Deutschland hat gewählt, Schwarz-Gelb die Mehrheit verloren, Angela Merkel muss einen neuen Koalitionspartner finden. Im folgenden Beitrag nehmen wir die Wahlergebnisse aus der Perspektive von Gründern und Selbstständigen unter die Lupe und untersuchen, welche Entwicklungen je nach Koalition auf uns zukommen.
Schwarz-gelb ohne Mehrheit: Das liegt auch an den Selbstständigen
Dass CDU und CSU nicht alleine regieren können, sondern ein Korrektiv an ihrer Seite haben werden, ist aus Sicht von Gründern und Selbstständigen positiv. Die politischen Pläne der Union, wie sie sich in den Antworten auf die VGSD-Wahlprüfsteine ausgedrückt haben, waren von unseren Mitgliedern mit einer Durchschnittsnote von 4,3 bewertet worden und hatten damit die schlechteste Bewertung aller Parteien erhalten. Mit keiner einzigen Antwort erreichten die Schwesterparteien das obere Notendrittel.
Die FDP ist der große Verlierer des Wahlabends. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Liberalen die Interessen von kleinen Selbstständigen in den letzten Jahren aus den Augen verloren hatten. Zwar sind die Selbstständigen die einzige Berufsgruppe, in der die FDP überhaupt noch mehr als fünf Prozent erreichten. Wie Tagesschau.de berichtet, verlor die FDP in dieser Gruppe mit minus 16 Prozent aber besonders stark. Unsere Mitglieder, von denen vor vier Jahre sicherlich noch ein erheblicher Teil die Liberalen gewählt hatten, haben den Antworten der FDP auf unsere Wahlprüfsteine mit 3,7 das zweitschlechteste Zeugnis ausgestellt.
Nachdem die Alternative für Deutschland (AfD) knapp und die Piratenpartei sehr deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind, bleiben Angela Merkel nur SPD und Grüne als Koalitionspartner. Rechnerisch ist auch eine rot-rot-grüne Koalititon denkbar, politisch aber sehr unwahrscheinlich.
Die politischen Positionen der potenziellen Koalitionspartner
Im folgenden vergleichen wir die politischen Positionen der potentiellen Koalitionspartner in den zehn für Gründer und Selbstständige wichtigsten Politikfeldern. Welche Position letztlich realisiert wird, hängt nicht nur von der künftigen Regierungskoalition ab, sondern auch davon, welche Partei den verantwortlichen Minister stellen wird.
Themenfeld 1: Sozialversicherung für Selbstständige
1a. Rentenversicherungspflicht für Selbstständige: Wahrscheinlich
Die einzigen Parteien, die sich vor der Wahl gegen eine Rentenversicherungspflicht ausgesprochen hatten, nämlich FDP und AfD, sind an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. SPD, Grüne und Linke wollen die Einführung einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Union will eine Altersvorsorgepflicht, wobei aber auch private Formen der Altersvorsorge anerkannt werden sollen. Die Berücksichtigung privater Alternativen war der FDP allerdings wichtiger als der Union, von daher könnte sich diese auf einen Koalitionspartner zubewegen. Mehr
1b. Reduzierung der GKV-Mindestbeiträge für Selbstständige: Fraglich
Die SPD hat angekündigt, den nur für Selbstständige geltenden Mindestbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung deutlich zu senken. Ebenso wie Grüne und Linke wollte sie den Mindestbeitrag durch Abschaffung der privaten Krankenversicherung (PKV) und Einführung einer Bürgerversicherung mittelfristig komplett überflüssig machen. Die Union hält den Mindestbeitrag dagegen für gerechtfertigt und steht einer Bürgerversicherung kritisch gegenüber. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass bei einer von Merkel geführten Regierung alles beim Alten bleibt und somit auch die GKV-Mindestbeiträge weiter bestehen. Mehr
1c. Überforderung durch Beitragssteigerungen und Altbeiträge: Keine dauerhafte Lösung
Die Union glaubt dieses Problem durch das vor kurzem erst beschlossene Überforderungs-Beseitigungs-Gesetz gelöst zu haben. Allerdings kuriert es eher an Symptomen als an den eigentlichen Ursachen, nämlich den bereits erwähnten hohen Mindestbeiträgen und Kostensteigerungen. Eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung und Einführung einer Bürgerversicherung, wie sie SPD, Grüne und Linke wollen, ist mit der Union kaum vorstellbar. Damit ist zu fürchten, dass die Überforderung durch Beitragssteigerungen weiter bestehen wird. Mehr
1d. Arbeitslosenversicherung für Selbstständige: Verbesserungen absehbar
Die Union hält den aktuellen Zustand (gegenüber 2011 vierfachete Beiträge mit 50% Ermäßigung im ersten Jahr nach der Gründung) für gerecht. Die SPD hat sich von der Beitragserhöhung zumindest im Rahmen unserer Wahlprüfsteine nicht grundsätzlich distanziert, sondern vor allem einen Zugang zur Versicherung auch für bereits langjährig Selbstständige gefordert. Die Grünen dagegen wollen ein Senkung der Beiträge auf das frühere Niveau und zudem einen besseren Zugang auch für bereits Selbstständige und für studentische Gründer. Mehr
Themenfeld 2: Gründungsförderung
2a. Gründungszuschusss: Deutliche Verbesserungen wahrscheinlich
Hier stoßen die Positionen besonders scharf aufeinander: Die CDU hat den 2006 gemeinsam mit der SPD eingeführten Gründungszuschuss seit Ende 2011 stark eingeschränkt. Die SPD bekennt sich besonders klar dazu, die Verschlechterungen zurückzunehmen und den Rechtsanspruch auf Gründungszuschuss wiederherzustellen. Das gilt, wenn auch etwas weniger scharf formuliert, auch für Grüne und Linke. Wir rechnen hier mit einer deutlichen Verbesserung für die Gründer, die allerdings eine entsprechende Finanzierung der Mehrausgaben voraussetzt. Mehr
2b. Gründercoaching für Arbeitslose: Vielleicht ja, wenn die EU mitspielt
SPD, Grüne und Linke haben sich eindeutig für den Erhalt des Gründercoachings für Arbeitslose ausgesprochen, die Union hat die Streichung verteidigt. Die Frage ist hier, ob eine Beantragung bzw. Verwendung der entsprechenden EU-Mittel für die kommenden Jahre noch möglich ist. Mehr
2c. Mikrokreditfonds Deutschland: Für 2014 gesichert
Hier waren sich alle Oppositionsparteien einig: Die Abschaffung des Mikrokreditfonds ist völlig unverständlich und eine Fortsetzung sinnvoll. Die Grünen sind sogar noch einen Schritt weiter gegangen und haben gefordert, dass auch KfW-geförderte Kredite über die zur Mikrokreditvergabe aufgebauten Mikrofinanzinstitute (MFI) vergeben werden können. Auch die Union gab an, die Vergabe von Mikrokrediten fortsetzen zu wollen, allerdings in veränderter Form, möglicherweise zusammen mit Banken anstelle des gerade aufgebauten Netzwerks aus MFI. Wie gerade bekannt wird, gab es für 2014 eine Einigung, die die weitere Kreditvergabe zunächst sicherstellt. Für die Zeit ab 1.1.2015 müssen die Weichen erst noch gestellt werden, wobei auch die EU ein Wort mitzureden hat, da es sich - ebenso wie beim Gründercoaching Deutschland - um Mitttel des Europäischen Sozialfonds handelt. Mehr
Themenfeld 3: Bürokratieabbau und Rechtssicherheit
3a. IHKs und Handwerkskammern: Mehr oder weniger Reformdruck je nach Koalition
Die Union steht den Kammern am positivsten gegenüber. Die SPD steht einer Abschaffung kritisch gegenüber, hält aber Reformen für nötig. Die Grünen machen den Fortbestand von Reformen abhängig, die Linken stehen den Kammern noch kritischer gegenüber. Je nach Koalitionspartner besteht also mehr oder minder großer Reformdruck. Mehr
3b. Minijobs: Bleiben erhalten, aber Erschwernisse möglich
Die Union bekannte sich zu den 450-Euro-Jobs, ergänzte aber, die geringfügige Beschäftigung dürfe aber nicht "Grundlage für ein Geschäftsmodell sein". Was damit genau gemeint ist, ist unklar. SPD, Grüne und Linke forderten dagegen eine Umwandlung in vollumfänglich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Gut möglich, dass die Union ihren Koalitionspartnern Zugeständnisse macht, um die geringfügige Beschäftigung zu erhalten. Mehr
3c. Fehlende Rechtssicherheit für kleine Unternehmen: Besserung ungewiss
Die hohe Rechtsunsicherheit für kleine Unternehmen etwa in Hinblick auf Scheinselbstständigkeit oder Freiberuflereigenschaft wollen SPD und Linke durch eine klarere Abgrenzung lösen, die dann aber die Grenze in Richtung Scheinselbstständigkeit oder Gewerblichkeit verschieben könnte. Die Union hatte sich dagegen für den Erhalt des Status quo ausgesprochen. Die Grünen hatten bei der Beantwortung der Wahlprüfsteine angegeben, sie verstünden den Wunsch nach mehr Rechtssicherheit und man könne gemeinsame Wege prüfen. Keine dieser Antworten befriedigte unsere Mitglieder. Eine Verbesserung des jetzigen Zustands ist von daher ungewiss - es lohnt sich aber, an einer Verbesserung zu arbeiten. Mehr
Fazit: Hoffnungen und Befürchtungen
Die größten Hoffnungen auf Verbesserungen darf man sich im Bereich der Gründungsförderung machen, aber auch bei der Arbeitslosenversicherung für Selbstständige.
Dafür droht andererseits im Bereich der Sozialversicherung die Einführung einer Altersvorsorgepflicht für Selbstständige - gegenüber den bisherigen Plänen sogar in verschärfter Form, nämlich als Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung.
In vielen anderen Bereichen rechnen wir mit eher überschaubaren Fort- oder auch Rückschritten.
Was der VGSD e.V. tun kann
Gegenüber der bisherigen Koalition und erst recht einer absoluten Unions-Mehrheit sehen wir bei einer Regierung mit Beteiligung von SPD oder Grünen deutlich bessere Chancen, den Anliegen von Gründern und kleinen Selbstständigen Gehör zu verschaffen.
Der VGSD e.V. muss weiterhin mit kreativen Aktionen diese Anliegen auf die politische Agenda bringen, um folgendes zu erreichen:
- Die Parteien erinnern, ihre Zusagen auch tatsächlich einzulösen.
- Auf den beschriebenen Politikfeldern (gegenüber der vorsichtigen Einschätzung oben) zusätzliche Verbesserungen zu erreichen.
- Ein schlagkräftiger Verband ist unverzichtbar - ganz besonders in Hinblick auf die mögliche Einführung einer Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese würde - bei Fortbestand der hohen Mindestbeiträgen zur Krankenversicherung - viele Selbstständige finanziell überfordern und bei anderen Selbstständigen verhindert, dass diese weiterhin auf effektive Weise privat vorsorgen können.
Bitte stärkt den Verband durch Eure Mitgliedschaft.
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