich inzwischen weit Ü60 bin, habe ich große Freude an meiner Arbeit. Ich schätze die Selbstbestimmung. Nur ich entscheide, wann ich was mache und in welchen Flieger ich steige. Gleichzeitig mag ich den Umgang mit Menschen und freue mich, wenn ich sie in ihren Räumen unterstützen kann. Mir macht auch der Podcast viel Freude. Und ich denke kein bisschen ans Aufhören. Am liebsten würde ich arbeiten, bis ich 'alt' bin und umfalle.

Keine Work-Life-Balance nötig

Mein Arbeitsplatz? Zu Hause! Eine scharfe Trennung zwischen 'Work' und 'Life' gibt es also ohnehin nicht. Trotzdem passe ich auf, dass ich zum Ausgleich die Arbeit immer wieder komplett weglege und sie nicht mehr in meinem Blickfeld ist. Generell achte ich sehr auf einen ausgewogenen Lebensstil, ich gehe viel spazieren, arbeite gerne im Garten und koche oft. Ich liebe, was ich tue. Also brauche ich ehrlich gesagt keine Ruhe von der Arbeit – vielmehr genieße ich mein aktuelles Leben. Mir fehlt es derzeit an nichts. Ich kann endlich in vollen Zügen leben. Hätte ich das früher gewusst, hätte ich mich bereits vor einiger Zeit für die Selbstständigkeit entschieden.

Für mich zeigt sich, dass sich letztendlich alles so entwickelt, wie es gut ist, auch, wenn es nicht geplant war. Allen jüngeren Menschen rufe ich zu: Schaut genau hin, ob die Arbeit und euer Leben so verlaufen, wie ihr es wollt. Falls nicht, ändert etwas. Traut euch einfach.“

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