Die Bundesagentur für Arbeit vergibt Aufträge, bei denen pauschal zehn Prozent Einarbeitungszeit nicht vergütet werden. Ein Problem? Nicht für die BA, denn sie verweist auf die Agenturen, die für die Aufträge Freelancer einsetzen.
Unser Mitglied Marcel Misch hat viel für öffentliche Auftraggeber gearbeitet und sich kritisch mit öffentlichen Vergaben beschäftigt. Schon für unseren Beitrag über das Messen mit zweierlei Maß bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) arbeiteten wir mit ihm zusammen. Nun hat er uns auf eine weitere fragwürdige Praxis im öffentlichen Sektor hingewiesen und Material dazu zur Verfügung gestellt. Auf seinem Blog hat er einen eigenen Beitrag verfasst.
Marcel bemerkte in den vergangenen Monaten immer wieder Stellenausschreibungen auf Portalen für Freelancer, die er der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg zuordnen konnte. Auffällig daran: Die Aufträge enthielten immer den Hinweis, dass ein gewisser Umfang an kostenloser Einarbeitung zu leisten sei. Mal waren es 60 Stunden, mal 26, mal zwei Wochen, mal war pauschal von fünf Prozent des Auftragsvolumens die Rede.
Gefährliche Vorbildfunktion?
Die Frage nach der Einarbeitung und ihrer Vergütung wird vielen Freelancern schon einmal begegnet sein. Es gibt eine einfache Faustregel dafür: Erwirbt der oder die Freelancer/in Kenntnisse, die losgelöst vom Kunden für den Auftrag notwendig sind und die später weiterverwendet können, dann handelt es sich um eigene Weiterbildung, die in der Regel kostenlos geleistet wird. Das Erlernen einer Programmiersprache oder bestimmter Methoden ist ein Beispiel dafür. Anders verhält es sich, wenn die Einarbeitung kundenspezifisch ist. Wenn also Dinge zu erlernen sind, die den Gegebenheiten des Auftraggebers geschuldet sind, spezifische Prozesse oder Ähnliches. Diese können bei öffentlichen Auftraggebern sehr komplex sein. Solche Kenntnisse sind ohne Wert für spätere Aufträge bei anderen Auftraggebern, sie können nicht weiterverwendet werden. Es handelt sich um Arbeitszeit, die vergütet werden sollte.
Dennoch gibt es Fälle, in denen Auftraggeber auch solche kundenspezifische Arbeitszeit kostenfrei erledigt bekommen wollen. Wenn nun ein großer Auftraggeber der öffentlichen Hand kostenfreie Einarbeitung zum Standard macht, könnte dies zum Einfallstor für eine solche Praxis auch bei anderen Auftraggebern werden.
BA beantwortet Fragen
Marcel hat bei der BA zu dieser Praxis nachgefragt und am 28. Januar eine Antwort-Mail bekommen, die er uns zur Verfügung gestellt hat. Die BA geht auf die einzelnen Fragen konkret ein, die Sprache ist verständlich und ohne Überheblichkeit. Darin unterscheidet sich die Antwort der BA deutlich von Antworten, wie wir und auch Marcel sie im Zuge der oben erwähnten Recherche von der DRV auf unsere Anfragen bekommen haben.
Die BA bestätigt die Praxis der Einarbeitungszeit als Bestandteil des Rahmenvertrages für Softwareentwicklung, der die Grundlage für die verschiedenen Einzelverträge bildet. Sie zitiert den Rahmenvertrag so: "Der AN gewährt pro eingesetzter Person bei Erstabruf eine kostenneutrale Einarbeitungszeit von im Regelfall 10 % des Abrufvolumens, um die Anforderungen und Prozesse der BA kennen zu lernen." Die BA stellt jedoch sofort klar, dass sie selbst keine Freelancer beauftragt und einsetzt. Die BA vergibt ihre Aufträge an Agenturen oder Beratungsunternehmen, die ihrerseits Freelancer beauftragen. Die Kette besteht aus drei Gliedern und trägt bei der BA folgende Bezeichnungen: BA – Auftragnehmer – Subunternehmer (Selbstständige/Freelancer).
BA sieht keine Verantwortung bei sich
Die BA betont, dass die Regelung über die "kostenneutrale Einarbeitungszeit" nur für ihren Vertrag mit dem Auftragnehmer gilt. Mit anderen Worten: Ob die Einarbeitungszeit für den Freelancer unbezahlte Arbeitszeit ist, sieht die BA nicht als ihre Sache an. Was die nachgelagerte Vertragsbeziehung angeht, sieht sie keine Verantwortung bei sich: "Was diese Auftragnehmer mit Selbstständigen/Freelancern vereinbaren, die die Auftragnehmer bei der Vertragserfüllung als Subunternehmer einsetzen, entzieht sich der Kenntnis der BA."
Es wird jedoch schnell widersprüchlich. Im oben zitierten Vertragspassus heißt es, die Einarbeitung erfolge, "um die Anforderungen und Prozesse der BA kennen zu lernen" – also ein klassischer Fall der kundenspezifischen Einarbeitung, da es ja um die hausinternen Umstände geht. Einen Absatz später schreibt die BA jedoch: "Die BA setzt beim Auftragnehmer die Kenntnisse und Fähigkeiten voraus, die für die ordnungsgemäße Erfüllung des Auftrags erforderlich sind." Die kann sie jedoch nicht für die Erfüllung des Auftrags voraussetzen, wenn erst die hauseigenen Anforderungen und Prozesse kennengelernt werden müssen.
Einarbeitung oder "Einweisung"
Ein verständliches Interesse hat die BA natürlich daran, dass ihr Auftragnehmer während des mehrmonatigen Auftrags nicht mehrmals Personal austauscht, das immer wieder neu eingearbeitet werden muss. In den Worten der BA: "Setzt der Auftragnehmer neues Personal ein, das hierfür 'Vorlauf' benötigt, kann das nicht zu Lasten des Auftraggebers gehen." Diese Abwehr von mehreren Einarbeitungen ist verständlich, jedoch keine Erklärung dafür, dass schon die erste Einarbeitung kostenlos erfolgen soll.
Seltsam ist auch, dass die Einarbeitungszeit prozentual kalkuliert wird. In der Regel müsste diese unabhängig von der Größe des Auftrags ein bestimmtes Stundenvolumen umfassen. Warum die Einarbeitung länger dauern sollte, wenn der Auftrag länger dauert, ist rätselhaft.
Die BA verwendet für die Einarbeitung an anderer Stelle in der Mail auch den Begriff "Einweisung" – ein irritierendes Wort für einen Vorgang, bei dem Freelancer gemeint sind. Wenn jemand eingewiesen oder geschult wird, sind dies in der Regel für die DRV Verdachtsmomente für Scheinselbstständigkeit. Die BA führt an dieser Stelle schnell wieder das Drittverhältnis an: "Welche vertraglichen Bedingungen für diese Einweisungsphase zwischen Auftragnehmer und Freelancer getroffen werden, entzieht sich der Kenntnis der BA."
Transparent ja, umstritten auch
Hier geht neben der Frage nach der kostenlosen Einarbeitung noch ein weiteres Fenster auf: Das zur Frage von Scheinselbstständigkeit oder, im Fall von angestelltem Personal des Subunternehmers, das von verdeckter Arbeitnehmerüberlassung. Beides wird anhand der gleichen Kriterien beurteilt. Doch die BA verlagert die Verantwortung, sie habe lediglich den Vertrag mit dem Auftragnehmer.
Marcel wies in seiner Mail die BA auch explizit darauf hin, dass Anforderungen nach unentgeltlicher Tätigkeit, wie die BA sie stellt, "in der Privatwirtschaft rechtlich und ethisch höchst umstritten" wären. Die BA geht darauf inhaltlich nicht ein. Sie schreibt: "Die Anforderungen wurden transparent im Zuge der Ausschreibung in den Vergabeunterlagen veröffentlicht. Jedem Bieter steht es frei, hierzu Rückfragen zu stellen bzw. von einer Angebotsabgabe abzusehen." Anmerkung: Auch transparent gemachte Anforderungen können ethisch umstritten sein. Angesichts der Größe und der öffentlich-rechtlichen Natur des Auftraggebers entspricht diese Argumentation einem "Friss oder stirb".
BA sieht sich "nicht in der Arbeitgeberrolle"
In den Worten der BA, die sie im zusammenfassenden Schlussabsatz der Mail noch einmal fast wortgleich wiederholt, heißt das: "Es steht jedem/jeder frei, sich an Ausschreibungsverfahren der BA zu beteiligen und ein Angebot abzugeben." Allerdings hat die BA zu Beginn der Mail klargestellt, dass sie "selbst keine Selbstständigen/Freelancer" beauftragt. Angesichts des Volumens der Aufträge weiß die BA, dass sie an Auftragnehmer mit Subunternehmern vergibt. Sie stellt sich jedoch als quasi unbeteiligt und ahnungslos dar: "Der Einsatz von Subunternehmern ist vergaberechtlich grundsätzlich nicht ausgeschlossen."
Die BA schreibt im Fazit ihrer Mail an Marcel: "Die Bundesagentur für Arbeit sieht sich nicht in der Arbeitgeberrolle gegenüber den Freelancern, die Sie hier erwähnen. Eine solche lässt sich auch nicht aus der Sachlage ableiten. Deswegen sehen wir uns auch nicht in der Rolle, die Pflichten zu erfüllen, die Sie in Ihren Fragen erwähnen."
Welche Erfahrungen hast du gemacht?
Da sich die Frage nach Einarbeitungszeit auch in anderen Branchen stellt, haben wir uns umgehört und ein Beispiel bei den Konferenzdolmetschern gefunden. Von dort wurde uns Folgendes erzählt: Konferenzdolmetscher haben oft Einarbeitungszeiten von mehreren Tagen, um sich mit den jeweiligen Zusammenhängen, Namen, Fachbegriffen vertraut zu machen. Sie vereinbaren für Konferenzen Tagessätze. Diese sind so hoch angesetzt, dass sie die Einarbeitungszeit abdecken, auch wenn diese nicht separat ausgewiesen ist. Wer sich schneller einarbeitet, hat also im Ergebnis einen höheren Tagessatz für seine Arbeit.
Hast du auch schon Erfahrungen mit der Forderung nach kostenloser Einarbeitung gemacht? Was hast du erlebt? Wie siehst du die Praxis bei der BA? Lass uns deine Meinung gerne in den Kommentaren wissen.
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