(Update vom 09.11.20) Bereits Anfang letzten Monats hatten wir über die Erhöhung des Schonvermögens berichtet und dass damit die Grundsicherung (Hartz IV) mehr von der Corona-Krise betroffenen Selbstständigen offensteht. Die Krise hat sich durch den erneuten Lockdown weiter verschärft, der Kreis der Betroffenen dürfte größer werden. Deshalb haben wir die Regelungen noch einmal genauer unter die Lupe genommen.
Am 24.11.20 veranstalten wir übrigens eine weitere Experten-Telko zu diesem Thema, bei der wir mit Andreas Stankewitz nach der Lektüre dieses Beitrags eventuell noch offene Fragen beantworten wollen. Gerne könnt ihr aber auch die Kommentarfunktion unten nutzen, um Fragen zu stellen bzw. zu beantworten.
Was ist die rechtliche Grundlage und der zeitliche Umfang?
Am 16.03.20 wurde mit dem "Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung ... aufgrund des Corona-Virus ... (Sozialschutz-Paket)" § 67 ins SGB II eingeführt, also das Gesetz, das den Hartz IV-Bezug regelt. Das Gesetz hatte sich zunächst auf Hartz IV-Anträge bezogen, die bis Ende Juni 2020 gestellt werden. Es wurde in drei Schritten (zuletzt am Donnerstag letzter Woche) bis 31.03.21 verlängert und bezieht sich auf Bewilligungszeiträume die dieses Jahr noch beginnen.
Der Hartz IV-Antrag wird zunächst auf sechs Monate gestellt. Was danach passiert, ist im FAQ des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) genauer erklärt. Wir empfehlen den dortigen FAQ als ergänzende Lektüre zu diesem Beitrag.
Mit einer am 02.10.20 ergangenen Weisung der Bundesagentur für Arbeit wurde die Anrechnung von Schonvermögen mit Wirkung für die Zukunft deutlich großzügiger geregelt. Ein fortdauerndes Problem besteht darin, dass Jobcenter in kommunaler Trägerschaft sich oft nicht an die Vorgaben der Bundesagentur für Arbeit halten.
Erleichterte Vermögensprüfung
Schon seit Mitte März besteht die Möglichkeit, beim Antrag auf Grundsicherung anzugeben, dass man über kein erhebliches Vermögen verfügt. Dabei hat sich der Gesetzgeber zunächst auf eine Regelung in § 21 (3) Wohngeldgesetz (vgl. Kommentar dazu unter Ziffer 21.37) bezogen.
Demnach galt ein verwertbares Vermögen als erheblich, wenn es
- 60.000 Euro für das erste und
- 30.000 Euro für weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft überschritt.
Als (kurzfristig) verwertbares Vermögen gelten grundsätzlich
- Barmittel
- Sparguthaben
- Tagesgelder
- Wertpapiersparpläne und
- Wertpapierdepots
Nicht in die Prüfung der Erheblichkeitsgrenze einzubeziehen sind dagegen:
- Selbstgenutzte Wohnimmobilien
- Typische Altersvorsorgeprodukte wie Kapitallebens- oder -rentenversicherungen
Nicht verpassen:
"Reformierte Grundsicherung – wie geht es jetzt weiter? – Neu- bzw. Weiterbewilligung"
mit Andreas Stankewitz am Dienstag, 24.11.2020
Prüfung für die gesamte Bedarfsgemeinschaft
Die entsprechende Prüfung ist für die ganze Familie bzw. Bedarfsgemeinschaft vorzunehmen, dadurch "haften" Lebenspartner, Familienangehörige usw. für die ausgefallenen Einnahmen mit, er bzw. sie muss notfalls mit seinen bzw. ihren Ersparnissen (das gilt analog auch für das Einkommen) für den Lebensgefährten, Elternteil, Kind etc. mitsorgen.
Was, wenn Altersvorsorge in Investmentfonds oder Sparplan erfolgt?
Selbstständige, die nicht rentenversicherungspflichtig sind, sorgen privat vor und nutzen hierfür auch "kurzfristig verwertbares Vermögen", also zum Beispiel Sparpläne und Investmentfonds in Depots.
Die Bundesagentur für Arbeit hat deshalb in ihren Weisungen vom 02.10.20 klargestellt, dass grundsätzlich jeder Vermögensgegenstand, auch Wertpapierdepots, Sparkonten, Immobilien und sogar Kunstwerke und Edelmetalle der Altersvorsorge dienen kann, wenn der Antragstellung dies erklärt. Diese "subjektive Zweckbestimmung" ist nur dann nicht ausreichend, wenn der Vermögensgegenstand offensichtlich nicht der Altersvorsorge dient, z.B. weil bei Tagesgeldkonten regelmäßig und wiederholt Abhebungen vorgenommen wurden. Nur das in diesem Sinne verfügbare Vermögen müsste also unter der obigen Grenze von 60.000 bzw. 30.000 Euro liegen.
8.000 Euro pro Jahr der Selbstständigkeit
Wie unten beschrieben hat die Bundesagentur für Arbeit noch eine zweite wichtige Änderung vorgenommen. Selbstständige, insoweit sie privat vorsorgen, weil sie nicht rentenversicherungspflichtig sind (z.B. weil in KSK) oder etwa in berufsständische Versorgungswerke einzahlen, wird eine Altersvorsorge von 8.000 Euro je Jahr der Selbstständigkeit zugebilligt. Die Dauer kann der Selbstständige erklären, sie ist vom Amt auf Plausibilität zu prüfen. Bei 30-jähriger Selbstständigkeit ergäbe sich ein Betrag von 240.000 Euro.
Nach unserem Verständnis bezieht sich diese Betragsgrenze aber nicht auf das verwertbare Vermögen, sondern auf die Altersvorsorge. Das verwertbare Vermögen muss also unterhalb der 60.000/30.000-Euro-Grenze liegen. Der Wert der Altersvorsorge unter der 8.000 Euro-Grenze. 8.000 Euro entspricht den Rentenversicherungsbeiträgen eines Durchschnittsverdieners und berücksichtigt keine Wertsteigerung der Geldanlage.
Riester-Rente und unverzichtbares Betriebsvermögen bleiben außen vor
Ersparnisse in Form einer Riester-Rente und auch Betriebsvermögen (wenn der Vermögensgegenstand zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit unentbehrlich ist) sind dabei nicht zu berücksichtigen.
In den Weisungen ist eine Tabelle enthalten, die aufführt, welche Art der Altersvorsorge abhängig davon, ob der Antragstelle rentenversicherungspflichtig ist, bei der Freistellung zu berücksichtigen ist. Leider ist sie nicht erläutert und deshalb nicht auf Anhieb verständlich, wir werden sie in der oben erwähnten Telko noch einmal genauer mit unserem Experten besprechen.
Bundestag verlängert "vereinfachten Zugang" zu Hartz IV
(Update vom 05.11.20) Heute Abend hat der Bundestag eine Verlängerung des vereinfachten Zugangs zur Grundsicherung bis 31.03.20 beschlossen. Für bis dahin beginnende Bewilligungszeiträume profitieren Antragsteller von einem höheren Schonvermögen und der Anerkennung von Wohn- und Heizkosten, ohne dass die Angemessenheit der Wohnung nachzuweisen ist.
Detaillierte Regelungen zu Schonvermögen – Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht aktualisierte Weisungen
(Update vom 03.10.20) Genauere Details zur unten beschriebenen Erhöhung des Schonvermögens bei Beantragung von Grundsicherung durch Soloselbstständige sind in den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit "zum Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung ..." zu finden:
- Die Regelung wurde zunächst bis Jahresende 2020 verlängert (Kapitel 1.1)
- Die "Aussetzung der Vermögensprüfung" wurde neu gefasst (Kapitel 1.2, Absatz 5)
- Dass eine Vermittlung in einen neuen Job nicht nötig ist, sofern sie nicht aktiv nachgefragt ist, wurde klargestellt (Kapitel 2.15)
Den Weisungen ist die neueste Version des § 67 SGB II vorangestellt, die das "Vereinfachte Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus ...", auf den sich alle Weisungen beziehen.
Hartz IV-Schonvermögen wird um 8.000 Euro pro Jahr der Selbstständigkeit erhöht
(Beitrag vom 02.10.20) Am 25. August haben die Spitzen von Union und SPD beschlossen, das Schonvermögen zu erhöhen, bis zu dessen Höhe Selbstständige, die von der Corona-Krise betroffen sind, kein Hartz IV erhalten. Während allerdings die zeitgleich verabschiedete Verlängerung des Kurzarbeitergeldes sofort in Angriff genommen und in der Folgewoche umgesetzt wurde, hat die Entscheidung über eine Erhöhung des Schonvermögens sich viele Wochen hingezogen.
Zunächst war eine Verdopplung des Schonvermögens von bisher 60.000 Euro (Antragsteller) und 30.000 Euro (Angehörige) diskutiert worden. Die bisher geltenden Grenzen sind viel zu niedrig: Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung während der Rentenzeit von 20 Jahren entsprechen sie gerade einmal 250 Euro/Monat für den Antragsteller bzw. 375 Euro/Monat für ein Ehepaar.
Nächste Woche soll Schonvermögen endlich erhöht werden
Nächste Woche, 6 Wochen nach dem Beschluss im Kanzleramt, soll nun endlich mit einem höheren Schonvermögen gerechnet werden. Auch dann kann von dem öffentlichen Versprechen vom März, es solle auf eine Vermögensprüfung verzichtet werden, keine Rede sein.
Pro Jahr der Selbstständigkeit sollen dann zusätzlich 8.000 Euro an "verwertbarem Vermögen" freigestellt werden, die bisher nicht als Altersvorsorge anerkannt wurden, aber "erkennbar für die Alterssicherung bestimmt sind". So meldet es der Spiegel (hinter Paywall) heute.
8.000 Euro entspricht pro durchschnittlich zu erwartetem Lebensmonat im Rentenalter 33,33 Euro. Statt 375 Euro darf ein Ehepaar, dessen Hauptverdiener 15 Jahre selbstständig war, jetzt also beispielsweise den Gegenwert von 875 Euro an privater Altersvorsorge behalten. Ob das dann auch nur für die Miete reichen wird?
Angestellte genießen Schutz bis Beitragsbemessungsgrenze, Selbstständige nur bis zur Hälfte
Mit der Regelung sollen die Selbstständigen, die ihre Altersvorsorge häufig in Form von Investmentfonds und Sparverträgen anlegen, durchschnittlichen gesetzlich Rentenversicherten gleichgestellt werden. Die Bemessungsgrenze für Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung beträgt aktuell 82.200 Euro, der Beitragssatz 18,6 Prozent. Daraus ergibt sich ein maximaler Jahresbeitrag von 15.400 Euro – Selbstständige zahlen den Arbeitgeber- und -nehmerbeitrag alleine.
Während Rentenbeiträge in dieser Höhe vor einer Anrechnung geschützt sind, gönnt das Bundesarbeitsministerium (BMAS) den Selbstständigen, die entsprechend der geltenden Regeln diesen Betrag privat angelegt haben nur die Hälfte als Altersvorsorge. Auch schützt es nicht die Wertentwicklung – eine ausreichende Altersvorsorge setzt aber voraus, dass Beiträge auch verzinst werden.
Eingeständnis, dass Schonvermögen viel zu niedrig lag
Noch bleiben viele Fragen offen: Wie verhält es sich mit Angehörigen, die ebenfalls selbstständig sind und deshalb privat vorgesorgt haben? Was ist mit denen, die vor der Erhöhung des Schonvermögens einen Antrag auf Hartz IV gestellt haben und aufgrund der niedrigen Vermögensgrenzen abgelehnt wurden? Was ist mit denen, die aus diesem Grund von vorn herein auf einen Antrag verzichtet haben? Wie ist nachzuweisen, dass Ersparnisse erkennbar zur Altersvorsorge gedacht sind?
Fazit: Die Erhöhung des Schonvermögens ist ein wichtiger Erfolg unseres politischen Protests und unserer Medienarbeit. Zufrieden können wir damit in der aktuellen Situation noch keinesfalls sein. Auch weiterhin werden die meisten, die für ihr Alter privat vorgesorgt haben, dafür bestraft und erhalten in der Corona-Krise keine wirksame Hilfe, zumal beim Bezug der Grundsicherung die Fortsetzung der Selbstständigkeit vielfach erschwert ist.
Immerhin: Die Bundesregierung hat mit der Änderung eingeräumt, dass das Schonvermögen bisher (und auch schon vor Beginn der Corona-Krise) in Bezug auf Selbstständige viel zu gering bemessen war.
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