Wie bewerten wir und andere die "Neustarthilfe"? – Wir haben die Sprecher befreundeter Organisationen, Initiativen und prominente Einzelpersonen um eine Stellungnahme gebeten zu dem, was über die 5.000 Euro "Neustarthilfe" für die Zeit von Dezember 2020 bis Juni 2021 bekannt ist. Wir freuen uns auch Zusendungen von Statements weiterer Verbänden, gerne mit Foto. Parallel sind wir auch dabei, Politiker um Stellungnahmen zu bitten.
In Kürze werden wir noch weitere Stellungnahmen veröffentlichen, die uns bereits vorliegen!
Andreas Lutz: "Zu wenig, zu spät und falsch gedacht"
"Die Neustarthilfe ist für viele von der Corona-Krise betroffene Soloselbstständige die erste Maßnahme, die wirklich bei ihnen ankommen wird – wenn sie dann in zwei bis drei Monaten ausbezahlt wird.
Weil bisher nur weiterlaufende betriebliche Kosten bezuschusst wurden, muss im Frühjahr eventuell erhaltene Soforthilfe von vielen zurückbezahlt werden, Überbrückungshilfe haben sie gar nicht erst erhalten, die Novemberhilfe ist auf bestimmte Branchen beschränkt und gerade weil sie gewissenhaft für ihr Alter vorgesorgt haben, haben sie auch keine Grundsicherung erhalten.
Erstmals wurde eine Hilfsmaßnahme frühzeitig beschlossen und gibt etwas Planungssicherheit. Und trotzdem sind die Betroffenen von der Neustarthilfe tief enttäuscht und verbittert, denn sie ist im Verhältnis zu dem finanziellen Schaden, der ihnen zum Schutz der Allgemeinheit aufgebürdet wird, mit 714 Euro pro Monat viel zu niedrig. Seit Beginn der Krise sind fast neun Monate vergangen. Über den Gesamtzeitraum erhalten viele also gerade einmal rund 300 Euro pro Monat, die dann auch noch zu versteuern und zu verbeitragen sind. Zugleich ist die Neustarthilfe so ausgestaltet, dass sie einen Zuschuss zu den Betriebskosten ausschließt. Die Betriebskosten mögen gering sein, aber gerade deswegen zeigt sich in solchen kleinlichen Fußangeln, wie wenig die politischen Entscheider den Betroffenen eine echte Hilfe gönnen.
Zum Vergleich: Das Kurzarbeitergeld beträgt bis zu 3.755 Euro pro Monat. Es ist keineswegs mehr beitragsfinanziert, sondern wird seit Herbst aus dem Bundeshaushalt bezahlt. Auch Selbstständige, die über Jahre freiwillig in gleicher Höhe wie Angestellte in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben, erhalten kein Kurzarbeitergeld und oft noch nicht einmal Arbeitslosengeld.
Baden-Württemberg, NRW und Thüringen haben bis zu 1.180 Euro pro Monat als Unternehmerlohn bezahlt, was dort zu einer sehr viel höheren Zufriedenheit mit den Corona-Hilfen geführt hat. 1.180 Euro reicht in Großstädten oft noch nicht einmal für die Miete, aber es war ein wichtiges Symbol, dass diese Bundesländer ihre Selbstständigen wertschätzen und Ihnen im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten helfen.
Der Bund, der über deutlich mehr finanziellen Spielraum als die meisten Länder verfügt und davon im Fall des Kurzarbeitergelds oder bei der Hilfe für große Unternehmen wie Lufthansa und TUI großzügig Gebrauch macht, will nun die Soloselbstständigen nach vielen Monaten des Wartens mit 5.000 Euro abspeisen – und das für bis zu 16 Monate, in denen die Betroffenen oft ohne jede staatliche Entschädigung von ihren Ersparnissen leben und zunehmend - unter oft erheblichen Verlusten - ihre Altersvorsorge teilweise auflösen müssen.
Mit der Neustarthilfe setzt sich ein Problem fort, das sich durch alle bisherigen uns betreffenden Maßnahmen zieht wie ein roter Faden: Ein unzutreffendes Bild der Soloselbstständigen als prekäre Existenzen, (Lebens-) Künstlern, die ohnehin Hartz IV beziehen. Genau von diesem Zerrbild ausgehend ist die Neustarthilfe gedacht. Wer Hartz IV bezieht, dürfte sich über ein wenig zusätzlichen finanziellen Spielraum tatsächlich freuen, den er oder sie zur Akquise, Erschließung neuer Einnahmequellen und für vom Jobcenter nicht anerkannte, aber notwendige Ausgaben verwenden kann.
Die große Mehrheit der Soloselbstständigen hat aber auch weiterhin keinen Anspruch auf Grundsicherung, weil sie für ihr Alter vorgesorgt hat und sie ihre Ehe- und Lebenspartner nicht "in dieses Elend hineinziehen" wollen. Die überwiegende Zahl der Betroffenen ist deshalb mit Recht tief enttäuscht, dass die Bundesregierung sich noch nicht einmal auf 1.200 Euro für die nächsten sieben Monate einigen konnte, geschweige denn für rückwirkenden Zahlungen für die langen Monate davor.
Die Neustarthilfe ist deshalb zu wenig, zu spät und falsch gedacht. Die Regierung behandelt die Selbstständigen einmal mehr als Erwerbstätige dritter Klasse."
Volker Römermann: "Nicht nur Banken sind systemrelevant"
"Die German Speakers Association vertritt rund 800 Vortragsredner, die als Soloselbstständige seit März durch Veranstaltungsverbote bzw. -auflagen einem unverschuldeten Berufsverbot unterliegen.
In den Parlamenten sowie den wissenschaftlichen Einrichtungen, die die Politik beraten, sind solche Freiberuflicher und Soloselbständige nur marginal vertreten. Als „Pressure Group“ können und wollen wir nicht wirken, sondern wir haben nur unsere Stimme und die Kraft unserer Argumente. Uns ist durchaus bewusst, dass die Politik auf „Pressure Groups“ oft eher reagiert als auf Verbände, in denen Unternehmer zusammenkommen, um nüchtern und sachlich Themen zu besprechen, die alle betreffen und zu konkreten Lösungen führen.
Dennoch: Es ist überlebenswichtig, die Belange ähnlich gelagerter Branchen zu bündeln, um sich im Interesse unseres Landes Gehör zu verschaffen. Daher sind wir für die Initiative der VGSD dankbar und unterstützen sie mit allen Kräften.
Dass die angebotenen Hilfen „zu wenig, zu spät und falsch gedacht“ sind, wie Dr. Andreas Lutz schreibt, empfinden unsere Mitglieder ebenso. Uns ist bewusst, dass der Staat damit überfordert ist, allen Corona-'Geschädigten' einen Ausgleich zu schaffen, der jede Einbuße ausgleicht. Wenn aber Branchen sterben, muss gehandelt werden.
Nicht nur Banken sind 'systemrelevant'. Unternehmer, die als Redner ihr Wissen und ihr Know-how teilen und weitergeben und dadurch entscheidende Impulse in der Wirtschaft setzen, sind es nicht weniger. Unglaubliche Anstrengungen wurden übernommen, unfassbare Lasten getragen. Auch da gilt es, ein Zeichen zurück zu senden. Über den finanziellen Aspekt hinaus."
Catharina Bruns: "In Wirklichkeit ein schlechter Witz"
"Was die SPD-Fraktion hier 'Gute Nachrichten für Soloselbstständige' nennt, ist in Wirklichkeit ein schlechter Witz.
Bei der Ausgestaltung der Hilfen für Soloselbstständige beweist die Regierung seit nunmehr acht Monaten, wie wenig sie selbstständige Arbeitsmodelle versteht. Nun muss man davon ausgehen, dass sie sie auch wenig schätzt.
Mit einer befremdlichen Einmalzahlung für die nächsten 7 Monate und dem Festhalten an dem Verweis auf die Grundsicherung ist die Botschaft doch unmissverständlich: Diese Regierung hat entweder kein Interesse daran, oder ist unfähig, selbstständige Arbeit zu bewahren und ein angebrachtes Signal in der Krise zu senden, während sie sich bei angestellten Erwerbstätigen in der Frage geradezu überschlägt.
Und auch wenn es nicht in die beliebte Retter-Rhetorik der verantwortlichen Bundesminister Scholz und Altmaier passt: Wir betteln nicht nach staatlichen Hilfen, sondern es geht hier um Entschädigungsrechte und grundsätzlich um eine faire Politik für Selbstständige, für die wir branchenübergreifend weiter streiten werden."
Wolf Lotter: "Hohn statt Hilfe"
Wenn man von weniger leben soll als von Hartz IV, ist das nach der SPD und den Unionsparteien nun Unternehmerlohn oder Unternehmerhohn? Letzters natürlich, und was Olaf Scholz, Hubertus Heil und Peter Altmaier hier vorlegen, ist auch der Kurs ihrer Parteien und der Interessensgemeinschaften und Lobbies, die diesen Kurs tatsächlich bestimmen - Gewerkschaften wie Industrieverbände. Diese Gruppen stehen für eine Politik, in der konsequent Neue Arbeit - Selbstständigkeit, Arbeit in Projekten und Netzwerken - gegenüber der alten industriekapitalistischen „Vollerwerbsarbeit“ diskriminiert wird. Selbständige werden durchwegs schlechter behandelt als andere Bürgerinnen und Bürger - aus ideologischen Gründen. Drei Politiker, die noch nie einen Tag außerhalb von Partei und Öffentlichen Dienst gearbeitet haben, nutzen die Corona Krise, um eine politische Agenda, die seit Jahrzehnten das Handeln der SPD und der CDU in Sachen Neue Arbeit bestimmt, durchzudrücken. Man will sie in die Armut zwingen, um sie damit ins alte Sozialsystem, dass nicht mehr für die Neue Arbeit trägt, zu zwingen. Das ist die wahre politische Agenda, um die es hier geht. Damit stellt sich die Große Koalition unübersehbar gegen die Wissensgesellschaft und die zivilgesellschaftliche Selbstbestimmung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Sie spricht sich gegen Vielfalt auch in den lebens- und Arbeitsverhältnissen aus. Die „Neustarthilfe“ ist eine Altpolitikermaßnahme. Lassen wir sie damit nicht durchkommen.Wolf Lotter ist Journalist, Autor und Essayist, Gründungsmitglied von brand eins, für dass er die Leitessays Einleitungen schreibt. Sein aktuelles Buch „Zusammenhänge“ beschäftigt sich u.a. mit der Kultur der Unselbständigkeit und deren dramatischer Folgen für die Transformation. Im Jahr 2019 wurde er als Mitglied des Zukunftskreises des Bundesministeriums für Bildung und Forschung berufen. Dieses Amt legte er im Juni 2020 aus Protest gegen die Selbständigenpolitik der Bundesregierung zurück. wolflotter.de
Jetzt anschauen und Überblick verschaffen:
"Bis zu 7.500 Euro Zuschuss: So beantragst du die Neustarthilfe ohne Steuerberater"
mit Frank Scheele und Andreas Lutz
Zum Mitschnitt (wahlweise Audio oder Video)
Stephan Gingter: "Eine gute Idee verkommt zum nächsten Feigenblatt, das zwickt ..."
Als Weiterbildner*innen in der Wissensgesellschaft leisten wir einen Beitrag für die Gesellschaft, der laut Deutschem Institut für Erwachsenenbildung (D.I.E.) auf 6,4 Mrd. Euro jährlich beziffert wird. Die Verbände der Weiterbildungswirtschaft vertreten etwa 90.000 Trainer*innen, Berater*innen und Coaches.
Die neue Hilfe schließt nahezu nahtlos an die bisherigen 'Angebote' an. Die Idee, einen Unternehmerlohn aufzugreifen, begrüßen wir sehr. Das ist eine gute - und von uns bereits mehrfach geforderte - Idee.
Die Bedingungen zum Erhalt und die tatsächliche maximale Höhe machen aus der guten Idee ein zu kleines Feigenblatt, dass aufgrund der Nebenbedingungen auch noch zwickt. Was wir für unsere und für viele Branchen benötigen: schnell und einfach zugängliche Hilfen in einer Höhe, die für betroffene Kolleg*innen ein Überleben sichert. Damit wir auch weiter eine Wissensgesellschaft bleiben.
Marcus Pohl: "Veranstaltungswirtschaft ist deutlich berücksichtigt"
"Ein erster Schritt ist getan. Die Veranstaltungswirtschaft ist deutlich berücksichtigt in den kommenden Hilfen. Die Neustarthilfe für Soloselbständige erfüllt unsere Erwartungen aber bei weitem nicht.
Die Novemberhilfe umfasst auch die mittelbar indirekt Betroffenen, was all unsere Mitglieder einschließen könnte. Aber hier gilt es noch vor dem großen Jubel die Vollzugshinweise abzuwarten.
Es wäre nicht das erste Mal, dass vollmundige Versprechen im Kleingedruckten untergehen."
Jana Riediger: "Eher presse- und öffentlichkeitswirksames Manöver, als eine echte Hilfe"
"Wir haben in den letzten Monaten immer wieder betonen müssen, dass ein Großteil der kulturschaffenden Solo-Selbstständigen so gut wie keine Betriebskosten hat. Ihr erwirtschafteter Umsatz funktioniert äquivalent zum Gehalt. Davon müssen alle üblichen Lebenshaltungskosten gezahlt werden, zusätzlich die Sozialversicherungsbeiträge, Krankenkasse, Rentenversicherung
Ein erheblicher Anteil an Künstlern (die wiederum auch nur einen spezifischen Teil der Kulturschaffenden ausmachen) sind nicht in der KSK versichert und tragen, wie viele Selbstständige, diese Beiträge voll. Und ein großer Teil fällt noch immer bei der Grundsicherung durchs Raster. Nach fast 9 Monaten ohne nennenswerte Hilfen und Einkommen haben viele zusätzliche Schulden gemacht, während das Kurzarbeitergeld auf 80 bzw. 87% angehoben wurde.
Ob in der Überbrückungshilfe III ein Äquivalent zum Unternehmerlohn nach dem Vorbild Baden-Württembergs integriert wird, ist im Beitrag der Tagesschau nicht erwähnt. Viel Hoffnung haben wir jedoch nicht, die Beschreibung klingt eher nach einer Alternativlösung. Die Tagesschau selbst betitelt das Milliardenpaket jedoch mit den Worten: 'Die schwer getroffene Kulturbranche soll besonders profitieren'. Wenn diese Einmalzahlung in Höhe von 25 Prozent des Umsatzes, auf maximal 5000 Euro für sieben Monate gedeckelt, alles ist, hat sie diese Worte nicht verdient! Sie ist eher presse- und öffentlichkeitswirksames Manöver, als eine echte Hilfe."
Jakob J. Lübke: "Almosen in Höhe eines Bafögsatzes"
"Wir müssen jetzt zusammenstehen und denen helfen, die besonders hart getroffen sind – sei es gesundheitlich, sei es wirtschaftlich, sei es sozial. Nur mit massiver Hilfe können wir Beschäftigung und Unternehmen erhalten und die Grundlage legen dafür, dass wir nach Krise wieder voll durchstarten können. Das tun wir, wir halten mit aller Kraft dagegen." - Olaf Scholz
"Richtig, wir halten mit aller Kraft dagegen. Wir begegnen den hochprofessionalisierten, zum Teil internationalen Aushängeschildern unserer Kulturnation endlich mit dem, was ihnen gerecht wird: Almosen in Höhe eines Bafögsatzes.
Den Menschen, die mit Unternehmertum und Leidenschaft durch ihre Kunst einen maßgeblichen Teil dazu beitragen, dass sich unsere Gesellschaft unter der Belastung eines erneuten Lockdowns nicht zerbricht. Die Menschen, die essentiell zum Erhalt der psychischen Gesundheit unserer Gesellschaft durch ihre Musik, Bücher, Filme, Ideen und Inspiration beitragen nun seit mehr als 8 Monaten mit dieser finanziellen Unverschämtheit beschwichtigen zu wollen ist nicht nur unsozial, sondern zeugt vor allem von dem Unverständnis der Bundesregierung gegenüber der Lebensrealitäten ihrer Bürger."
Branko Trebsche: "Die Neustarthilfe ist unsozial"
"714 Euro pro Monat. Das ist die große Hilfe?
Sie soll nicht auf Hartz 4 angerechnet werden!? – Wenn wir uns in Erinnerung rufen, wie viele Arbeitsagenturen die Regelungen zum 'vereinfachten Verfahren' anfangs ignoriert haben, ist klar – das geht schief. Wenn die Änderung in Bezug auf Hartz 4 zur Bedarfsgemeinschaft nicht umgesetzt wird, lasst mich es deutlich sagen, wird die Regelung höchst unsozial sein.
Wenn der Soloselbstständige in einer Bedarfsgemeinschaft mit seinem Partner, seinen Kindern wohnt und der Partner arbeiten geht, gibt es nur sehr wenig oder gar kein Hartz 4. Der Single hingegen erhält bei Hartz 4 den vollen Satz. Der Soloselbstständige aus der Bedarfsgemeinschaft nur die 714 Euro. Sozial gerecht? Mitnichten!
Und der Vorgang riecht nach SPD-typischer Klientelpolitik. Wie komme ich darauf? Wenn es irgendwelche Selbstständige gibt, die noch die SPD wählen, dann diejenigen, die bei ver.di organisiert sind und oft ein sehr niedriges Einkommen haben. Wenn es in Richtung Wahl geht, werden die Gewerkschaften die Hilfe als Erfolg verkaufen. Und nebenbei wird versucht eine Organisation wie „Alarmstufe rot“ von der Straße zu holen und für Ruhe zu sorgen. Schlau gedacht, aber leicht zu enttarnen!"
Julia Rönnau: "Frust und Verzweiflung statt Hoffnung"
Die Mitglieder unseres Verbandes sind mehrheitlich freiberufliche Konferenzdolmetscher:innen; sie arbeiten alle auf hohem Niveau, zahlen hohe bis höchste Steuersätze und sind seit März 2020 aufgrund eines Virus bzw. der darauf folgenden Regierungsentscheidungen quasi mundtot gemacht worden.
Nach mehreren Offenen Briefen an die Regierung und zuständigen Minister waren wir bis jetzt noch voller Hoffnung, gehört und verstanden zu werden. Der nunmehr beschlossene „Unternehmerlohn“ verleitet in der Tat zur Verwendung des Begriffes „Unternehmerhohn“: nach wie vor wird die Realität unserer selbstständigen Berufstätigkeit nicht berücksichtigt und z.B. die enorme finanzielle Belastung unserer privaten Vorsorge offensichtlich als nicht-förderwürdiges „Privatvergnügen“ angesehen. Stattdessen werden unsere Steuergelder für die Finanzierung anderer Wirtschaftszweige benutzt, während wir mehr oder weniger leer ausgehen.
In Anbetracht des derzeitigen und voraussichtlich längerfristigen Stillstandes der Veranstaltungsbranche, von der wir maßgeblich abhängen, stellt sich die schlichte, aber mathematisch anspruchsvolle Frage, wie 5.000 Euro reichen sollen? Vor allem, da Sofort- und Überbrückungshilfen für die meisten unserer Mitglieder nicht zugänglich sind, da immer noch die Hürde der fixen Betriebskosten für die Antragstellung besteht (die bei uns „Einzelkämpfern“ nicht oder kaum vorhanden sind) und in den meisten Fällen die Grundsicherung verweigert wird, da bestehende finanzielle Reserven zur Bewertung mit herangezogen und somit aufgebraucht werden müssen.
Artur Sieg: "Das ist weder Fisch noch Fleisch!"
Es ist sehr gut, dass es endlich eine Hilfe für Lebenshaltungskosten gibt. Für uns, Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung, ist dies wichtig, weil unsere Betriebskosten eher gering sind. Andererseits unterliegen wir aber der Rentenversicherungspflicht, sodass wir sehr hohe Sozialabgaben haben.
Allerdings ist die Höhe der Neustarthilfe viel zu niedrig. Das ist weder Fisch noch Fleisch!
Wir haben eine Lebenshaltungskostenpauschale wie in Baden-Württemberg, also ca. 1200 Euro, gefordert und erwartet. Da die Neustarthilfe nur ca. 700 Euro beträgt, müssen wir sowieso hartzen gehen. Abgesehen davon, dass es, um es mit den Worten des bayerischen Ministerpräsidenten auszudrücken, unzumutbar ist, uns auf Hartz IV zu verweisen, sehen wir darin eine doppelte Bürokratie, auch und vor allem für den Staat, denn es sind sowohl Neustarthilfe als auch ALG II zu beantragen. Außerdem haben viele Kolleg*innen einfach keinen Anspruch auf ALG II, weil sie z.B. in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Das bedeutet Ungleichbehandlung, denn sie erhalten nur max. 714 €, während andere mehr bekommen können.
Es ist gut, das die Neustarthilfe nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird. Allerdings können wir uns nicht vorstellen, wie das in der Praxis gehandhabt werden soll. Da die Neustarthilfe eine Einnahme ist, müsste sie bei der Beantragung des ALG II angegeben werden. Dann wird man aber automatisch viel weniger erhalten. Um dies zu verhindern, bedarf es neuer und eindeutiger Regelungen und Anweisungen an die Jobcenter."
Jonas Kuckuk: "Wir brauchen einen Neustart in den Köpfen der Politiker"
Die sogenannte „Neustarthilfe“ zeugt von chronischem Unverständnis für Selbstständige ohne Angestellte und offenbart, wie überholt diese Haltung in der Politik ist.
Freie HandwerkerInnen arbeiten unkonventionell, meiden starke Hierachien und ärgerten sich schon immer darüber, dass man Soloselbstsändige anders behandelt und sie oftmals viel zu pauschal in den Ruf von „unterversicherten“, „unterbezahlten“, „unqualifizierten“ Scheinselbstständigen bringt.
Weil freie HandwerkerInnen weder von ihren IHKen oder HWKen ausreichend vertreten werden und sie selten in das Profil von spezialisierten Berufsverbänden passen, finden sich viele sinnvolle Forderungen in den verschiedensten Berufsverbänden, die sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAGSV) laut machen.
Der Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker fordert: Angemessene Hilfen für alle, unabhängig von Sparte, Berufszweig, Gewerbe, Kunst oder freier Beruf, unabhängig von ihrer Qualifikation.
Miteinbeziehung von Interessen von Soloselbstsändigen und Mitsprache auf Augenhöhe, statt sich auf tradierte und abfällige Äußerungen der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter unkritisch einzulassen.
Also: Wir brauchen einen Neustart in den Köpfen der Politiker für die Gleichstellung von Soloselbstständigen und Wertschätzung für alle Formen der Selbstständigkeit und jeden noch so ungewöhnlichen Lebenslauf."
Andreas Schwarz: "Förderung soll aber auch so sein, dass diese die Kosten auch für die nächsten Monate deckt"
Natürlich sind wir vom BVSV e.V. erfreut wenn es staatliche Unterstützung für Selbstständige gibt. Gerade für die Berufsfelder, die ansonsten durchs Raster fallen. Wir begrüßen jede Förderung die es Selbstständigen ermöglicht, Betriebskosten und oder Lebenshaltungskosten zu decken.
Die Förderung soll aber auch so sein, dass diese die Kosten auch für die nächsten Monate deckt und nicht als einmalige Leistung Lücken vergangener Zeit im geringen Umfang deckt.
Andreas N. Schwarz ist Vorsitzender im Bundesverband der Sachverständigen für das Versicherungswesen (BVSV) e.V.
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