„Selbstständige in der Rentenversicherung“ ist der Titel einer „Kleinen Anfrage“ (Was ist das?) der Grünen an die Bundesregierung, eine wichtige Rolle spielen aber auch Fragen zum Thema „Scheinselbstständigkeit“. Gestellt wurden die 17 Teilfragen von Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke und Brigitte Pothmer, also drei Abgeordneten, die eher dem sozialpolitischen Flügel der Partei zuzuordnen sind. Wir haben die Fragen und Antworten für Euch ausgewertet.
Fragen lassen Rückschlüsse auf Pläne der Grünen zu
Schon die Auswahl der Fragen und ihre Begründung ist interessant, lässt sie doch Rückschlüsse auf geplante (Gesetzes-)Initiativen der Grünen zu. Ausgangspunkt ist die Rechtsunsicherheit durch Statusfeststellungsverfahren: „Viele und teils recht unsystematische Ausnahmen erschweren die Zuordnung. Hinzu kommen ... wechselnde Arbeitsformen, die für jeden Einzelfall und jeden neuen Auftrag aufwändig geprüft werden müssen (...), ob es sich bei der selbstständigen Tätigkeit gegebenenfalls um eine versicherungspflichtige Beschäftigung handelt.“
Die Konsequenzen sind korrekt beschrieben: „Im Ergebnis lassen sich die Regelungen zu den Selbstständigen nicht nur als unübersichtlich, unsystematisch und verwaltungsaufwändig beschreiben. Sie haben in vielen Fällen zugleich ein hohes Maß an Planungs- und Rechtsunsicherheit zur Folge, und zwar sowohl für die Selbstständigen selbst als auch für die Auftraggeber. Darüber hinaus ... zu nicht unerheblichen Wettbewerbsnachteilen (...).“
Ihr Lösungsansatz geht allerdings in Richtung Rentenversicherungspflicht evtl. mit Elementen der Künstlersozialversicherung (Beitragspflicht auch der Auftraggeber!): „Eine obligatorische Absicherung aller Selbstständigen würde viele dieser Probleme beseitigen. Ein solches Vorhaben stößt bei einem Teil der Betroffenen aufgrund der hohen Abgabenlast indes auf Skepsis. Doch weder das Zusammenwirken mit anderen Sozialversicherungspflichten noch eine größere Entlastung der Selbstständigen, etwa durch die Einbeziehung Dritter oder die Flexibilisierung der Beitragszahlungen, wurden bislang eingehend diskutiert.“
Hochkomplexer Themenbereich, Vielzahl von Problemfeldern
Die Beamten des Arbeitsministeriums warnen vor Schnellschüssen. Die Rechtslage sei in einem langen Prozess historisch gewachsen. Es handle sich um einen hochkomplexen Themenbereich, bei dem es neben versicherungs- und beitragsrechtlichen Fragestellungen eine Vielzahl anderer Problemfelder gäbe, z.B. wie man alle Selbstständigen und ihr Beitragspflicht überhaupt erfassen könne, welche Auswirkungen ihre Einbeziehung auf den Finanzierungsmechanismus der Rentenversicherung hätte usw.
Im Folgenden haben wir die Fragen und Antworten zusammengefasst, auf die die Regierung eine aussagekräftige Antwort geben konnte bzw. bei denen das Fehlen einer solchen Antwort von besonderem Interesse ist.
Welche jährlichen Kosten entstehen der Deutschen Rentenversicherung im Rahmen der Statusfeststellungsverfahren?
Personal- und Sachkosten für die Prüfungen betrugen 2013 und 2014 jeweils 14,3 Millionen Euro. Dies umfasst die Bearbeitung der freiwillig von Auftraggebern bzw. –nehmern als auch die auf Hinweis von z.B. Betriebsprüfern eingeleiteten Verfahren.
Welcher zeitliche Aufwand entsteht den Auftraggebern und –nehmern?
Antwort der Regierung: „Dieser Aufwand wird von der Clearingstelle nicht erhoben.“
(Eine eigene, erste und überschlägige Schätzung: Auf Basis der Zahl von 2012/2013 durchschnittlich 29.350 abgeschlossener Verfahren p.a. lässt sich bei einem vorsichtig geschätzten durchschnittlichen Zeitaufwand von 3 Tagen und 400 Euro ein Zeitaufwand von 88.000 Manntagen bzw. 35,2 Millionen Euro abschätzen. Das ist auch insofern plausibel, als Auftraggeber/-steller deutlich weniger Erfahrung bei der Bearbeitung dieser Anträge und Rückfragen haben und entsprechend mehr Zeit benötigen. Hinzu kommen Aufwände für beantragte, aber nicht abgeschlossene Verfahren sowie seitens der DRV eingeleitete Verfahren. Nicht enthalten sind die Kosten für Rechts- und Steuerberatung, Gerichtskosten und Nachzahlungen. Bei Einbeziehung aller Sachverhalte, könnten die Kosten leicht ein Mehrfaches dieser ersten Schätzung betragen.)
Wie hoch ist die Zahl der Widersprüche und Klagen gegen ergangene Bescheide?
Die Zahl der abgeschlossenen Widersprüche hat von 2012 bis 2014 um 12 Prozent, die Zahl der abgeschlossenen Klagen um 48 Prozent zugenommen. Die Zahl der Widersprüche lag zuletzt bei 5.721, die der Klagen bei 1.921.
(Zum Vergleich Von den 2012/13 abgeschlossenen freiwilligen Verfahren wurden im Schnitt 12.822 mit „abhängig beschäftigt“ entschieden, gaben also typischerweise Anlass zum Widerspruch.)
Inwiefern könnte auf das Statusfeststellungsverfahren verzichtet werden, wenn alle Selbstständigen rentenversicherungspflichtig wären?
„Selbst weitreichende Änderungen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung würden ... einen Verzicht auf das Statusfeststellungsverfahren nicht begründen können“. Grund: Die Entscheidungen sind auch relevant für die (gesetzliche) Kranken- und Pflegeversicherung.
Was spräche aus Sicht der Bundesregierung für ein höheres Maß an Flexibilität bei der Beitragszahlung von Selbstständigen, insbesondere auch in der Gründungsphase?
Die Regierung verweist auf das bereits bestehende Wahlrecht zwischen Regelbeitrag (auf Basis eines fiktiven Einkommens in Höhe der Bezugsgröße, 2015: 2.835 Euro in alten Bundesländern), halbem Regelbeitrag (auf Basis der halben Bezugsgröße in den ersten drei Jahren nach der Gründung) bzw. nach dem tatsächlichen Einkommen.
Das tatsächliche Einkommen ist durch den letzten Einkommenssteuerbescheid nachzuweisen. Liegt das laufende Einkommen um mehr als 30 Prozent unter dem Durchschnitt der Vorjahre, kann eine niedrigere Bemessung beantragt werden.
Inwieweit können zur Zahlung der Beiträge auch die Auftraggeber einbezogen werden?
Hier antwortet die Regierung eindeutig: „Eine Beteiligung der Auftraggeber an den Versicherungsbeiträgen von Selbstständigen wäre rechtlich nicht zu begründen. (...) Zudem wäre fraglich, ob eine solche Beteiligung praktisch überhaupt umzusetzen wäre; zumindest wäre sie mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden. Auch eine Übertragung der Regelungen des Künstlersozialgesetzes (...) auf alle Selbstständigen wäre nicht zu begründen.“
Dass es bei Künstlern und Publizisten sehr wohl eine Abgabepflicht der Vewerter gibt, erklären die Beamten mit deren besonderem, „symbiotischen“ Verhältnis.
Wie hoch ist der Bundeszuschuss zur Künstlersozialkasse?
Bei der Künstlersozialkasse trägt der Bund 20 Prozent, die Verwerter 30 Prozent und die Künstler und Publizisten 50 Prozent der Beiträge. Der Zuschuss des Bundes betrug 2015 188,3 Millionen Euro. Laut Finanzplanung wird er bis 2019 auf 226,1 Mio. Euro steigen. Allerdings gebe es aktuelle Prognosen, wonach die Zahl der Versicherten langsamer steige als bisher erwartet.
In welchem Rahmen prüft das Bundesministerium für Gesundheit eine Weiterentwicklung der Verbeitragung im Bereich der Krankenversicherung von freiwillig gesetzlich versicherten hauptberuflichen Selbstständigen?
Diese Fragen könnte sich auf die hohen Mindestbeiträge bei der Krankenversicherung für Selbstständige beziehen. Antwort: Das Gesundheitsministerium verfolge die Entwicklung aufmerksam...
Was waren die zentralen Beweggründe der Definition besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit (...)? Warum sind selbstständige Handwerker (...) nur 18 Jahre, andere Selbstständige ihr ganze Leben lang pflichtversichert?
Die Regierung antwortet, allen versicherungspflichtigen (also schutzbedürftigen) Selbstständigen sei gemeinsam, dass sie ihre Einkünfte – ähnlich wie Arbeitnehmer – ausschließlich durch die Verwertung ihrer eigenen Arbeitskraft erzielen.
Bei den Handwerkern gehe man typisierend davon aus, dass sie nach 18 Jahren über eine Grundsicherung verfügten, während der Gesetzgeber bei anderen unbegrenzt pflichtversicherten Gruppen (z.B. selbstständigen Lehrern) das anders sehe.
Vollständige Antworten der Regierung: Bundestags-Drucksache 18/6304
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