Am 14. Oktober 2016 fand im Paul-Löbe-Haus in Berlin die Konferenz "Gerechte Alterssicherung für alle" statt, die von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen veranstaltet wurde.
Kristin Müller, Sprecherin der VGSD-Arbeitsgruppe Rentenpflicht, war für Panel II der Veranstaltung aufs Podium eingeladen und diskutierte mit:
- Eva Welskop-Deffaa (Mitglied im ver.di-Bundesvorstand und im Vorstand der DRV)
- Michael Hirschler (Deutscher Journalisten-Verband) und
- Professor Dr. Martin Werding (Lehrstuhl für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum)
zum Thema "Die Bürgerversicherung in der Rente. Ein Weg mit Hindernissen". Moderiert wurde das Panel von Maria Klein-Schmeink, MdB aus Münster und gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen.
Foto: Marco Lange / Grüne Bundestagsfraktion
Begrüßt wurden die rund 120 Teilnehmer durch die Fraktionsvorsitzende der Grünen Katrin Göring-Eckardt und den rentenpolitischen Sprecher Markus Kurth (mit dem sich der VGSD schon zuvor getroffen hatte, um über das Thema Rente zu sprechen). Göring-Eckardt sprach eine Reihe von Fragen an, die sich die Bürger heute zum Thema Rente stellen und die im Laufe des Tages beantwortet werden sollten.
Vom Drei- zum Vier-Säulen-Modell – öffentliches Basisprodukt statt Riester-Rente
Professor Dr. Frank Nullmeier, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen und Leiter der Abteilung "Theorie und Verfassung des Wohlfahrtsstaates" des Zentrums für Sozialpolitik sowie ehemaliges Mitglied der Rürup-Kommission, gab daraufhin eine Einführung ins Thema. Er erklärte das bestehende 3-Säulen-System der Altersvorsorge und sprach von der Grundsicherung im Alter als vierte Säule. Von den 512.000 Grundsicherungsempfängern hätten zuvor 75 Prozent Transferleistungen bezogen. Nur jeder Vierte sei durch den Renteneintritt erstmals zum Leistungsempfänger geworden. Altersarmut solle nicht dramatisiert werden.
Die Riester-Rente sollte seiner Meinung nach durch ein öffentliches Basisprodukt ersetzt werden, das mit niedrigen Kosten und geringen Anlagerisiken verbunden wäre.
Panel II: Die Bürgerversicherung in der Rente. Ein Weg mit Hindernissen?
Anschließend fanden vier Panels statt. Wir gehen zunächst auf das zweite ein, bei dem der VGSD auf dem Podium vertreten war.
Eva Welskop-Deffaa ist eine Befürworterin der Bürgerversicherung. Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf die zunehmend hybriden Erwerbsverläufe und die damit verbunden Unterbrechungen in der Altersvorsorge, zum Beispiel wenn Gründer in den ersten Jahren alles in den Aufbau des Geschäfts investieren, es dann womöglich nicht so gut läuft und anschließend Lücken im Rentenverlauf bestehen. Bei der Diskussion über Clickworker räumte sie ein, dass es sich hierbei jüngsten Studien zufolge eher um ein Randphänomen zu handeln scheine.
Michael Hirschler ging auf die besondere Situation der Journalisten und ihre Absicherung in der Künstlersozialkasse ein.
Werding: Rentenversicherungspflicht für Selbstständige ist "Trick"
Professor Werding konnte der Bürgerversicherung dagegen wenig Positives abgewinnen. Er sieht die Rentenversicherungspflicht für Selbstständige als Trick, um die Finanzierunggrundlagen zu verbreitern, ohne dass langfristige positive Effekte eintreten. Das jetzige System der Beamtenversorgung sei nicht tragfähig. Eine Einbeziehung der Beamten in die Bürgerversicherung wäre nach seiner Aussage jedoch mit haushaltswirtschaftlichen Problemen verbunden. Auch Werding sprach sich für ein Vier-Säulen-Modell aus.
Was Kristin Müller vom VGSD sagte
Kristin Müller begrüßte die von den Grünen angestoßene faktenbasierte Diskussion und verwies auf die Heterogenität der Selbstständigen, die eine Pauschalisierung verbiete. Mit Bezug auf Pläne für eine Bürgerversicherung forderte sie einen verbindlichen Fahrplan für die Einbeziehung aller Gruppen, um eine Schlechterstellung der Selbstständigen zu vermeiden. Zudem müsste es für Selbstständige, die bereits fürs Alter vorsorgen, großzügige Übergangsregelungen geben, um sie nicht nachträglich zu bestrafen.
Ziel müsse eine ganzheitliche Betrachtung sein. Durch die bloße Umverteilung der Beiträge der neu hinzugewonnen Beitragszahler an die jetzigen Rentner würden die demografischen Probleme lediglich aufgeschoben. Sie wies darauf hin, dass die hohen Mindestbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere für Selbstständige mit geringem Einkommen, in diesem Zusammenhang ein wichtiges Hindernis darstellen und forderte eine Absenkung der Beiträge. Dabei müssten auch privat krankenversicherten Selbstständigen berücksichtigt werden, die von einer solchen Absenkung nicht profitieren würden.
Zuletzt sprach sie die nicht nachvollziehbaren Abgrenzungskriterien für Scheinselbständige an und betonte, dass Rechtssicherheit für Selbständige und Auftraggeber geschaffen werden müsse, um die Akzeptanz der Deutschen Rentenversicherung bei Selbstständigen zu erhöhen.
Wenn es die Politik nicht schaffe, das System zukunftsfähig zu gestalten, bevorzuge der VGSD klar den Status quo.
Die anderen Panels
Im Folgenden wollen wir noch in aller Kürze auf die anderen drei Panels eingehen. Detaillierte Informationen zum Inhalt dieser Panels können dem ausführlichen Bericht entnommen werden, den die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen demnächst vorlegen wird.
- Panel I: Neue Wege in der Alterssicherung. Grundrente aus Steuern oder Altersrente per Umlage? - Hier ging es um die Grundsatzfrage, ob wir in Deutschland eine Bürgerversicherung brauchen, oder ob es andere Wege gibt, um eine verlässliche und armutsvermeidende Absicherung im Alter sicherzustellen.
- Panel III: Frauen und Rente. Ist Altersarmut unausweichlich? - Frauen sind besonders von Altersarmut bedroht. Es ging darum, was die Ursachen dafür sind und was im Rentensystem, aber auch im Vorfeld bei Bildung und Erwerbstätigkeit getan werden kann, um dies zu ändern.
- Panel IV: Flexibel in die Rente. Individuelle Lösungen für jede/n? - Das Renteneintrittsalter steigt bis 2030 auf 67 und dabei wird es wohl nicht bleiben. Viele Menschen wollen auch länger arbeiten, in manchen Berufen fällt das aber schwer. Diskutiert wurde über Regel- versus faktisches Rentenalter, was mit Menschen geschieht, wenn sie vor Eintritt der Regelaltersgrenze krank oder arbeitslos werden. Ausführlich diskutiert wurde auch die Frage, ob eine Differenzierung der Regelaltersgrenze nach Berufen sinnvoll ist. Experte Dr. Götz Richter von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsschutz hält eine Unterscheidung auch Berufen für problematisch und ungerecht. Eher müsste nach Tätigkeitsfeldern differenziert werden. In der Praxis führe wohl kein Weg an medizinischen Einzelfallprüfungen vorbei.
Abschlussdiskussion: BDA-Vertreter sieht Rentenversicherungspflicht kritisch
Die Abschlussrunde war besonders prominent besetzt.
Katrin Göhring-Eckardt betonte, dass die Grünen langfristig auf eine Bürgerversicherung hinarbeiten. Selbstständige sollen dabei relativ schnell in einem ersten Schritt verpflichtend einbezogen werden. Die Grünen fordern – wie von Professor Nullmeier eingangs angeregt – ein öffentlich-rechtliches Basisprodukt als Ersatz für die Riester-Rente, insbesondere mit Blick auf Menschen mit geringem Einkommen.
Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, rechnete vor, dass einem Bruttoeinkommen von heute 2.500 Euro im Jahr 2030 eine Rente von 805 Euro gegenüberstünde. Die Riester-Rente sei gescheitert und solle daher nicht weiter subventioniert werden. Wie in Österreich bereits geschehen, müsse man auch in Deutschland eine Erwerbstätigenversicherung einführen, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen.
Alexander Gunkel, Hauptgeschäftsführer der BDA, sprach sich für eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige (also gegen eine Rentenversicherungspflicht) aus. Er wies auf den Widerstand bei Selbstständigen hin und erwähnte auch die von Tim Wessels initiierte Petition vor vier Jahren, die in kurzer Zeit von 80.000 Menschen unterzeichnet wurde. Die Einbeziehung der Selbstständigen hätte nur einen kurzfristigen Effekt auf die Finanzierungsbasis der Rentenversicherung.
Axel Reimann, Präsident der DRV, sieht das anders: Er verwies auf zunehmende Lücken in der Erwerbs- bzw. Rentenbiografie. Die Rentenversicherungspflicht für Selbstständige müsse angegangen werden.
Fazit
Kristins Fazit der Veranstaltung: "Ich bin, auch durch zahlreiche Vorgespräche im Sprecherteam der Arbeitsgruppe gut vorbereitet in die Veranstaltung gegangen. Die Diskussion fand auf Augenhöhe statt und von den anderen Gesprächspartnern und Teilnehmern ist mir viel Wertschätzung entgegengebracht worden. Es haben sich für den VGSD eine ganze Reihe interessanter Kontakte ergeben, die bereits zu konkreten Ergebnissen geführt haben."
Update: Inzwischen ist eine erste Zusammenfassung der Konferenz aus Sicht der Grünen erschienen.
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