Knapp 2,2 Millionen Selbstständige sind Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Für viele wird die Neuregelung der Beitragsfestsetzung erhebliche finanzielle Nachteile bringen. Denn ab 2018 werden ihre Krankenkassenbeiträge nur noch vorläufig festgesetzt und später anhand des Steuerbescheids endgültig berechnet. Das kann zu erheblichen Nachzahlungen führen.
Die Neuregelung verbirgt sich hinter dem scheinbar harmlosen Titel Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG). Vom kommenden Jahr an sollen die Beiträge Selbstständiger zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung stärker an die Einkommensentwicklung angepasst werden. Das ist die Idee hinter Artikel 1 Nr. 16b des HHVG. Und es könnte eine gute Nachricht sein, wären da nicht die hohen Mindestbeiträge. Vor allem für Teilzeit-Selbstständige mit geringem Einkommen entstehen untragbare Risiken.
Rechtzeitiges Abgeben der Steuererklärung kann den Schaden begrenzen
Nach Art. 3 des Gesetzes tritt die Neuregelung am 1. Januar 2018 in Kraft. Deshalb unser Tipp für gesetzlich krankenversicherte Freelancer mit steigendem Einkommen: Um auf der sicheren Seite zu sein, gib deine Einkommensteuererklärung für 2016 (und ggf. die Vorjahre) so zeitig ab, dass du den Steuerbescheid noch in diesem Jahr erhältst. Damit kannst du zumindest für 2016 und die Vorjahre Nachzahlungen vermeiden. Der zuletzt ergangene Steuerbescheid wird dann Grundlage für die Berechnung der vorläufigen Beiträge.
Folgende Szenarien erklären das Problem.
Beispiel 1: Eine Freelancerin in der Familienphase ist beim Ehegatten kostenlos mitversichert, weil ihr Monatseinkommen unter der Geringfügigkeitsgrenze von 425 Euro bleibt. Im Jahr 2016 hat sie etwas höhere Einnahmen erzielt, der Gewinn steigt auf monatlich 475 Euro. Selbst wenn sie das gar nicht geplant hat – um die Geringfügigkeitsgrenze zu überschreiten, reicht es schon, wenn das Finanzamt eine Betriebsausgabe nicht anerkennt und den Gewinn entsprechend höher ansetzt.
Die Freelancerin gibt ihre Steuererklärung spät ab, der höhere Gewinn wird daher erst Anfang 2018 durch den Steuerbescheid festgestellt. Jetzt muss die Selbstständige für 2016 und 2017 rückwirkend eigene Krankenkassenbeiträge zahlen! Aufgrund des hohen Mindestbeitrags sind nachträglich rund 400 Euro Monatsbeitrag für Kranken- und Pflegeversicherung zu überweisen. Mit einem Schlag werden mehrere Tausend Euro fällig, obwohl der Gewinn nur marginal gestiegen ist. Für 2016 sind mehr als 80 Prozent des Einkommens nachträglich abzuführen!
Nachteile für Freelancer mit steigendem Einkommen
Auch für Selbstständige mit steigendem Einkommen – ein typisches Gründungs-Szenario – schafft die rückwirkende Beitragsfestsetzung Nachteile. Sie zahlen durch die neue Regelung unter dem Strich mehr als heute. Die bisherige Regelung ist zwar aufgrund der hohen Mindestbeiträge unfair, aber die Neuregelung macht es noch schlimmer.
Beispiel 2: Wer 2015 zwischen 425 und 2.231 Euro monatlich verdient, zahlte den überhöhten Mindestbeitrag. Übersteigt der Gewinn 2016 die Marke von 2.231 Euro und wird das 2017 per Steuerbescheid festgestellt, sind ab Datum des Bescheids höhere Beiträge zu zahlen. Denen steht aber bei einem erfolgreichen Gründer der inzwischen weiter gestiegene Gewinn gegenüber. Nach der Neuregelung sind die höheren Beiträge ab 2018 aber auch rückwirkend fällig, insgesamt steigt also die Beitragslast.
Verbände haben vor der Neuregelung gewarnt
Es gibt viele weitere Konstellationen, in denen die Neuregelung Nachteile bringt. Die Ausrede, das habe man nicht gewusst und nicht gewollt, zieht in diesem Fall nicht. Das HHVG war am 30. November 2016 Thema einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Hier haben der VGSD-Vorsitzende Andreas Lutz sowie Jochen Clausnitzer vom Bundesverband Direktvertrieb Deutschland e.V. (BDD) ausführlich dargelegt, welche Härten die Neuregelung für viele Freelancer mit sich bringt. Die Videoaufzeichnuung der Anhörung haben wir hier eingebunden, die relevante Passage beginnt bei etwa 43:50 Minuten mit einer Frage der SPD-Abgeordneten Hilde Mattheis.
Der BDD hat überdies zusammen mit anderen Verbänden eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Auch der Spitzenverband der Krankenkassen hat die Neuregelung deutlich abgelehnt.
Fazit: Der VGSD ist grundsätzlich damit einverstanden, dass Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung – wie bei Angestellten – anhand des Einkommens berechnet werden. In diesem Fall aber schafft die Kombination von überproportional hohen Mindestbeiträgen und nachträglicher Beitragsfestsetzung kaum kalkulierbare Risiken.
Neuregelung schreckt Gründer ab
Die neue Regelung schafft eine zusätzliche Hürde für alle, die ein Unternehmen aufbauen wollen. Für Selbstständige, die neu starten, entsteht ein ziemlich breiter „Todesstreifen“: Wer unter 425 Euro monatlich verdient, muss den Gewinn sprunghaft steigern, damit sich die Arbeit lohnt. Denn erst ab 2.132 Monatsgewinn richtet sich der Beitrag für Kranken- und Pflegeversicherung nach dem tatsächlichen Einkommen. In der Zone dazwischen ist rückwirkend der überhöhte Mindestbeitrag fällig. Wie Beispiel 1 zeigt, werden Freelancer mit geringem Einkommen dadurch faktisch nachträglich enteignet.
Jetzt mitzeichnen: Mit unserer Petition setzen wir uns für faire Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ein. Es ist nicht einzusehen, dass Selbstständige deutlich mehr zahlen als Arbeitgeber und -nehmer zusammen. Eine Gesetzesverschärfung zum 1.1.18 macht eine Reform noch dringlicher.
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