Unsere mit eurer Hilfe erstellten Vorschläge für Bürokratieabbau liegen nun beim Justizministerium – zusammen mit 460 weiteren. Wie es nun weitergehen soll.
Es dürfte ein großer Stapel sein, der sich seit Mitte Februar im Justizministerium auftürmt – sei es nun im übertragenen Sinne digital oder, falls sich doch jemand ans Ausdrucken gemacht hat, auf Papier: 470 Vorschläge zum Bürokratieabbau von 56 Verbänden meldet das Justizministerium als Ergebnis der im Januar gestarteten Umfrage zum Bürokratieabbau. Sollten alle Verbände im gleichen Umfang Vorschläge eingereicht haben wie wir, beläuft sich die Seitenzahl auf 4312 – unser PDF-Dokument kam am Ende auf 77 Seiten.
"Derzeit bereitet das Statistische Bundesamt die zahlreichen Vorschläge auf und wird diese anschließend der Bundesregierung zuleiten", schreibt uns das Bundesamt. Alle eingegangenen Vorschläge sollen auf der Internetseite des Bundesamts veröffentlicht werden, sofern die Verbände nicht widersprechen. Am 3. Mai soll sich dann ein Ausschuss mit Vertretern aller Ressorts der Bundesregierung mit den Ergebnissen befassen. Bereits im Januar, als die Umfrage gestartet wurde, hatte Justizminister Marco Buschmann in der Parteizeitung "fdplus" versprochen: "Schon in wenigen Wochen wollen wir erste Ergebnisse vorlegen."
"Insbesondere den Selbstständigen mehr Zeit für eigentliche Aufgaben schaffen"
Ziel sei es, "dass wir auf Basis der Rückmeldungen, die uns erreichen, ein Bürokratieabbaugesetz vorlegen", sagt Buschmann. Dies steht im Einklang mit dem Koalitionsvertrag, der ein "Bürokratieentlastungsgesetz" verspricht. Dort sind die Selbstständigen ausdrücklich als Zielgruppe dieses Gesetzes genannt: "Wir wollen Abläufe und Regeln vereinfachen und der Wirtschaft, insbesondere den Selbstständigen, Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben schaffen", heißt es auf Seite 26 des Koalitionsvertrags.
Umso verwunderlicher, dass wir in der ersten Runde der Umfrage vergessen wurden: Aus den Medien erfuhren wir Ende Januar, dass eine Befragung von 70 Verbänden gestartet worden war. Erst auf wiederholte Nachfrage im Ministerium bekamen wir den Zugang zur Umfrage zugeschickt. Doch wir waren offenbar nicht die einzigen: Zu den ursprünglich angeschriebenen 70 Verbänden kamen nach Auskunft des Ministeriums noch 33 weitere dazu. Vorschläge eingereicht haben letztlich aber nur 56 Verbände.
Alle gegen Bürokratie, jeder für seine Interessen
Die "Heilbronner Stimme" hat sich die Mühe gemacht, mehrere Verbände zu fragen, welche Vorschläge sie eingereicht haben. Einigkeit besteht darin, dass die Bürokratie als immer ausufernder wahrgenommen wird – mit aufwändigen Anträgen, langwierigen Verfahren und unnötigen Nachweispflichten. Darüber hinaus sind die Vorschläge von den Blickwinkeln geprägt, die die jeweiligen Verbände haben: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert, kein Recht auf Homeoffice einzuführen. Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) will, dass die Höchstarbeitszeit nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche gilt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft möchte die Zeit, die Pflegekräfte mit dem Dokumentieren ihrer Arbeit verbringen, reduzieren. Der Digitalverband Bitkom wünscht sich eine einfachere Einwanderung für IT-Fachkräfte.
Unsere wichtigsten Forderungen findet ihr unten zusammengefasst, wir bedanken uns noch einmal herzlich für eure Ideen!
Am Montag, 13. Februar, hatten wir mit einer Rundmail auf den Beitrag unten verwiesen und euch zu der Uservoice-Abstimmung zum Thema Bürokratieabbau eingeladen. Innerhalb von fünf Tagen habt ihr 33 Vorschläge gemacht und 2.442 Stimmen abgegeben, um diese entsprechend ihrer Bedeutung in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Weil wir die Einladung des BMJ verspätet erhalten hatten (siehe unten), mussten wir die Vorschläge bereits am Freitag, 17. Februar, schon wieder abgeben. Da es teilweise mehrere Vorschläge zu einem Themengebiet (wie zum Beispiel Gewerbesteuer oder Umsatzsteuer) gab, fassten wir diese zusammen – unter Beachtung auch der von euch in den Kommentaren gegebenen Hinweise. Aus diesem Prozess ergaben sich folgende Verbesserungsvorschläge:
- Rechtssicherheit in Hinblick auf Scheinselbstständigkeit schaffen und Statusfeststellungsverfahren vereinfachen
- Anhebung des Gewerbesteuerfreibetrags bzw. Ausweitung des Freiberuflerprivilegs auf Soloselbstständige
- Einfache Suche bzw. Benachrichtigung über bürokratische Pflichten
- Mindestbemessungsgröße bei der Kranken- und Pflegeversicherung für Selbstständige mit der bei Angestellten (520 Euro) harmonisieren
- Verkürzung und Vereinheitlichung der Aufbewahrungspflichten
- Verständliche Vorgaben zu Datenschutz für Soloselbstständige oder aber Ausnahmeregelungen
- Umsatzsteuerrecht verschlanken: Beispiele für konkrete Schritte
- Vereinfachung der GoBD und Erleichterungen für Solo- und Kleinstunternehmen
- Soforthilfe-Rückzahlung einstellen und Lehren aus Chaos ziehen
- Erhöhung der Bemessungsgrenze zur Bilanzierungspflicht
Nicht nur wir setzten auf eine Online-Umfrage, auch das BMJ hatte darum gebeten, die Antworten in Form eines Online-Fragebogens einzureichen, um die Weiterbearbeitung zu vereinfachen.
Zu jedem der zehn möglichen Bürokratieabbau-Vorschläge war das Entlastungspotenzial (auf einer Skala von eins bis zehn) anzugeben, ebenso welche bundesrechtliche Norm betroffen ist (also welche Paragraphen gegebenenfalls geändert werden müssten) und das für die Umsetzung zuständige Bundesministerium. Gefragt wurde auch, ob es bereits Referenz-Projekte zum Vorschlag gibt.
Den Hauptteil jedes Vorschlags machten die Antworten auf die drei folgenden Fragen aus:
- Problem: Worin besteht die durch diese Regelung verursachte bürokratische Belastung?
- Lösung: Wie kann der Regelungszweck "einfacher oder unbürokratischer erreicht werden werden – ohne (Schutz-)Standards zu senken" (durch verbesserte Regelung bzw. Vollzug)?
- Effekte: Welche Entlastungen sind zu erwarten (z.B. Verfahrensbeschleunigung, Kostenersparnis)?
Am Ende des Fragebogens bestand die Möglichkeit, die gesamten Eingaben als PDF herunterzuladen. In unserem Fall hatte das eingereichte Dokument einen Umfang von 77 Seiten.
Beispiel für Einreichung: Dieser Vorschlag bekam die meisten Stimmen
Es würde diesen Beitrag sprengen, alle Forderungen wiederzugeben, deshalb beschränken wir uns hier auf einen Verbesserungsvorschlag. (Wir werden uns von der Sammlung aber in nächster Zeit sicher zum einen oder anderen Beitrag inspirieren lassen und die Verbesserungsvorschläge noch konkreter beschreiben!)
Der mit 367 Stimmen meistgewählte Verbesserungsvorschlag war: "Rechtssicherheit in Hinblick auf Scheinselbstständigkeit schaffen und Statusfeststellungsverfahren vereinfachen."
Das Entlastungspotenzial dieses Vorschlags haben wir mit zehn von zehn Punkten bewertet. Die Neuregelung der Bundesnormen § 7a Abs. 1 SGB IV, § 611a BGB liegt dabei in der Zuständigkeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Ein Referenz-Projekt gibt es in Deutschland leider nicht. Problem, Lösung und Effekte haben wir wie folgt geschrieben:
Problem: Durch die unklare Rechtslage, langwierige Statusfeststellungsverfahren und rigide Verwaltungspraxis der Deutschen Rentenversicherung (DRV) besteht enorme Rechtsunsicherheit bei den Auftraggebern. Diese müssen hohe rechtliche Risiken eingehen, um dringend benötigte Experten beauftragen zu können und/oder unverhältnismäßig hohen Compliance-Aufwand bei Werk- und Dienstverträgen treiben, die zu großer betriebsinterner Bürokratie führen. Dabei sollte die Vergabe von Werk- und Dienstverträgen in einer sozialen Marktwirtschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen sind verheerend: Soloselbstständige erhalten im Inland oft keine Aufträge mehr. Sie werden in Zeitarbeit gedrängt. Innovative Projekte (z.B. Produkt- und Softwareentwicklung nach agiler Methodik) und damit auch strategisch wichtiges Know-how werden in großem Umfang ins Ausland verlagert. Steuern und Sozialabgaben werden dort statt in Deutschland gezahlt.
Lösung: Fokus auf schutzbedürftige Selbstständige richten, z.B. durch stärkere Berücksichtigung der Honorarhöhe relativ zu Angestellten und andere Positivkriterien (z.B. Verzicht auf Statusfeststellung, wenn der Selbstständige freiwillig rentenversichert ist), Vereinfachung des Statusfeststellungsverfahrens (DRV-Fragebogen durch "Reform" am 1.4.2022 auf inzwischen neun Seiten + 2 Anhänge gewachsen und muss sowohl von Auftraggeber als auch Arbeitnehmer ausgefüllt werden), Gesamt-Betrachtung des Selbstständigen (z.B. Anzahl der Auftraggeber, Ausbildung) statt Prüfung jedes einzelnen Auftragsverhältnisses.
Effekte: Höhere Rechtssicherheit, hohe Kostenersparnis für Auftraggeber, höheres Wirtschaftswachstum (laut ifo Institut langfristig bis zu 6,3 Prozent höheres BIP-Niveau möglich bei höherem Anteil von Wissensarbeitern in Deutschland).
Wie geht es weiter?
Nachdem wir unsere Vorschläge vor zehn Tagen eingereicht haben, werden wir zeitnah beim BMJ nachhaken und fragen, wie die weitere Vorgehensweise ist und in welcher Form das Justizministerium sich für Änderungen einsetzen wird, wenn die Zuständigkeit für die Umsetzung bei anderen Ministerien liegt (was der Normalfall ist). Wir sind gespannt und hoffen, dass der Anlauf des BMJ zum Bürokratieabbau schon bald erste Früchte trägt.
Wir brauchen deine Hilfe: Wähle die besten Vorschläge zum Bürokratie-Abbau und teile deine Ideen
Nach obenAls Selbstständige/r bist du besonders betroffen und hast dich sicher schon häufiger über unnötige Bürokratie geärgert. Das Bundesjustizministerium hat uns gebeten, konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau zu machen, wir haben dafür aber nur wenige Tage Zeit und sind auf deine Unterstützung bei unserer Uservoice-Abstimmung angewiesen.
Hinter bürokratischen Regelungen steht oft ein sinnvolles Ziel: Schutzbedürftige Selbstständige vor Ausbeutung bewahren zum Beispiel oder Beweisnot durch ausreichend lange Aufbewahrung von Geschäftsdokumenten verhindern. Wenn ein völlig überzogener Schutz dann aber die Beauftragung freiwillig Selbstständiger behindert oder für die Unterlagen in einem Ordner acht verschiedene Aufbewahrungsfristen gelten, ist das Bürokratie, die es zu überwinden gilt.
Selbstständige besonders betroffen
Solo- und Kleinstunternehmen sind von Bürokratie besonders betroffen. Denn für sie gelten dieselben Regeln wie für große Unternehmen, aber sie haben viel weniger Zeit, Geld und Expertenhilfe, um all den Pflichten nachzukommen. Viele Regeln und deren aktueller Stand sind unbekannt, mit einem Fuß befindet man sich deshalb ständig im Gefängnis.
Und Bürokratie ist sehr beständig. "One-in-one-out" oder auch "two-out" – es hat sich gezeigt, das solche vermeintlichen Wunderrezepte wenig helfen. Letztlich muss man jeden einzelnen Missstand konkret benennen und gegen teils große Widerstände hart für Vereinfachungen kämpfen.
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) unternimmt dazu mutig einen weiteren Anlauf. Am 26. Januar bat es 70 Verbände und Gewerkschaften online um ihre Abbauvorschläge. Die Selbstständigenverbände hatte man leider vergessen und obwohl wir uns gleich an das BMJ wandten, dauerte es zwei Wochen, bis uns schließlich (mit Unterstützung von FDP-MdB Jens Teutrine) der Befragungslink zur Verfügung gestellt wurde. Offenbar hat das BMJ auch selbst noch mit einem gewissen Maß an Bürokratie zu kämpfen…
Was sind die größten Bürokratiemonster, denen du begegnet bist?
Um trotz der kurzen, nun noch verbleibenden Zeit bestmögliche Abbau-Vorschläge zu machen, bitte wir dich, aus den in unserer Uservoice-Abstimmung gemachten Ideen die besten auszusuchen oder gerne auch eigene Vorschläge zu machen: Was sind deines Erachtens die größten Bürokratiemonster und wie könnte man die hinter ihnen stehenden Ziele weniger umständlich erreichen?
Die zehn Ansätze, die die meisten Stimmen erhalten, geben wir noch diese Woche an das Bundesjustizministerium (BMJ) weiter.
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