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Lesetipp Mercer und OECD vergleichen die Altersvorsorgesysteme weltweit Deutschlands Rentensystem mittelmäßig, aber immerhin besser als das von Österreich

Immer wieder loben Politiker wie Hubertus Heil, Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch das österreichische Rentensystem: Selbstständige sind dort versicherungspflichtig, die Renten vergleichsweise hoch und es gibt sie schon ab 65 Jahren. Nur nachhaltig ist das System nicht, Vorbilder sucht man besser anderswo.

Blick vom Schafberg (Österreich) bei Sonnenuntergang: Keinen so schönen Ausblick gibt Mercer für das Altersvorsorgesystem unseres Nachbarlandes

Das australische Beratungsunternehmen Mercer ermittelt jedes Jahr den „Global Pension Index“ – gemeinsam mit dem CFA Institute, einem weltweiten Dachverband von Anlageexperten („Chartered Financial Analysts“). Es betrachtet hierfür nicht nur die gesetzliche Rente, sondern auch private und betriebliche Altersvorsorge.

Deutschland auf Platz 20, Österreich auf Platz 40 von 48 Ländern

Das Ergebnis ist dieses Jahr ein Ranking von 48 Altersvorsorgesystemen, die zwei Drittel der Weltbevölkerung abdecken. Den höchsten Indexwert von 84,8 Punkten erreichen die Niederlande, auf dem letzten Platz liegt Indien mit 44,0 Punkten. Deutschland liegt mit 67,3 Punkten auf dem 20., Österreich mit 53,4 Punkten auf dem 40. Platz.

Was die Gesamtpunktzahl betrifft, hat sich Deutschland 2024 gegenüber dem Vorjahr leicht verbessert von 66,8 im Vorjahr (+0,5). Trotzdem haben wir einen Platz eingebüßt und sind vom 19. auf den 20. Platz zurückgefallen. Die anderen Länder schlafen nicht.

Mercer berechnet den Index auf Basis von drei Teilindices:

  • Angemessenheit: Damit ist die Höhe der Leistungen gemeint, also des Alterseinkommens, zu dem die Vorsorgesysteme führen. Gibt es ein Grundeinkommen oder Sicherheitsnetz? Wie hoch ist die Rente relativ zum zuvor erzielten Einkommen bei bestimmten Einkommensniveaus? Handelt es sich um Einmal-Leistungen oder eine lebenslange Rente? Aber auch: Wie hoch ist die Eigenheimquote?
  • Nachhaltigkeit: Die Tragfähigkeit des Systems zum Beispiel durch ein gesundes Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern, die Höhe der Staatsverschuldung usw.
  • Integrität: Hier geht es um das Vertrauen in das System, um gute Regulierung und Kontrolle, ehrliche Kommunikation, die Höhe der Verwaltungskosten usw.

Die Niederlande sind „Gesamtsieger“ und erzielten zugleich den höchsten Wert beim Teilindex für Angemessenheit (86,3 Punkte). Island hat das nachhaltigste Altersvorsorgesystem (84,3 Punkte) und Finnland führt in Bezug auf die Integrität (90,8 Punkte).

Das österreichische Altersvorsorgesystem ist das am wenigsten nachhaltige weltweit

Obwohl das deutsche Rentensystem mit Rang 9 in der Kategorie „Angemessenheit“ gut abschneidet, erzielt es in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ – und hier geht es in erster Linie um die Frage, wie zukunftssicher das System eingeschätzt wird – nur den 33. Rang. Bei „Integrität“ kommen wir auf den 27. Platz. Wesentliche Gründe hierfür sind laut Mercer die Dominanz des umlagefinanzierte Systems der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine anders als in anderen Ländern freiwillige Teilnahme an der betrieblichen Altersvorsorge (nur 60 Prozent der Angestellten nutzen diese Möglichkeit).

Und Österreich? Die Angemessenheit der Leistungen (Platz 23) wird in unserem Nachbarland 14 Plätze schlechter bewertet als in Deutschland, die Integrität (Platz 29) liegt ungefähr auf gleichem Niveau. Bei der Nachhaltigkeit liegt Österreich auf dem letzten Platz aller 48 Länder, noch einmal 15 Plätze hinter Deutschland. Insgesamt landet Österreich deshalb wie schon erwähnt auf dem 40. von 48 Plätzen.

So ist die Mercer-Studie aufgebaut

Der ausführliche Bericht ist auf der Website von Mercer nach Angabe der Kontaktdaten (werden nicht geprüft) downloadbar. Er enthält ein Executive Summary inklusive Rankings und Empfehlungen. Dann werden der Aufbau und die drei Subindices erklärt, anschließend auf die Änderungen gegenüber dem Vorjahr eingegangen. Es folgen Empfehlungen für die bessere Ausgestaltung der Altersvorsorgesysteme, bevor man dann für jedes Land ein knappes Porträt mit Kennzahlen und Verbesserungsvorschlägen findet. Zum Abschluss geht der Bericht in jeweils einem eigenen Kapiteln auf die drei Subindices ein.

Im Anhang befindet sich eine weitere umfangreiche Tabelle, die die einzelnen Bewertungskriterien aufführt inklusive dem Gewicht, mit dem sie in Teil- und Gesamtindex einfließen. Vor allem aber listet die Tabelle die Einzelbewertungen bzw. Kennzahlen für jedes Land auf.

"Das Märchen vom österreichischen Rentnerglück"

Bereits im Mai 2024 hatte Spiegel-Kolumnist Michael Sauga über „Das Märchen vom österreichischen Rentnerglück“ geschrieben: „Politiker von Sahra Wagenknecht bis Hubertus Heil loben Österreich für seine Rentenpolitik. Ein Modell für Deutschland ist die Altersvorsorge im Nachbarland trotzdem nicht.“ Dabei gingen die Rentner dort ein Jahr früher in Rente und hätten trotzdem 500 Euro pro Monat mehr auf dem Konto als bei uns. Sauga beruft sich auf die DIW-Studie „Vorbild Österreich“ aus dem Jahr 2023 („Vorbild“ steht im Studientitel tatsächlich in Anführungszeichen).

Möglich ist das österreichische Rentenwunder dadurch, dass der Beitragssatz schon jetzt bei 22,3 Prozent liegt (in Deutschland liegt er noch bei 18,6 Prozent, soll aber im Rahmen des Rentenpaket II auf 22,3 Prozent erhöht werden). Zugleich gibt es in Österreich keine Pflegeversicherung, die aus Beiträgen der Arbeitnehmer finanziert wird und die Leistungen der Krankenkassen liegen deutlich niedriger. Die Zuwanderung ist deutlich höher, wobei es einen Rentenanspruch erst nach 15 Beitragsjahren gibt (Deutschland: fünf Jahre), was neben Zuwanderern vor allem Frauen mit Kindern benachteiligt. Die Renten folgen nicht der Lohn-, sondern nur der Preisentwicklung. Fazit: Laut Sauga sollten deutsche Politiker statt nach Südosten lieber nach Westen blicken: Auch er sieht die Niederlanden als ein besseres Vorbild.

OECD: "Renten auf einen Blick"

Auch die OECD vergleicht Altersvorsorgesysteme weltweit, allerdings nur alle paar Jahre, zuletzt in 2023. „Renten auf einen Blick“ bzw. „Pensions at a glance“ nennt sie die Veröffentlichung, die neueste liegt bisher nur auf Englisch vor. Die OECD verzichtet dabei auf ein Länder-Ranking. Die Tabellen in den Kapiteln 3 ff. enthalten aber eine Vielzahl an Kennzahlen, die einen umfassenden Vergleich ermöglichen.

Eine Gemeinsamkeit führender Länder scheint zu sein, dass sie über eine Art Grundrente Menschen mit niedrigem Einkommen absichern, zugleich alle Bürger verpflichten, auch privat vorzusorgen (in Deutschland ist das bei der Riesterrente jedem Einzelnen überlassen). Das kann in Summe zu sehr hohen Beiträgen führen: In den Niederlanden, dem beim Mercer-Vergleich führenden Land, gehen rund 18 Prozent in ein Umlagesystem und ungefähr genau so viel zwangsweise in die private Vorsorge. Große Unterschiede gibt es auch bezüglich der Äquivalenz von Beitrags- und Rentenhöhe. Nicht überall gilt dieses Prinzip, das in Deutschland hochgehalten wird. In einigen anderen Ländern ähnelt der Rentenbeitrag eher einer progressiven Steuer. Auf wieviel Akzeptanz dies stößt, hängt natürlich auch von der Gesamtsteuerbelastung ab.

Deutschland: Kein Plan für das Renteneintrittsalter nach 2030

Große Unterschiede gibt es beim Renteneintrittsalter. In Deutschland liegt dieses 2024 offiziell bei 66 Jahren und steigt bis 2030 in Zweimonatsschritten auf 67 Jahre. Die OECD berücksichtigt die „Rente mit 63“. Sie eingerechnet liegen wir bei 65,8 Jahren. Das tatsächliche Renteneintrittsalter liegt natürlich erheblich darunter, hat sich aber dem theoretischen Wert in den letzten Jahren deutlich angenähert durch eine gestiegene Erwerbsbeteiligung der älteren Erwerbstätigen.

Das Problem: Für die Zeit nach 2030 hat Deutschland – anders als andere Länder - keinen Plan für das Renteneintrittsalter. Eine weitere Erhöhung ist unpopulär und damit politisch schwer durchsetzbar. Immer mehr andere Länder sind den Schritt gegangen, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentner/innen nicht immer weiter abnimmt und damit die Beitragsbelastung steigt.

Zugleich steigt das Eintrittsalter nach Festlegung dieses Mechanismus automatisch, nach nachvollziehbaren, mit der Generationengerechtigkeit begründbaren Regeln und ohne dass erneute politische Beschlüsse nötig sind. Die höheren Altersgrenzen greifen zudem in der Regel erst Jahre und Jahrzehnte in der Zukunft. Allerdings: auch der Beschluss eines solchen Mechanismus benötigt Entschlossenheit und Mut, wenn auch nur einmalig.

"Ein Beispiel, wo wir in Deutschland falsch liegen"

Es gibt noch andere Risiken für die Zukunftssicherheit unseres Rentensystems, die kaum diskutiert werden, aber erhebliche Auswirkungen haben. Hubertus Heil hat durch Reformen der Erwerbsminderungsrente in den Jahren 2014, 2017 und 2018 die Zurechnungszeiten erhöht. Dadurch bekommt man bei frühzeitigem Ausstieg aus dem Arbeitsleben aufgrund einer Erwerbsminderung nun deutlich höhere Renten. Das ist einerseits nachvollziehbar, erhöht aber andererseits die Anreize, auf diesem Weg in die Frührente zu gehen. Inzwischen beantragen doppelt so viele Personen eine Erwerbsminderungsrente, wie dann nach der Gesundheitsprüfung genehmigt werden. Rentenexperte Prof. Hans Fehr (Universität Würzburg) sagte auf dem vbw-Kongress „Generationengerechte Altersvorsorge“: „Das ist ein Beispiel, wo wir in Deutschland falsch liegen.“

Mit dem Rentenpaket II steigen nicht nur die Beiträge

Das in der Ampel höchst umstrittene Rentenpaket II bringt, so steht es im Gesetzesentwurf, eine Beitragserhöhung von 18,6 auf 22,3 Prozent. Aber offensichtlich wird auch das nicht ausreichen, um das Rentenniveau wie geplant bei 48 Prozent zu halten. Deshalb wird der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung ebenfalls deutlich steigen müssen, unter anderem weil die Rentenversicherung auch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bezahlt, die ja ihrerseits wiederum stark steigen. Hatte man zunächst über eine Mehrbelastung durch das Rentenpaket von 500 Milliarden Euro gesprochen, wird inzwischen über eine Zahl von 800 Milliarden diskutiert. Die aktuell 100 Milliarden jährlicher Bundeszuschuss konnte man bisher mit dem Ausgleich versicherungsfremder Leistungen begründen, bei den zusätzlich erforderlichen Zuschüssen wird es sich um eine direkte Subvention der Rentner handeln. Sie wird aufzubringen sein von denselben Erwerbstätigen, die auch die steigenden Renten-, Kranken- und Pflegebeiträge schultern und zudem noch verstärkt privat vorsorgen sollen. Zugleich wird das Geld fehlen für andere staatliche Aufgaben wie Bildung und Infrastruktur, aber auch Verteidigung. Deshalb ist das Rentenpaket II so umstritten.

Das fordert der Rentenexperte

Rentenexperte Professor Fehr forderte deshalb auf dem vbw-Kongress zusätzlich zu einem an die Lebenserwartung gekoppelten Renteneintrittsalter und eine teilweise Rücknahme der Reformen zur Erwerbsminderungsrente die Reaktivierung des ursprünglich von Rürup eingeführten Nachhaltigkeitsfaktors, also einen langsameren Anstieg der Renten. Zudem sollte die betriebliche Altersvorsorge und/oder die angekündigte neue Riester-Rente seiner Ansicht nach verpflichtend gemacht werden, mindestens aber sollte sie zum Default werden, die einen bewussten Opt-out erfordert. Auch dadurch könnte die Beteiligung und damit diese Säulen der Altersvorsorge stark verbessert werden.

Was immer die Bundesregierung macht: Mithilfe der internationalen Vergleiche von Mercer und OECD können wir besser beurteilen, ob dadurch wirklich eine Verbesserung erreicht wird – und mehr darüber erfahren, wer gute Vorbilder sind und wer nicht. Wir als VGSD werden dafür sorgen, dass bei all diesen Schritten die Auswirkungen auf die Solo- und Kleinstunternehmen besser bedacht und berücksichtigt werden.

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