Die mangelnde Unterstützung von Selbstständigen in der Corona-Krise hat vielfältige, teils unerwartete Auswirkungen. Um diese zu veranschaulichen, sprechen wir mit Vertretern befreundeter Berufsverbände.
Heute sind wir im Gespräch mit Inge Losch-Engler. Sie ist die Vorsitzende des Bundesverbandes für Kindertagespflege e.V. Ihre Sorge: Der für Kinder unter drei Jahren geltende Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz und das damit verbundene "Wunsch- und Wahlrecht" der Eltern ist in Gefahr.
Bis zu 3.000 Tagesmütter und -väter werden ihre Selbstständigkeit als Folge der Corona-Krise aufgeben müssen, vermutet sie. Das ist jede fünfzehnte Kindertagespflegeperson in Deutschland. In der Folge könnten bis zu 10.000 Betreuungsplätze wegfallen!
Regelungen und finanzielle Unterstützung von Bundesland abhängig
VGSD: Wie ist es den Kindertagespflegepersonen in der Corona-Krise ergangen? Mussten sie ihre Betreuungsangebote schließen?
Inge Losch-Engler: Corona hat uns alle überrascht. Ich will noch einmal daran erinnern, dass es oft täglich neue Regelungen gab, die in einem Bundesland anders waren als in einem anderen. Grundsätzlich war es so, dass einige Länder – z.B. mein Heimatland NRW, aber auch das Land Berlin oder Baden-Württemberg – sehr schnell eine landesweite Regelung getroffen haben, die eine behördliche Schließung der Kindertagespflegestellen angeordnet hat. Andere Bundesländer, z.B. Rheinland-Pfalz oder das Saarland, haben nur die Großtagespflegestellen geschlossen. Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Sachsen haben es den Kreisen überlassen, zu schließen oder nicht. Diese verhielten sich recht unterschiedlich.
Die Informationen über die Jugendämter liefen ebenfalls unterschiedlich schnell zu den einzelnen Kindertagespflegepersonen. Oft wussten Eltern und Kindertagespflegepersonen am Abend nicht, was am nächsten Morgen gelten würde. Das war aber in anderen Bereichen der Kindertagesbetreuung nicht anders.
Frage: Haben die Kindertagespflegepersonen finanziellen Ersatz erhalten?
Antwort: Auch hier zeigte sich ein sehr unterschiedliches Bild. Da die meisten Kindertagespflegepersonen selbstständig tätig sind und nicht betreuen konnten, ist ihre finanzielle Basis gefährdet. Einige Bundesländer hatten sehr schnell eine Weiterzahlung an die Kindertagespflegepersonen beschlossen, in anderen Bundesländern gab es aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeit unterschiedliche Regelungen.
Der Bund hat mit dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SoDEG) die Möglichkeit auch für Kindertagespflegepersonen geschaffen, Mittel zu beantragen. Aber auch hier waren die Verfahren in den einzelnen Städte und Kreisen höchst unterschiedlich. Einige Städte und Kreise haben die Sachkosten gekürzt oder die bezahlten Urlaubstage angerechnet.
Das große Problem war und ist, dass Eltern ihre Kinder aus Angst vor Ansteckung nicht in die Kindertagespflegestellen gebracht haben. Oder sie haben, weil sie coronabedingt zuhause waren, die Kinder selbst betreut, obwohl sie einen Vertrag mit der Kindertagespflegeperson hatten. Außerdem konnten Eingewöhnungen der Kinder, aber auch die Qualifizierungskurse nicht mehr oder gar nicht stattfinden. Diese Situation ist immer noch nicht ganz entspannt, es müssen Qualifizierungskurse noch nachgeholt werden.
10.000 der 170.000 Betreuungsplätze in Gefahr
Frage: Wie viele Kindertagespflegepersonen und Betreuungsplätze gibt es insgesamt? Wie viele davon sind Mitglied im Bundesverband?
Antwort: Nach den Zahlen von März 2019 – neuere Zahlen vom Statistischen Bundesamt erwarten wir im November – betreuten rund 45.000 Kindertagespflegepersonen ca. 170.000 Kinder. Der Bundesverband hat 110 Mitgliedsvereine, wobei darunter aber auch freie Träger sind. Manche unserer Vereine haben bis zu 1.000 Mitglieder, andere auch nur 30. Wir sehen uns als ein Verband, der die Kindertagespflege als Gesamtsystem repräsentiert, also auch die Fachberatungen, Jugendämter, Bildungsträger…
Frage: Was schätzen Sie, wie viele Kindertagespflegepersonen werden aufgrund der Corona-Pandemie ihre Tätigkeit aufgeben?
Antwort: Nach allem, was wir aus den Regionen hören, werden die Zahlen deutlich sinken. Im Juni haben wir eine Schätzung veröffentlicht, nach der 2.500-3.000 Tagesmütter und -väter und damit rund 10.000 Betreuungsplätze wegfallen könnten.
Frage: Welche Auswirkungen hätte ein solcher Wegfall auf das Betreuungsversprechen der Regierung? Könnten Kindergärten das kompensieren?
Antwort: Es gilt sowohl der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz als auch das Wunsch-und Wahlrecht der Eltern im § 5 SGB VIII, bei den Kindern unter drei Jahren. Die Kindertagespflege ist ja konzeptionell anders als die Kita. Eine Kindertagespflegeperson darf maximal fünf gleichzeitig anwesende Kinder betreuen. Sie arbeitet meist selbstständig im eigenen Haushalt oder in angemieteten Räumen. Die Betreuung ist individuell, bindungsintensiv und die Kinder sind einer bestimmten Person zugeordnet. Das ist ein völlig anderes Modell als das einer Kindertageseinrichtung, wo es Einrichtungen mit 200 Kindern gibt. Wenn Kindertagespflegepersonen aus wirtschaftlichen Gründen ihre Tätigkeit aufgeben müssen, können Eltern das Wunsch- und Wahlrecht nicht wahr nehmen. Das sollte auf jeden Fall verhindert werden. Deshalb brauchen wir nicht nur Übergangslösungen, sondern langfristig eine Jugendhilfeplanung die die Kindertagespflege mitdenkt und eine sichere finanzielle Absicherung für die Kindertagespflegepersonen.
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