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Lesetipp Interview zum Werner-Bonhoff-Preis "Preisträger sind diejenigen, die aussprechen, wenn der Kaiser nackt ist"

Bereits dreimal wurden VGSD-Mitglieder mit dem Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel ausgezeichnet. Im Interview erklärt Stiftungsvorstand Till Bartelt, was die Preisträger verbindet und welchen Beitrag der Preis im Kampf gegen Bürokratie leisten kann.

Till Bartelt, Vorstand der Werner-Bonhoff-Stiftung

Seit 2006 zeichnet die Werner-Bonhoff-Stiftung Unternehmer/innen aus, die sich gegen bürokratische Hürden einsetzen. Bereits dreimal waren Ausgezeichnete VGSD-Mitglieder: Im Jahr 2013 erhielt VGSD-Mitgründer Tim Wessels den Preis, 2016 wurde Christa Weidner für ihren Kampf um Rechtssicherheit für Selbstständige prämiert und im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an Johanna Röh für ihren Einsatz für Mutterschutz für Selbstständige. Im Jahr 2024 wurde die Bewerbungsfrist bis Jahresende verlängert, da zuletzt weniger Bewerbungen eingegangen waren als früher. Grund für uns, bei Stiftungsvorstand Till Bartelt nachzufragen.

Herr Bartelt, noch nie gab es so viel Verdruss über und Kritik an Bürokratie. Zugleich gab es zuletzt weniger Bewerbungen als früher für den Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel, mit dem Menschen für ihr Engagement gegen überbordende Bürokratie ausgezeichnet werden. Wie passt das zusammen?

Das passt klar zusammen. Was wir derzeit beobachten, ist eine Form von Resignation: Der Glaube daran, dass man zu Verbesserungen beitragen kann, ist gesunken. Je mehr Menschen das Gefühl haben, dass vieles eher schlechter wird, desto aussichtsloser erscheint es ihnen, daran etwas ändern zu können. Ganz offensichtlich fühlen sich derzeit nicht viele Menschen eingeladen, die Verhältnisse mitzugestalten. Die meisten, die an unserem Projekt teilnehmen – und ich möchte lieber von einem Projekt sprechen als nur von einem Preis – haben keinen privilegierten Zugang zu Verwaltung und Politik. Nicht in der Form, wie es ein Unternehmen mit Tausenden Mitarbeitenden hat. So gesehen sind wir ein Projekt der „Kritik von unten“. Derzeit herrscht einfach keine Aufbruchstimmung, dabei wäre die nötig. Für jede Form von Aktivität brauchen Sie aber eine Form von Zuversicht.

Welchen Beitrag kann der Preis im Kampf gegen Bürokratie leisten? Und weshalb ist es eher ein Projekt als ein Preis?

Wir haben den Preis 2005 erstmals ausgelobt, um Fälle für unsere Fallsammlung zu erhalten. Jeder Fall, den wir in die Fallsammlung aufnehmen, wird sorgsam geprüft und dokumentiert und ist nachzulesen auf unserer Website, wenn die Betroffenen nichts dagegen haben. Die Betroffenen begleiten wir oft auch über längere Zeit. Wir bieten ihnen einen Erfahrungsaustausch, der ihnen manchmal weiterhilft. Diese Fallsammlung ist das Herzstück unseres Projekts. Mit ihr wollen wir die Debatte um Bürokratie-Kritik auf ein neues Niveau heben. Wir wollen dabei unterscheiden zwischen Bürokratismus und Bürokratie. Denn Bürokratie für sich genommen ist ja nicht das Übel, sondern überbordende Bürokratie. Bereits 2011 veröffentlichte der Leiter unseres Forschungsprojektes, Professor Gunnar Folke Schuppert, unser Fazit, wonach Bürokratismus vor allem durch eine mangelnde Problemlösungsorientierung in der Verwaltung sowie einem Dschungel aus verselbständigten Bürokratien entsteht.

Was meinen Sie mit dem Begriff "verselbstständigte Bürokratie"?

Es gibt zahlreiche öffentliche Aufgaben, die von Verwaltungseinheiten wahrgenommen werden, die nicht Gebietskörperschaften sind und häufig durch eine zusätzliche Abgabenpflicht, also nicht durch das Steueraufkommen finanziert werden. Das sind sogenannte Trabanten des Verwaltungssystems – sie kommen äußerlich oftmals nicht als Behörde daher, sind aber welche. Dazu gehört die Deutsche Rentenversicherung, die Landesmedienanstalten, die rund 100 gesetzlichen Krankenversicherungen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber auch die Industrie- und Handelskammern und andere Einrichtungen mit Zwangsbeiträgen oder Zwangsmitgliedschaften, vermutlich insgesamt weit über eintausend. Insbesondere Kleinunternehmer werden von diesen verselbstständigten Bürokratien immer wieder überrascht, stark belastet und sogar überfordert, wie unsere Fallsammlung zeigt. Sie bleiben bislang bei den Bürokratieabbaubestrebungen jedoch weitgehend unbeachtet. Das klingt sehr theoretisch, am besten erklären lässt es sich am Beispiel eines unserer Preisträger …

Erzählen Sie!

Im Jahr 2010 haben wir Georg Heitlinger mit dem Werner-Bonhoff-Preis ausgezeichnet. Der Landwirt wehrte sich erfolgreich gegen die gesetzliche Zahlungspflicht im Fonds zur Absatzförderung der deutschen Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft, der wiederum die Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, der CMA, finanzierte. Der Slogan „Milch macht’s möglich“ dürfte den Älteren noch ein Begriff sein. Herr Heitlinger kritisierte nicht nur den geringen bis fehlenden Nutzen für die Beitragszahlenden, sondern auch die nicht mehr erfüllten verfassungsrechtlichen Anforderungen dieser Sonderabgabe und ging damit bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dort bekam er Recht. Dieser Absatzfonds ist ein Beispiel für eine verselbstständigte Bürokratie. Ein typisches Merkmal ist neben der gesetzlichen Zahlungspflicht auch die mangelnde Kontrolle und Transparenz. Es war bahnbrechend, dass es Herrn Heitlinger gelungen ist, diese verselbstständigte Bürokratie abzuschaffen.

So ein Erfolg eines einzelnen ist ein Grund zur Freude, aber das Problem liegt ja tiefer. Was müsste sich Ihrer Meinung nach strukturell ändern?

Da ich gerade den Fall und Erfolg von Herrn Heitlinger schilderte, möchte ich noch betonen, dass es im Projekt nicht unser Bestreben ist, alle verselbständigten Bürokratien pauschal abzuschaffen. Worum es eigentlich geht, ist, die Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit derartiger Institutionen zu hinterfragen und hierbei deutlich mehr Transparenz zu schaffen. Denn die Praxisfälle im Projekt zeigen beispielhaft, dass vielfach der ursprüngliche Zweck bestimmter Institutionen historisch ein anderer war und mittlerweile überdehnt wird oder einfach, dass der Zahlungsverpflichtung keine angemessene Gegenleistung oder Nutzen gegenüberstehen. Diese Fälle verdeutlichen einen Verbesserungs- und Korrekturbedarf. Genau das wollen wir in unserem Projekt durch die Praxisfälle unserer Teilnehmer befördern.
Und zu Ihrer Frage, was sich strukturell ändern müsste: Was aktuell als "Bürokratie-Abbau" verkauft wird, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es muss, wie gerade bei den verselbständigten Bürokratien erläutert, grundsätzlich mehr Transparenz hergestellt werden.
Ein weiteres strukturelles Problem ist, dass Verwaltungen häufig nicht effizient und problemlösungsorientiert genug arbeiten und leider bei Entscheidungen ihren gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum häufig nicht problemlösungsorientiert nutzen. Dies führt dann zu sehr unbefriedigenden, teilweise sogar die Existenz bedrohenden Ergebnissen und die Kritik der Betroffenen in den uns geschilderten Fällen ist daher sehr berechtigt. Hier wäre auf Seiten der Verwaltung eine Fehleranalyse zur Gewinnung von Lerneffekten ein guter Anfang, um strukturell etwas zu verbessern.

Viele unserer Mitglieder engagieren sich für bessere Rahmenbedingungen und haben konstruktive Ideen für schlankere Verwaltungsvorgänge. Was muss ich geleistet haben, um mich für den Werner-Bonhoff-Preis zu bewerben? Bis wann und mit welchen Unterlagen kann ich mich bewerben?

Ein Fall muss für uns zwei Gesichtspunkte erfüllen: Die Kritik an den bürokratischen Vorgängen muss berechtigt sein. Das überprüfen wir juristisch sorgfältig. Weiterhin muss der oder die Betroffene ein Problem nicht einfach stumm hingenommen haben. Das heißt nicht, dass man bereits erfolgreich gewesen sein muss, aber man muss schon gezeigt haben, dass man etwas ändern will beziehungsweise das Erlebte nicht stumm hinnimmt. Wenn man meint, dass man diese Voraussetzungen erfüllt, ist es ganz einfach: Dann kann man auf unserer Website in eigenen Worten schildern, was man erlebt hat. In unserem Bewerbungsformular sind drei Fragen zu beantworten. Die aktuelle Bewerbungsfrist läuft bis zum 31. Dezember 2024.

Was ist das, was Preisträger/innen ausmacht? Gibt es eine besondere Eigenschaft, die ihnen gemein ist?

Es geht hier nicht allein um die Preisträgerinnen und Preisträger. Ich finde noch viel mehr Fälle toll als die, die wir mit dem Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel ausgezeichnet haben. Ich bin auf sehr viele Personen stolz, die Teil unserer Fallsammlung sind. Ihnen allen ist gemein: Man muss dem eigenen Verstand trauen, sich dann auch noch artikulieren und sagen, was schiefläuft. Kennen Sie das Märchen "Des Kaisers neue Kleider"? Alle sehen, dass der Kaiser nackt ist, und niemand sagt es, bis ein Kind die Wahrheit ausspricht. Unsere Preisträger sind diejenigen, die aussprechen, wenn der Kaiser nackt ist. Umgekehrt ist es für unsere Teilnehmer wichtig zu sehen, dass sie mit ihrer Wahrnehmung nicht allein dastehen. Ein nennenswerter Anteil der Teilnehmer sucht die Bestärkung, dass nicht sie verrückt sind, sondern dass Verläufe und reale Zustände leider von zu vielen, stumm „ertragen“ werden. Daher wollen wir diejenigen ermutigen, die nicht schweigen wollen, um damit einen Verbesserungsprozess anzustoßen, der am Ende dem Gemeinwohl zugutekommt.

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