Seit seiner Gründung setzt sich der VGSD für ein Altersvorsorge-Depot ein. Jetzt prüft das Finanzministerium die Einführung. Warum das für Selbstständige ein entscheidender Fortschritt wäre – aber noch lange nicht in trockenen Tüchern ist.
Forderung nach Altersvorsorge-Depot gehört zu unseren DNA
Die Forderung nach einem Altersvorsorge- beziehungsweise kurz: "AV-Depot" gehört zu den DNA unseres Verbands. Schon 2012, als Ursula von der Leyen erstmals eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige einführen wollte, haben wir die Forderung nach einem AV-Depot bei zwei Terminen mit ihr ins Spiel gebracht. Die Idee gefiel der heutigen EU-Kommissionspräsidentin sehr gut, wurde aber aber nach dem Scheitern der Altersvorsorgepflicht von ihr nicht weiter verfolgt. Seitdem haben wir bei vielen Gesprächen mit Politikern in Berlin immer wieder das Konzept erklärt und mit schriftlichen Ausarbeitungen hinterlegt. Sie stießen vor allem auf das Interesse bei wirtschaftsnahen CDU-Politiker/innen sowie der FDP.
Im Sommer 2020 initiierte unser Vereinsmitglied Gerald Baumann die Bundestagspetition "Einführung eines Altersvorsorge-Wertpapierdepots", die mit unserer Unterstützung eine stattliche Zahl an Mitzeichnern erreichte, obwohl Corona(-Hilfen) damals das alles dominierende Thema waren. In mehreren Talks erklärte Frank-Michael ("FM") Rommert, warum die Anlage in ETF-Sparplänen bzw. -depots langfristig die höchste Rendite verspricht und deshalb seit vielen Jahren von Verbraucherschützern zum Vermögensaufbau empfohlen wird.
Lindner: "Höhere Rendite erzielen, damit es sich wirklich lohnt"
Von daher ist es für uns ein riesiger Erfolg, dass das Bundesfinanzministerium nun die Einführung eines Altersvorsorgedepots prüft. In einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit dem YouTuber Thomas Kehl ("Finanzfluss.de") äußert sich Christian Lindner kritisch über die Rendite (und damit indirekt über die hohen Kosten) von Versicherungsprodukten wie "Riester" und "Rürup". Er weist daraufhin, dass sein Ministerium eine "Fokusgruppe" zu dem Thema eingerichtet hat (das erste Treffen fand am 24. Januar statt, weitere fünf sind geplant, Selbstständige sind leider einmal mehr nicht vertreten) und es die Einführung von Altersvorsorge-Depots nach US-Vorbild erwägt (Hervorhebung im Zitat durch uns):
"Was ist jetzt auf jeden Fall konkret geplant, wo nicht rein FDP, rein Grüne? Wir haben jetzt eine Fokusgruppe eingesetzt und wir überlegen: Was machen wir in der dritten Säule? Dritte Säule kann man sich vereinfacht vorstellen als …"
Thomas Kehl ergänzt: "Private Altersvorsorge!"
"… Genau: Riester. Rürup. Produkte die es gibt, öffentliche Förderung gibt, aber wo wir sagen müssen: Da geht noch mehr. Und wir schauen jetzt, wie wir das machen können: Wie wir die öffentliche Förderung ausrichten und wie wir dazu kommen, das diese Produkte eine höhere Rendite erzielen, damit es sich wirklich lohnt.
Vielleicht kann man es auch machen wie in den USA: Da kannst du in dein eigenes Depot reinsparen, also quasi einen ETF-Sparplan machen und der wird auch steuerlich begünstigt. Also das schauen wir uns jetzt auch an.
Und aus diesen, ich sage jetzt mal was wir in der ersten, zweiten - betrieblichen Altersvorsorge - und der dritten zusammen machen, da gehen wir einen Schritt in Richtung dessen, was die FDP Aktienrente nennt. Aber leider ist es in der Politik so: Es geht alles immer nur schrittweise. Du kannst sagen: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin? Und dazwischen musst du eben leider Zwischenschritte gehen. Es geht, wenn man Kompromisse machen muss, nie in einem Schritt."
YouTube-Interview mit Christian Lindner. Die oben zitierte Passage beginnt automatisch bei Minute 6:57
AV-Depot als persönlicher Herzenswunsch
VGSD-Vorstand Andreas Lutz hat diese Form der Altersvorsorge schon während seiner Doktorandenzeit vor mehr 30 Jahren kennengelernt: "Parallel zu meiner Promotion war ich Trainee einer Großbank und durfte für mehrere Wochen in der New Yorker Filiale arbeiten. Ich nutzte die Zeit, zum Thema Indexfonds zu forschen. Ich lernte dort auch das Konzept der Altersvorsorge-Depots kennen und wurde großer Fan davon. Zurück in München war ich dann an der Auflage der ersten deutschen Indexfonds beteiligt, den Vorläufern der heutigen ETFs, und eines Depots, das ausschließlich in solche Fonds anlegte. Das Thema hat mich über die Jahre – auch bei meiner eigenen Altersvorsorge – immer begleitet und ich freue mich, dass es jetzt endlich eine realistische Chance auf eine Einführung gibt. Das AV-Depot könnte die Altersvorsorge der Deutschen und insbesondere der Selbstständigen deutlich verbessern."
Was sind Altersvorsorge-Depots?
Inzwischen haben sich ETFs als Form der Altersvorsorge in Deutschland etabliert. Eugene Fama, dessen Effizienzmarkthypothese den Grundstein für die Einführung von Indexfonds legte, erhielt für diese 2013 den Wirtschaftsnobelpreis. ETFs bilden Indices nach. Sie verzichten bewusst auf ein teures aktives Management, das im Glauben, den Markt schlagen zu können, Papiere kauft und verkauft, also "spekuliert". Denn gemäß der Effizienzmarkthypothese bringt dies keine systematischen Renditevorteile, sondern nur höhere Kosten. Die meisten ETFs bieten statt dessen sehr niedrige Kosten, so dass die erzielten Kursgewinne, Zinsen und Dividenden auch wirklich beim Sparer ankommen. ETFs werden häufig mit der Aktienanlage gleichgesetzt, aber es gibt auch Geldmarkt- und Renten-ETFs. Der Anleger kann das Risiko durch den entsprechenden Mix selbst steuern.
Vor allem aus Kostengründen denkt man bei Altersvorsorge-Depots also nicht an beliebige Wertpapiere oder Investmentfonds, die theoretisch ebenfalls möglich wären, sondern an ETFs als Anlageform. Die Umsetzung der Überlegungen des Finanzministeriums wäre im Grunde ganz einfach, denn letztlich handelt es sich um Sperrdepots, mit denen Banken jahrzehntelange Erfahrungen haben: Im Fall der AV-Depots darf ich ETFs kaufen und verkaufen – zum Beispiel um mit zunehmendem Alter Schwankungen zu reduzieren –, über das Ersparte verfügen darf ich in der Regel aber erst im Alter. Im Gegenzug fördert der Staat diese Form des Sparens steuerlich – analog zu anderen Formen der Altersvorsorge wie Rürup oder Riester.
Warum ist ihre Einführung für Selbstständige besonders wichtig?
Gerald Baumann hat seine oben erwähnte Petition nicht zufällig im Corona-Jahr 2020 initiiert. Selbstständige sorgen in der Regel privat für ihr Alter vor, weil sie nicht rentenversicherungspflichtig sind und um für einen schlechten Geschäftsverlauf besser gerüstet zu sein oder im Fall eines guten Verlaufs investieren zu können – Versicherungen sehen sie aufgrund von deren Intransparenz und hohen Kosten oft kritisch. Wertpapiere, Immobilien und Spareinlagen sind aber im Insolvenzfall nicht geschützt und werden – anders als die Renten- und Pensionsansprüche von Angestellten und Beamten – beim Hartz IV-Bezug angerechnet. Das führt dazu, dass Selbstständige keine Hilfe erhalten, bevor sie nicht große Teile ihrer Altersvorsorge aufgebraucht haben.
Ein AV-Depot wäre also nicht nur eine moderne Form der Altersvorsorge mit hoher Risikodiversifikation, geringen Kosten und entsprechend höheren Renditeaussichten, sondern endlich auch ein Weg, die private Altersvorsorge von Selbstständigen besser zu schützen.
Selbstständige zahlten mit ihrer Altersvorsorge die Folgekosten der Corona-Maßnahmen
Vor allem 2020, im ersten Jahr der Corona-Krise, wurde vielen Selbstständigen ihre Berufstätigkeit zum (Gesundheits-)Schutz anderer untersagt, ohne hierfür entschädigt zu werden. Sofort- und Überbrückungshilfe kamen aufgrund ihrer Ausgestaltung nicht bei Soloselbstständigen an bzw. müssen heute zurückgezahlt werden. Statt dessen wurden sie auf Hartz IV verwiesen, das sie zumeist aber auch nicht erhielten. Die meisten Soloselbstständigen mussten die Folgekosten der staatlichen Eingriffe deshalb letztlich aus ihrer Altersvorsorge bezahlen – während Angestellte vom Steuerzahler hoch subventioniertes Kurzarbeitergeld erhielten.
Hätte es damals schon die von uns geforderten Altersvorsorge-Depots gegeben, wäre der entsprechend angelegte Teil der Ersparnisse geschützt gewesen und der Staat hätte die Folgekosten seiner Entscheidungen nicht einfach zu einem großen Teil den betroffenen Soloselbstständigen aufbürden können.
Wir müssen mit Widerstand rechnen
Von daher sollten wir die Überlegungen zur Einführung eines Altersvorsorge-Depots nach Kräften unterstützen. Obwohl die Nutzung eines AV-Depots freiwillig wäre und große Vorteile gegenüber den bisher schon bestehenden Versicherungslösungen böte, wird der Widerstand dagegen erheblich sein – nicht nur von der Versicherungsindustrie und den eng mit ihnen verbundenen Banken. Denn auch die Verfechter einer Rentenversicherungspflicht für Selbstständige sehen jede Form privater Vorsorge als Bedrohung, und zwar um so stärker, je attraktiver sie für die Sparer ist.
Sie schrecken nicht davon zurück, sich des tausendfach widerlegten Vorurteils zu bedienen, Aktienanlage sei Zockerei. Dabei zeigen alle Berechnungen, dass eine breit gestreute Aktienanlage über längere Zeiträume durchweg sehr gute Renditen erzielt und deshalb unverzichtbar für eine gute private Altersvorsorge ist. Bei Indexfonds und Altersvorsorgedepots geht es ja gerade nicht um kurzfristiges Kaufen und Verkaufen, sondern um langfristige, jahrzehntelange Geldanlage.
Vorurteile werden bedient
Den Widerstand sieht man an den Stimmen aus der Politik zum Aufbau eines Staatsfonds nach skandinavischem Vorbild. Dieser soll die Deutsche Rentenversicherung in künftigen Jahren bei ihren Auszahlungen unterstützen und so künftige Generationen von Beitrags- und Steuerzahlern entlasten (angesichts von fast 100 Milliarden jährlichem Bundeszuschuss zur Rente ist das dringend nötig). Letztes Jahr wurden 10 Milliarden Euro angelegt – was angesichts von 350 Milliarden Euro jährlichen Rentenzahlungen nur ein erster kleiner Schritt sein kann, wenn sie nachhaltig künftige Generationen entlasten sollen.
MdB Frank Bsirkse, rentenpolitischer Sprecher der Grünen und Ex-Verdi-Chef will den Aufbau weiterer Rücklagen bei der Rentenversicherung verhindern: "Unser Rentensystem lässt sich nicht durch Aktienspekulationen fit für die nächsten Jahrzehnte machen." Andreas Audretsch, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion, nannte als Argument gegen die Aktienrente einen "Rekordverlust" des norwegischen Staatsfonds im Jahr 2022. Dass der Wert eines Depots in einem Jahr, in dem aufgrund des Ukrainekrieges nahezu alle Anlageklassen an Wert verloren, sich nicht nach oben entwickelt, ist klar. Für die Altersvorsorge entscheidend ist die langfristige jährliche Rendite. Und die liegt im Fall des norwegischen Staatsfonds bei rund 6 Prozent. Davon können Rentner in Deutschland nur träumen.
Deshalb ist es wichtig, in Deutschland auf freiwilliger Basis die Möglichkeiten zu eröffnen, die ein AV-Depot für die Altersvorsorge eröffnen, ergänzend zur umlagefinanzierten Rente, zu Versicherungen und Immobilien. Das wird die Altersvorsorge in Deutschland nachhaltig verbessern und vielen Menschen, vor allem den jetzt noch jungen, eine Rentenzeit in Würde ermöglichen.
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