Erwerbstätige Eltern haben Anspruch auf eine Entschädigung für Einkommensausfälle, wenn sie pandemiebedingt ihre Kinder zu Hause betreuen müssen und deshalb nicht arbeiten können. Die entsprechenden Regelungen sind unübersichtlich und insbesondere für selbstständige Eltern nicht immer einfach zu recherchieren.
Deshalb haben wir hier die wichtigsten Informationen und einige Tipps und Erfahrungen unserer Mitglieder zusammengetragen, um euch die Übersicht zu erleichtern. Im Text sind wichtige Dokumente und Informationsquellen verlinkt. Bitte teilt eure eigenen Erfahrungen unten in der Kommentarfunktion, um euch gegenseitig zu unterstützen. Und: Falls ihr betroffene Eltern in eurem Bekanntenkreis habt, weist sie bitte auf die hier vorliegende Anleitung sowie die von uns erkämpften Verbesserungen hin.
Zwei Anspruchsgrundlagen
Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Anspruchsgrundlagen für erwerbstätige Eltern:
- Das Kinderkrankengeld (§ 45 SGB V). Dieser Anspruch ist auf gesetzlich Versicherte mit Krankengeldanspruch beschränkt.
- Die Verdienstausfallentschädigung wegen Kinderbetreuung (§ 56 Abs. 1a Infektionsschutzgesetz, IfSG). Dieser Anspruch gilt für alle erwerbstätigen Eltern.
Selbstständige, die gesetzlich versichert sind, aber keinen Krankengeldanspruch haben, sowie privat Versicherte, sind also auf die Entschädigung nach dem IfSG angewiesen. GKV-Versicherte mit Krankengeldanspruch haben sowohl einen Anspruch auf Kinderkrankengeld, als auch auf eine Entschädigung nach dem IfSG. Allerdings ruht dieser Anspruch, wenn Kinderkrankengeld in Anspruch genommen wird.
Im Zuge der aktuellen Änderung des Infektionsschutzgesetzes, das zum 31. März 2021 in Kraft getreten ist, wurden die Ansprüche nach dem IfSG erweitert und an die entsprechenden Regelungen zum Kinderkrankengeld angeglichen. Hierdurch wurden einige erhebliche Nachteile für Selbstständige beseitigt, die nach der alten Regelung beispielsweise keinen Entschädigungsanspruch hatten, wenn sie im Home-Office arbeiteten oder eine Notbetreuung für ihre Kinder verfügbar war.
1. Kinderkrankengeld (§ 45 SGB V Abs. 2a)
Im Zuge der Pandemie wurde die Zahlung von Kinderkrankengeld auch auf den Fall ausgeweitet, dass das Kind gar nicht krank ist, sondern pandemiebedingt zu Hause betreut werden muss.
Voraussetzungen für den Anspruch:
Das Kind hat das 12. Lebensjahr nicht vollendet oder ist behindert bzw. auf Hilfe angewiesen. Der Anspruch besteht, wenn keine alternative Betreuungsmöglichkeit durch eine andere im Haushalt lebende Person möglich ist und
„wenn Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf Grund des Infektionsschutzgesetzes vorübergehend geschlossen werden oder deren Betreten, auch auf Grund einer Absonderung, untersagt wird, oder wenn von der zuständigen Behörde aus Gründen des Infektionsschutzes Schul- oder Betriebsferien angeordnet oder verlängert werden oder die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben wird oder der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird, oder das Kind auf Grund einer behördlichen Empfehlung die Einrichtung nicht besucht.“
Letzteres gilt also für den Fall eines Appells einer Behörde oder der Landesregierung, die Kinder freiwillig aus Gründen der Infektionslage zu Hause zu betreuen, obwohl theoretisch eine Notbetreuung verfügbar wäre. Der Anspruch gilt grundsätzlich auch im Home-Office.
Umfang des Anspruchs:
Im Jahr 2021 für jedes Kind 30 Arbeitstage (60 für Alleinerziehende), bei mehreren Kindern maximal 65 Tage (130 für Alleinerziehende). Die Höhe der Entschädigung beträgt 90% des Nettoeinkommens, in 2021 maximal 113 € pro Tag.
Wichtig: Selbstständige in NRW haben aufgrund einer neuen Landesregelung Anspruch auf 10 zusätzliche Kinderkrankentage, auch wenn sie eigentlich gar keinen Krankengeldanspruch haben (also auch PKV-Versicherte, GKV-Versicherte ohne Krankengeldanspruch).
Unser Tipp: Da das Kinderkrankengeld nicht nur erheblich unbürokratischer und schneller über die Krankenversicherungsträger abgewickelt wird, sondern auch mit 90% des Nettoeinkommens finanziell vorteilhafter ist, als die Entschädigung nach dem IfSG, sollten GKV-Versicherte mit Krankengeldanspruch zunächst diese Unterstützung in Anspruch nehmen und sich diesbezüglich an ihre Krankenversicherung wenden.
Informationsquellen:
1.1 § 45 SGB V
1.2 FAQ des BMG
1.3 FAQ des GKV-Spitzenverbandes (für Selbstständige siehe insbesondere Nr. 15)
2. Verdienstausfallentschädigung wegen Kinderbetreuung (§ 56 Abs. 1a IfSG)
Dieser Anspruch kommt für alle selbstständigen Eltern in Frage, die privat versichert sind oder als gesetzlich Versicherte ohne Krankengeldtarif keinen Anspruch auf Kinderkrankengeld haben.
Voraussetzungen für den Anspruch:
Der Anspruch gilt bei Kindern, die das 12. Lebensjahr nicht vollendet haben oder behindert sind bzw. Hilfe benötigen. Die Regelungen sind nun analog zum Kinderkrankengeld erweitert worden für den Fall dass:
"Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf Grund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen werden oder deren Betreten, auch aufgrund einer Absonderung, untersagt wird, oder wenn von der zuständigen Behörde aus Gründen des Infektionsschutzes Schul- oder Betriebsferien angeordnet oder verlängert werden, die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben oder der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird oder eine behördliche Empfehlung vorliegt, vom Besuch einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern, einer Schule oder einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen abzusehen".
Zusätzlich muss gelten, dass das erwerbstätige Elternteil das Kind selbst betreut und dadurch einen Verdienstausfall erleidet und keine alternative zumutbare Betreuungsmöglichkeit – beispielsweise durch eine andere im Haushalt lebende Person - verfügbar ist. Das Home-Office ist im Gegensatz zur alten Regelung jedoch nicht mehr als anderweitig zumutbare Betreuungsmöglichkeit definiert, so dass zukünftig auch bei einer Home-Office-Tätigkeit ein Anspruch auf Entschädigung besteht. Wie beim Kinderkrankengeld besteht für selbstständige Eltern künftig auch ein Anspruch, falls eine Notbetreuung verfügbar wäre, aber das Kind aufgrund eines behördlichen Appells aufgrund der Infektionslage freiwillig zu Hause beaufsichtigt wird.
Umfang des Anspruchs:
10 Wochen je Erwerbstätigen und Jahr unabhängig von der Anzahl der Kinder. Der erste Anspruchszeitraum bezog sich auf März 2020 bis März 2021. Die neuen Regelungen traten am 31.3.21 in Kraft für ein weiteres Jahr mit maximal 10 Wochen Entschädigung. Zukünftig ist der Anspruch aber an die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag gebunden. Dies ist zur Zeit der Fall und wird im Juni erneut durch den Bundestag überprüft. Die Höhe der Entschädigung beträgt 67% des Nettoeinkommens bis max. 2.016 € monatlich.
Wichtig: Selbstständige in NRW haben aufgrund einer neuen Landesregelung zusätzlich Anspruch auf 10 Kinderkrankentage, auch wenn sie eigentlich keinen Kinderkrankengeldanspruch haben (also auch PKV-Versicherte, GKV-Versicherte ohne Krankengeldanspruch).
Informationsquellen:
2.1 FAQ des BMG (Stand 25.6.2021)
2.2 Änderungsgesetz (Neuregelungen des IfSG: Art. 1, Nummer 4, Buchstabe b)
2.3 Gesetzesbegründung (mit Begründung des Anspruchs auf Entschädigung auch im Home-Office: S. 65)
„Mit der Ergänzung wird sichergestellt, dass ein Entschädigungsanspruch nach § 56 Absatz 1a auch dann geltend gemacht werden kann, wenn der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird oder eine behördliche Empfehlung vorliegt, vom Besuch einer der genannten Einrichtungen abzusehen. Insoweit entspricht die Formulierung dem § 45 Absatz 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Der Anspruch soll unter diesen Voraussetzungen unabhängig davon bestehen, ob die geschuldete Arbeitsleistung nicht auch grundsätzlich im Homeoffice er-bracht werden kann.“
2.4 Anträge können für die meisten Bundesländer hier online eingereicht werden. Alle anderen zuständigen Landesbehörden finden sich in diesem Beitrag am Ende der Seite.
2.5 NRW-Infoblatt für 10 zusätzliche Kinderkrankentage (für alle erwerbstätigen Eltern, auch jene ohne Anspruch auf Kinderkrankengeld)
Unsere Tipps zur Antragstellung
1. Gut informieren
Es ist gut investierte Zeit, sich vorher sehr genau zu den Ansprüchen und den Antragswegen zu informieren, um keinen unnötigen Fehler zu machen. In jedem Fall sollte man sich vor der Antragstellung bei der für das Kinderkrankengeld zuständigen Krankenkasse oder den für die Entschädigung nach dem IfSG zuständigen Behörden der Länder nach den geltenden Regelungen erkundigen. Gerade bei letzteren gibt es unterschiedliche länderspezifische Vorgehensweisen, denn wie bei allen Corona-Hilfen haben die Länder hier einen Auslegungsspielraum und erarbeiten ihre eigenen Durchführungsbestimmungen. Dies führt teilweise zu einer unterschiedlichen Genehmigungspraxis.
2. Erwerbstätigkeit nachweisen
Sowohl das Kinderkrankengeld als auch die Verdienstausfallentschädigung nach dem IfSG sind grundsätzlich an eine Erwerbstätigkeit gebunden, da nur in diesem Fall auch ein Verdienstausfall entstehen kann. Bei der Antragstellung sollte daher immer deutlich werden, dass ihr auch in der Pandemie faktisch erwerbstätig seid (dies gilt für jeden Antrag nach IfSG, aber siehe hierzu auch FAQ des GKV-Spitzenverbandes Nr. 15). Liegt bzw. lag ein Einkommen vor, ist dies natürlich ein wichtiger Nachweis für eine Erwerbstätigkeit. Bei Selbstständigen wird für die Ermittlung des Verdienstausfalls ein Zwölftel des jährlichen Arbeitseinkommens auf der Grundlage des letzten Steuerbescheids zugrunde gelegt.
Selbst wenn im schlimmsten Fall aktuell gerade alle Aufträge weggebrochen sind, habt ihr als Selbstständige natürlich trotzdem immer Arbeit bei der Akquisition von neuen Aufträgen, der Entwicklung von Geschäftsmodellen, Weiterbildung, dem Ausbau eurer Internetpräsenz usw., der ihr nicht nachkommen könnt, wenn ihr eure Kinder betreuen müsst. Ungünstig für euren Antrag wäre es, wenn die Behörde den Eindruck gewinnt, dass ihr zu Hause sitzt und sowieso nichts zu tun habt. Dann nämlich entsteht auch kein Anspruch auf Entschädigung, weil die geschlossenen Kitas/Schulen und damit auch die Betreuung der Kinder in der Verwaltungslogik nicht ursächlich für einen Verdienstausfall sein können.
3. Belege liefern
Nach entsprechenden Rückmeldungen unserer Mitglieder möchten wir ebenfalls raten, euch bei einer Schließung bzw. Teilschließung von Schule oder Kita den jeweiligen Zeitraum zeitnah von der Einrichtung bescheinigen zu lassen, da dieser Nachweis auch im Rahmen der Antragstellung nach dem IfSG verlangt wird und eine Rekonstruktion der Zeiten nach mehreren Wochen oft nicht einfach ist. Für das Kinderkrankengeld ist dies ohnehin vorgesehen. Hier gibt es einen entsprechenden Musterbescheinigung des Bundesfamilienministeriums.
Sofern es einen behördlichen Appell - beispielsweise von einer lokalen Gesundheitsbehörde oder der Landesregieung - gibt, die Kinder aus Gründen des Infektionsschutzes trotz verfügbarer Notbetreuung zu Hause zu betreuen, solltet ihr euch ebenfalls um einen Nachweis (z.B. ein Screenshot) bemühen.
4. Hartnäckig bleiben
Leider berichten unsere Mitglieder, dass es teilweise Monate dauert, bis sie eine Rückmeldung von der Behörde bekommen. Dies ist auch auf die personelle und fachliche Überlastung der Behörden zurückzuführen. Dran bleiben und regelmäßig nachfragen ist sinnvoll.
Auch wenn beim Antrag auf Verdienstausfallentschädigung nach dem IfSG zunächst ein ablehnender Bescheid ergeht, der eurer Meinung nach fehlerhaft ist, empfiehlt es sich, hartnäckig zu bleiben. Sinnvoll kann es sein, zunächst Widerspruch einzulegen, nach einer genauen Prüfung die mutmaßlichen Fehler zu benennen und eine gerichtliche Klärung der Ansprüche in den Raum zu stellen, damit die Behörde die Entscheidung noch einmal überprüft. Diese hat theoretisch die Möglichkeit, einen Bescheid von Amts wegen außer Kraft zu setzen, falls sie einen Fehler erkennt und eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden möchte. Falls ihr den Rechtsweg erwägt, solltet ihr euch vorher von einem Anwalt rechtlich beraten lassen. Gerne vernetzen wir euch mit anderen Betroffenen, die ihre Ansprüche auf dem Rechtsweg erstreiten.
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