Zum Inhalt springen
Mitglied werden

VGSD finanziert dritte Instanz Dieser Freispruch wegen angeblichen Subventionsbetrugs macht Hoffnung

Angelina Dietrich hat einen wichtigen Anteil daran, dass ihre Mutter das gegen sie laufende Verfahren in zweiter Instanz gewonnen hat

Die deutsche Justiz führt zurzeit Tausende von Strafverfahren wegen Subventionsbetrugs gegen Selbstständige, die im Frühjahr letzten Jahres Soforthilfe beantragt haben. Viele Bundesländer haben zudem gerade mit der Abrechnung der Soforthilfe begonnen, als Folge drohen womöglich weitere Verfahren.

Hier macht ein Urteil aus NRW Hoffnung, bei dem es um mehrere Vorwürfe ging, die auch für viele andere Verfahren typisch sind:

  • Es habe gar keine hauptberufliche Selbstständigkeit vorgelegen,
  • die Soforthilfe sei mehrfach beantragt worden,
  • statt einem Geschäftskonto und der Firmenadresse seien Privatkonto und -adresse angegeben worden. 

Erst verurteilt, dann freigesprochen

Nach oben

Das Amtsgericht Solingen bestätigte die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft und verurteilte die Betroffene nicht nur zur Rückzahlung von 9.000 Euro Soforthilfe, sondern zudem zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro. Das Landgericht Wuppertal beschäftige sich in der zweiten Instanz sehr viel ausführlicher mit dem Fall und kam zum genau entgegengesetzten Urteil: Freispruch erster Klasse, keine Geldstrafe, die Soforthilfe darf behalten werden, Tadel für die Staatsanwaltschaft. Das macht Hoffnung. (Die PDFs der Urteile sowie die von uns gefertigten Zusammenfassungen findest du unten.)

Doch die Staatsanwaltschaft will das nicht akzeptieren, geht in Revision... Deshalb beteiligt sich der VGSD mit 3.000 Euro an den Rechtanwaltskosten der dritten Instanz. Nicht nur gleichen die Vorwürfe denen vieler anderer Fälle und ein Freispruch wäre für die dort Betroffenen von großer Bedeutung: Es ist ungewöhnlich, dass überhaupt schon ein zweitinstanzliches Urteil vorliegt!

Auch für viele andere Betroffene von Bedeutung

Womöglich haben die zahlreichen Briefe und Anrufe der Tochter der Beschuldigten dazu beigetragen, dass das Verfahren beschleunigt wurde. Zudem gab Frau Angelina Dietrich bereits in Ihren vorgerichtlichen Schriftsätzen zahlreiche und wichtige Hinweise, die zum Freispruch in der zweiten Instanz beitrugen. Wesentlich zum Erfolg beigetragen haben dürfte auch, dass die Familie trotz der bestehenden finanziellen Herausforderungen, ihren Anwalt wechselte.

Tochter berichtet bei VGSD-Talk über Verfahren

Nach oben

Wenn du von Angelina Dietrich selbst über den Fall ihrer Mutter hören möchtest, wie das Verfahren ablief und welche Vorwürfe im Detail erhoben wurden, und wie sie es geschafft hat, dass es so schnell zu einem zweitinstanzlichen Urteil kam, dann verpasse nicht unseren Talk "Strafverfahren statt Soforthilfe: Die Tochter einer Betroffenen berichtet von ihrem Weg durch die Instanzen". 

Zum Mitschnitt

Der Sachverhalt in aller Kürze

Nach oben

Eine alleinerziehende Mutter macht sich kurz vor Beginn der Corona-Krise selbstständig, um nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes weiterhin Ihre Lebenshaltungskosten tragen, sowie Ihre beiden Töchter während Ihres Studiums unterstützen zu können. Um die hohen Anlaufkosten zu finanzieren, nimmt sie tagsüber eine zeitlich befristete Anstellung an und arbeitet an den Nachmittagen und am Wochenende in den Studios. 

Das Geschäft läuft gut an, bis der erste Lockdown kommt. Den Versprechungen der verantwortlichen Minister und Auskünften ihrer Handwerkskammer folgend beantragt sie für die beiden Studios Soforthilfe, erhält diese in einem Fall, um mit ihnen die weiterlaufenden Kosten, insbesondere die Studiomieten, Neben- und sonstigen Fixkosten zu decken. 

Der Schritt an die Öffentlichkeit

Dann die polizeiliche Verfolgung und monatelange Sperrung aller Bankkonten. Dann die Anklage wegen Subventionsbetrugs, schließlich Verurteilung durch das Amtsgericht. Glücklicherweise studiert die ältere Tochter Jura, überzeugt die Mutter, in Berufung zu gehen. Die Familie ist überglücklich, als sie die zweite Instanz gewinnt, einen Freispruch erster Klasse erhält, auch wenn die Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil einlegt.

Jetzt wendet sie sich wieder an den VGSD. Der Kontakt besteht schon seit Herbst letzten Jahres, doch die Angelegenheit war für die Mutter zu schambehaftet, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Freispruch und die Worte, die der Landrichter an sie persönlich richtete, ermutigen sie jetzt, diesen Schritt zu gehen.

Das Urteil der ersten Instanz (Zusammenfassung und PDF)

Nach oben

Werde jetzt Vereinsmitglied um diesen Inhalt ansehen zu können

Bist du bereits Vereinsmitglied? Dann melde dich jetzt an.

Das Urteil der zweiten Instanz (Zusammenfassung und PDF)

Nach oben

Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Wuppertal fand am 07.10.2021 statt. Erst seit wenigen Tagen liegt das Urteil vor, dass wir im Folgenden zunächst zusammenfassen und dann verlinken. Der Vorsitzende Richter sowie die Schöffen, ein Flugkapitän und ein Speditionskaufmann, haben sich sehr viel eingehender mit dem Sachverhalt beschäftigt. Das Urteil hat einen Umfang von gut 15 Seiten, fünfmal so viel wie das aus der ersten Instanz.

Zunächst wird das in erster Instanz ergangene Urteil referiert, gegen das sowohl die Staatsanwaltschaft (sie wollte eine deutlich höhere Strafe) als auch die Beschuldigte Berufung eingelegt haben. Es folgt die Zusammenfassung des Sachverhalts und schon an dieser Stelle der Hinweis, dass die Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts bei den Soforthilfe-Anträgen keine unrichtigen Angaben gemacht habe.

Werde jetzt Vereinsmitglied um diesen Inhalt ansehen zu können

Bist du bereits Vereinsmitglied? Dann melde dich jetzt an.

Frage für Frage das Antragsformular durchgegangen

Später (ab Seite 8 des Urteils) wird das Gericht Frage für Frage die genaue Formulierung des Antragsformulars zitieren und begründen, warum es in allen diesen Fälle zu dem Ergebnis kommt, dass die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen erfolgten.

Zunächst geht das Gericht aber auf die Lebensgeschichte und den beruflichen Hintergrund der Angeklagten ein, die mit 19 Jahren nach Deutschland ausgesiedelt ist und lange in leitender Position im Einzelhandel arbeitete, auf ihre (selbst finanzierte) Umschulung, die Gründung bzw. Übernahme der Kosmetikstudios und die Aufnahme der befristeten Beschäftigung.

Ausführlich wird der zeitliche Ablauf, die Höhe von Einnahmen und Ausgaben getrennt nach den beiden Studios sowie der Anstellung referiert. Ausführlich geht das Urteil auf den zeitlichen Umfang der Tätigkeiten ein, dann auf die Veränderungen, die sich durch die Corona-Krise und die Maßnahmen zum Gesundheitsschutz ergaben, sowie die Beantragung der Soforthilfe.

Es folgen, wie bereits erwähnt, die Zitate aus dem Antragsformular. In Hinblick auf die doppelte Antragstellung geht das Gericht darauf ein, dass diese auf Empfehlung der Handwerkskammer erfolgte.

Teilweise völlig absurde Vorwürfe der Staatsanwaltschaft

In Hinblick auf die Nebentätigkeit ist für das Gericht von Bedeutung, dass die Angeklagte mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit auf die Führung der Kosmetikstudios verwendet hatte, und zwar deutlich mehr als die 15 Wochenstunden, die für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung durch Krankenkassen entscheidend sind (vgl. dazu Seite 12 und ausführlich auch 15). Zugleich habe es im Antragsformular an einer eigenen Definition von Hauptberuflichkeit gefehlt. (Anlauf-)Verluste seien kein Argument für eine Nebenberuflichkeit.

Abgewiesen wird auch die Argumentation der Staatsanwaltschaft, die Zahl der Aufträge bzw. die in den Studios verbrachte Zeit habe schon vor dem Lockdown abgenommen. 

Auch der (meines Erachtens völlig absurde) Vorwurf, die Angeklagte habe die Corona-Soforthilfe zweckwidrig verwendet, weil sie sie auf ein auch privat genutztes Konto überweisen ließ und sie auch zur Zahlung der Miete des zweiten Studios verwendete, während die Hilfe doch für das erste Studio beantragt worden sei, verwirft das Oberlandesgericht. 

Man könne (so möchte ich es in meinen eigenen Worten zusammenfassen), nicht jemand gleichzeitig vorwerfen, er habe in betrügerischer Absicht zwei Anträge gestellt, wo man doch als Einzelunternehmerin nur einen stellen dürfe – dann aber argumentieren, der erste Antrag hätte sich nur auf das erste Studio bezogen, weshalb das Geld nur für dieses verwendet werden dürfe. Die Staatsanwaltschaft ging offenbar noch einen Schritt weiter und bezweifelte mit diesem Argument auch gleich noch die Hauptberuflichkeit nach dem Motto: Es hätte nur der Zeitaufwand für das erste Studio betrachtet werden dürfen, weil doch der Antrag auch nur für dieses erste gestellt worden wäre...

Neuester Hilfreichster Kontroversester
Kommentar schreiben
Abbrechen

Du möchtest Kommentare bearbeiten, voten und über Antworten benachrichtigt werden?

Jetzt kostenlos Community-Mitglied werden

Zum Seitenanfang

#

#
# #