Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, will die neue Regierung Überstunden und Arbeiten im Rentenalter steuerlich begünstigen. Gut gemeint! Aber auch gut gemacht? Werden Selbstständige von den Vergünstigungen ausgeschlossen?
In Zeile 1.466 ff. des Koalitionsvertrags von Union und SPD finden sich gleich drei steuerliche Vergünstigungen für Mehrarbeit bzw. längeres Arbeiten, die wir für euch unter die Lupe nehmen (die Nummerierung haben wir ergänzt, die Passage entspricht, von einer redaktionellen Änderung abgesehen, unverändert dem geleakten Ergebnispapier der AG 16 "Haushalt, Steuern und Finanzen"):
1) Steuerliche Anreize für Mehrarbeit
Wer freiwillig mehr arbeiten will, soll mehr Netto vom Brutto haben. Wir stellen umgehend Überstundenzuschläge steuerfrei, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen.
2) Steuerliche Anreize für freiwilliges längeres Arbeiten
Zusätzliche finanzielle Anreize sollen geschaffen werden, damit sich freiwilliges längeres Arbeiten mehr lohnt. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, wird sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei erhalten. Fehlanreize und Mitnahmeeffekte werden wir vermeiden.
Wir prüfen dabei insbesondere die Nichtanwendbarkeit der Regelung bei Renteneintritten unterhalb der Altersgrenze für die Regelaltersrente, die Beschränkung der Regelung auf Einkommen aus sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und die Anwendung des Progressionsvorbehalts.
3) Steuerliche Begünstigung von Prämien zur Ausweitung der Arbeitszeit
Wir setzen Anreize zur Ausweitung der Arbeitszeit. Wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeit auf dauerhaft an Tarifverträgen orientierte Vollzeit zahlen, wird diese Prämie steuerlich begünstigt. Fehlanreize und Mitnahmeeffekte werden wir dabei vermeiden.
Zu 1) Steuerfreie Überstundenzuschläge
Eigentlich bedeutet "mehr Netto vom Brutto", dass man generell Steuern und Sozialabgaben begrenzt, so dass sich Mehrarbeit lohnt, auch wenn man sie ganz normal versteuern und verbeitragen muss. Statt diesen "sauberen" Weg zu gehen, versuchen die Finanzpolitiker der Koalition hier einen Trick: Sie schaffen neue, kleinteilige Vergünstigungen, um damit auf der Verhalten von Arbeitnehmer/innen Einfluss zu nehmen und gleichzeitig noch Gewerkschaften bei der Mitgliedergewinnung zu helfen.
Solche Ausnahmen sind oft mit viel Bürokratie verbunden, es kommt wenig raus und das Missbrauchspotenzial ist erheblich.
Selbstständige bleiben ausgeschlossen, aber das ist nicht das einzige Problem
Zunächst das offensichtliche: Hier wird eine weitere Steuervergünstigung eingeführt, die Anstellte und Beamte begünstigt, Selbstständige bleiben ausgeschlossen. Dabei leisten wir Selbstständigen doch gerade besonders viele Überstunden.
Aber auch die meisten Arbeitgeber können der geplanten Regelung nichts abgewinnen. In den meisten Wirtschaftsbereichen – auch der Industrie – gibt es seit vielen Jahren Gleitzeitmodelle. Überstunden werden durch Freizeit abgegolten. Die neue Regelung setzt Anreize, diese fein austarierten Modelle wieder aufzuschnüren, nur um als Arbeitnehmer ein paar Euro steuerfrei vereinnahmen zu können.
Was sind überhaupt Überstunden? Und darf man Teilzeit-Arbeit diskriminieren?
Die andere, noch viel drängendere Frage: Was sind überhaupt Überstunden? Die Regelung unter 1) soll nur für Vollzeitangestellte gelten. Standardmäßig beträgt die Regelarbeitszeit noch immer 40 Stunden. Für Gewerkschaftsmitglieder aber soll sie je nach Tarifvertrag bis hinab zu 34 Stunden betragen, so dass sie in höherem Umfang als Nicht-Mitglieder von steuerfreien Überstundenzuschlägen profitieren könnten. Mitgliedergewinnung auf Kosten des Steuerzahlers?
Die Erfahrung mit höchstrichterlichen Entscheidungen der letzten Jahre zeigt zudem: Selbstständige steuerlich zu diskriminieren mag in Ordnung sein, nicht aber Teilzeit-Angestellte. Schon bald könnte also auch jemand mit zehn, 20 oder 30 Wochenstunden die darüber hinaus geleistete Arbeit teilweise steuerfrei vereinnahmen wollen. Es liegt nahe, bei einem neuen Arbeitsverhältnis die geplante Stundenzahl etwas knapper anzusetzen, damit möglichst viele der geleisteten Stunden steuerfreie Elemente enthalten. Und wie verhält es sich bei Führungskräften? Werden die künftig genau auf ihre Überstunden achten und sich diese teilweise steuerfrei auszahlen lassen?
Zu 3) Wechsel von Teil- zu Vollzeit
Die dritte oben aus dem Koalitionsvertrag zitierte Maßnahme, nämlich der steuerlich vergünstigte Wechsel für den Wechsel von Teil- auf Vollzeit, wird den Richten in Hinblick auf die notwendige Gleichbehandlung von Überstunden bei Voll- und Teilzeit kaum genügen,.
Wir vermuten, dass am Ende die steuerlichen Vorteile beider Regelungen überschaubar bleiben werden, vor allem im Vergleich zu dem für sie nötigen zusätzlichen bürokratischen Aufwand.
Zu 2) 2.000 Euro steuerfrei im Monat
Als Rentner/in bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei vereinnahmen? Das ist ein Wort und würde sicherlich den ohnehin bestehenden Trend zur (Teilzeit-) Arbeit im Rentenalter verstärken. Im Text ist von "sollen geschaffen werden", aber auch von "wird" die Rede und die Koalitionäre werben mit dieser Maßnahme für ihren Koalitionsvertrag. Es ist also wahrscheinlich, dass sie tatsächlich kommt.
Geprüft werden soll allerdings noch "die Beschränkung der Regelung auf Einkommen aus sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen". Das würde selbstständige Rentner ausschließen, weil deren Einnahmen ja nicht sozialversicherungspflichtig sind. Selbstständige müssen sich kranken- und pflegeversichern, aber nicht zwangsläufig in einer gesetzlichen Krankenkasse. Sie müssen nach Einführung der Altersvorsorgepflicht Rücklagen in Höhe der Rentenbeiträge bilden, aber nicht zwangsläufig in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Politischer Sprengstoff
Angesicht des hohen Anteils von Selbstständigen, die im Alter selbstständig bleiben und der Tatsache, dass auch viele Angestellte nach Renteneintritt gründen, um endlich selbstbestimmter zu arbeiten, enthielte eine solche Ungleichbehandlung sehr viel politischen Sprengstoff.
Eigentlich soll die Regelung erst ab dem gesetzlichen Rentenalter (aktuell 66 Jahre und zwei Monate, für 1964 und später Geborene dann einheitlich 67 Jahre) gelten, aber geprüft wird auch, ob die Regelung nicht doch auch bei früherem Renteneintritt angewendet werden kann (es ist unklar, ob damit z.B. Fälle von Erwerbsminderung gemeint sind).
Geprüft werden soll des Weiteren die Anwendung des Progressionsvorbehalts. Gemeint ist damit, dass für Einkünfte oberhalb von 2.000 Euro dann bereits die bisher geltende höhere Progression (höherer Steuersatz) greifen soll.
Es geht um viel Geld für alle nahe oder über der Altersgrenze
Hier geht es um viel Geld für die stark steigende Zahl von Selbstständigen oberhalb der Altersgrenze – und für alle, die sich dieser nähern. Wir werden die Gesetzgebung zu diesem Thema deshalb genau verfolgen und versuchen, im besten Interesse der Selbstständigen Einfluss zu nehmen.Was ist deine regelmäßige Arbeitszeit und wie viele Überstunden leistest du? Zahlst du dir Überstundenzuschläge? ;-) Wie lange hast du noch bis zur Altersgrenze und möchtest du dann noch arbeiten? In welchem Umfang? Würde dir die 2.000-Euro-Regelung helfen, wenn sie auch für Selbstständige gelten sollte?
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