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Lesetipp Wie lebst und arbeitest du als Selbstständige/r mit über 60 Jahren? Laura Bolardi Schiel, Ü60: "Mein Leben ist eine große Reise"

Laura Bolardi verließ in jungen Jahren ihr Mutterland Argentinien, machte sich selbstständig und wagte eine Reise ins Ungewisse. Jetzt, mit Anfang 60, ist sie stolz darauf, ihre Träume verwirklicht zu haben: Sie gründete eine Familie, hat eine eigene Praxis und sogar einen Podcast. Ist jetzt nicht Zeit für den Ruhestand?

Laura ist der festen Überzeugung, dass persönliche Weiterbildung ein lebenslanger Prozess ist - und gestaltete während der Corona-Pandemie ein hybrides Geschäftsmodell

"Mit gerade einmal 22 begab ich mich auf eine Reise, die irgendwie bis heute anhält: Meinem Impuls folgend und mit wenig Geld verließ ich mein Heimatland Argentinien und wagte den Schritt ins Unbekannte. Raus aus der Gewohnheit und rein ins kalte Wasser – mein Leben wurde plötzlich zu einem aufregenden und manchmal auch anstrengenden Abenteuer. Denn ich spürte, dass mein Land mir unter den damaligen politischen Bedingungen nicht die Voraussetzungen bieten würde, die ich mir für mein Leben wünschte.

Nach verschiedenen Reiseetappen markierte eine Au-pair-Stelle in München meinen Neustart: Alles erschien mir zunächst fremd und neu, doch ich vertraute meiner Intuition. Ich lernte die deutsche Sprache und verschiedene Netzwerke kennen. Bald darauf arbeitete ich als Spanischlehrerin, hatte dauerhaft Aufträge und konnte damit pädagogisch anspruchsvolle Fortbildungen finanzieren.

Mein ursprünglicher Traum: in meinem Heimatland Psychologie zu studieren. Doch dieser direkte Weg war mir damals leider nicht möglich: Die damalige Militärdiktatur brachte Proteste an den geisteswissenschaftlichen Universitäten mit sich. Insbesondere die Universitäten für Psychologie und Philosophie waren Schauplatz zahlreicher Streiks und Unruhen, die oft zur vorübergehenden Schließung führten. Und das war schlichtweg sehr gefährlich.

Peru, Dominikanische Republik, Mama werden

Deshalb begann ich nach und nach verschiedene Ausbildungen zu absolvieren, die sich mit therapeutischem Lernen und Weiterbilden beschäftigten. Ein wenig später lernte ich meinen Partner kennen. Tatsächlich arbeiteten wir fast zehn Jahre mit dem Deutschen Entwicklungsdienst in der Dominikanischen Republik und anschließend in Peru. In der Zeit war ich für eine NGO tätig, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzte und Frauen dabei unterstützte, sichere Räume für die persönliche Entwicklung zu schaffen. Dann öffnete sich ein neues Kapitel: Ich wurde Mama und bekam unser erstes Kind.

Nach unserer Rückkehr nach Deutschland, Ende 30, mit einem weiteren Kind unterwegs, begann ich, mich erneut auf Deutschland einzustellen, und vor allem: mich neu zu sortieren.
Wir schufen ein sicheres Zuhause für unsere Kinder, ich unterstützte meinen Mann in seinem neuen Job und erkundete Möglichkeiten für meine eigene berufliche Entwicklung. Das führte dann dazu, dass ich freiberuflich als Coach und Trainerin für interkulturelle Kommunikation, Trainerin und als Spanischlehrerin arbeitete.

Und die Psychologie?

Mit Ende 40 beschloss ich dann endlich, meiner Leidenschaft für die Psychologie einen formalen Rahmen zu geben: Ich absolvierte die Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie. Trotz zahlreicher Widerstände und Zweifel in meinem Umfeld gründete ich erfolgreich eine Praxis und fokussierte meine Kompetenz und Tätigkeit schließlich auf die Trauma-, Paar- und Sexualtherapie.

Tatsächlich erforderte der Praxisbetrieb von Anfang an meinen vollen Einsatz. Gleichzeitig wollte ich unser Leben auch familienkompatibel gestalten. Das war nicht immer einfach. Aber ich konnte mir in vieler Hinsicht Hilfe und Unterstützung holen. Wie man so schön sagt: Wir wachsen mit unseren Aufgaben.

Leidenschaft und Zukunftssorgen

Ab meinem 60. Lebensjahr begegnete mir eine neue Art von Zukunftsängsten. Weder mein Partner noch ich haben komplett für das Alter vorgesorgt. Doch auch abseits des finanziellen Aspekts hatte ich noch keine Lust, meiner Leidenschaft den Rücken zuzukehren.

Während manche meiner Freunde plötzlich darüber sprachen, nicht mehr arbeiten zu müssen, wurde mir bewusst, dass mein Motto ein anderes ist: Weitermachen. Die Arbeit mit verschiedenen Menschen, mit Frauen, Männern, Paaren, Jugendlichen aus verschieden Herkünften und mit unterschiedlichen Problematiken bereitet mir große Freude, was ich ohnehin nicht bereit bin aufzugeben. Gleichzeitig wusste ich, dass ich etwas an meinem Arbeitsalltag ändern sollte – um mehr finanziellen und sinnstiftenden Gewinn zu generieren.

Sich weiterzuentwickeln, ist eine existenzielle Aufgabe, auch mit Ü60!

Ich konzentriere mich deshalb darauf, eine effektivere Plattform zu schaffen, um mit meinen
Beratungs- und Therapieansätzen mehr Menschen zu erreichen. Das bedeutet, dass ich meine normalen Vollzeit-Präsenz-Angebote in der Praxis mit Online-Aktivitäten kombiniere. Dieses Hybridformat hat mir besonders während der Corona-Pandemie vielversprechende Möglichkeiten geboten. Denn ich konnte auf neue Weise expandieren: Mit Mehrsprachigkeit, interkulturellen Erfahrungen, sowohl ein deutsch- als auch ein spanischsprachiges Publikum anzusprechen, all das war auf einmal möglich. Die Erweiterung von der Präsenz zur Online-Praxis bringt einiges an zusätzlicher Arbeit mit sich. Und ehrlich gesagt: Manchmal würde ich am liebsten in die sichere Komfortzone zurückkehren. Doch mit der Online-Praxis fordere ich mich selbst heraus. Ich empfand und empfinde es als existentielle Aufgabe, mich weiterzuentwickeln, das war mit U60 so und es ist auch mit Ü60 nicht anders.

Freude und Neugierde

Manchmal habe ich Sorge, dass ich gar nicht genug Zeit habe, alle Themen und Sprachen in meinen Arbeitsalltag zu integrieren. Man weiß nie, was auf einen zukommt: Plötzliche Krankheit, politische Veränderungen, etc. Doch hätte ich mich von diesen Ungewissheiten lähmen lassen, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.

2022 habe ich den Podcast 'Lichtmomente' ins Leben gerufen. Ich spreche über Themen, die mich bewegen, über therapeutische Ansätze und neuste Erkenntnisse der Neurowissenschaft. All das setze ich in Zusammenhang mit mentaler Gesundheit, Achtsamkeit und Wohlbefinden. Meine persönlichen Erfahrungen rund um die Themen Entwicklung und Transformation zu teilen, macht mir sehr viel Spaß.

Konfuzius gibt das Motto vor

Wenn in meinem Umkreis die Frage auftaucht, warum ich noch nicht im wohlverdienten Ruhestand bin, verweise ich gerne auf ein Sprichwort von Konfuzius: 'Es ist egal, wie langsam du gehst, solange du nicht stehen bleibst.'

Und was für die einen vielleicht nach leeren Worten klingt, hat sich für mich schon oftmals bestätigt: Meine Wissens- und Abenteuerlust sind mein Antrieb, Freude und Leichtigkeit sind mein Kompass. Denn solange es meine Gesundheit zulässt, werde ich nicht stehen bleiben. Im Gegenteil: Ich bin dankbar für all die Erfahrungen, die ich gemacht habe und machen werde. Und ich freue mich auf die kommenden Abenteuer, die das Leben für mich bereithält."

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