Bei einem Workshop im Wirtschaftsministerium kann der VGSD seine Positionen zu Mutterschutz für Selbstständige, Elterngeld und Beitragsgerechtigkeit einbringen. Eine Umfrage liefert spannende Ergebnisse – aber die Finanzierung von Mutterschutz bleibt der Elefant im Raum.
Selbstständige Frauen müssen in Schwangerschaft und rund um die Geburt besser abgesichert sein – das ist laut digitalem Umfragetool auch am Ende des eintägigen „Ideen-Workshop“ zum Thema Mutterschutz die einhellige Meinung der knapp fünfzig Teilnehmenden. Eingeladen zu dieser gemeinsamen Veranstaltung am 5. Juni in Berlin hatten das Wirtschafts- und das Familienministerium. Was die Umsetzung betrifft, herrscht jedoch offenbar noch Ratlosigkeit. Obwohl Staatssekretärin Ekin Deligöz aus dem Familienministerium (BMFSFJ) und Staatssekretär Michael Kellner aus dem Wirtschaftsministerium (BMWK) in ihren Grußworten die Notwendigkeit eines verbesserten Mutterschutzes für selbstständige Frauen unmissverständlich deutlich machten, wurden von Seiten der Ministerien noch keine Umsetzungskonzepte vorgestellt.
Gesetzentwurf lässt auf sich warten
Nach der erfolgreichen Bundestagspetition von VGSD-Mitglied Johanna Röh und durch ein fraktionsübergreifendes Votum des Petitionsausschusses am 15. Juni 2023 war die Bundesregierung eigentlich aufgefordert gewesen, innerhalb von sechs Wochen mitzuteilen, welche Maßnahmen sie ergreifen wird. Seitdem ist es still geworden um den Mutterschutz und der erhoffte Gesetzentwurf lässt auf sich warten. Ziemlich genau ein Jahr später sind nun Vertreterinnen aus der Selbstständigen- und Gründerinnen-Szene, der Krankenkassen und aus der Wissenschaft nach Berlin eingeladen, um zusammen mit Ministeriums-Mitarbeiter/innen im Rahmen eines Workshops Ideen zum Thema Mutterschutz zu sammeln. Für den VGSD habe ich (Vera Dietrich, Autorin) teilgenommen und unsere Positionen zu Mutterschutz, Beitragsgerechtigkeit und Elterngeld eingebracht.
Großer Bedarf, geringe Anzahl Betroffene
Obwohl die Fachministerien bislang keine konkreten Vorschläge entwickelt haben, wurde die Zeit genutzt, um mit Hilfe von Forschungsaufträgen eine Bedarfsanalyse durchzuführen und damit eine bessere Datengrundlage zu schaffen. Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) wies darauf hin, dass überhaupt nur ein sehr kleiner Anteil der Selbstständigen ein Kind bekommt: innerhalb von zwei Jahren sind dies 27.000 Selbstständige, also rund 1,1 Prozent aller selbstständigen Frauen pro Jahr. Einen großen Bedarf für einen verbesserten Mutterschutz ermittelte das Allensbach-Institut im Rahmen einer repräsentativen Umfrage unter selbstständigen Frauen und Männern.
Geschlechtsunabhängig bewerteten etwa 80 Prozent sowohl der Frauen als auch der Männer die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei selbstständigen Müttern als schwer oder sehr schwer. Besonders große Vereinbarkeitsprobleme entstehen nach der Geburt und erwartungsgemäß sind Solo-Selbstständige hier besonders hart betroffen, da bei Selbstständigen mit Angestellten die Umsätze und Weiterführung des Betriebs nicht grundsätzlich gefährdet sind, wenn die Inhaberin phasenweise ausfällt.
Benachteiligung gegenüber angestellten Frauen
- Lediglich 52 Prozent der Solos (dagegen 80 Prozent der Selbstständigen mit Angestellten) gelang es in dieser Phase, nur „ganz kurz“ aus dem Beruf auszusteigen.
- 46 Prozent der soloselbständigen Mütter mussten den Betrieb für eine gewisse Zeit schließen (15 Prozent Mütter mit 1-6 Angestellten, 0 Prozent der Mütter mit mehr als 6 Angestellten).
- 77 Prozent der Solos mussten die finanzielle Unterstützung des Partners in Anspruch nehmen (59 Prozent Mütter mit 1-6 Angestellten, 32 Prozent der Mütter mit mehr als 6 Angestellten).
Etwa 85 Prozent der selbstständigen Frauen insgesamt wünschen sich vom Staat eine Verbesserung der Rahmenbedingung beim Mutterschutz, genauso viele fühlen sich beim Mutterschutz gegenüber angestellten Frauen benachteiligt.
Großes Informationsdefizit
Die Umfrageergebnisse des Allensbach-Instituts zeigen auch ein erhebliches Informationsdefizit beim Mutterschutz. Viele selbstständige Frauen wissen gar nicht von der Möglichkeit der finanziellen Absicherung während 14 Wochen rund um die Geburt durch Mutterschutzgeld in Höhe des Krankengeldes, und auch dass sie dafür rechtzeitig einen Krankengeldtarif abschließen müssen. Dementsprechend haben nur ein Drittel der Frauen Mutterschutzgeld von ihrer Krankenkasse in Anspruch genommen und drei Viertel der Befragten wünschen sich mehr Informationen zum Thema Mutterschutz.
Umfassende Informationen für Angestellte
Dieses Ergebnis ist nicht überraschend, denn die relevanten Informationen werden von den zuständigen Institutionen nach wie vor nicht systematisch zur Verfügung gestellt. Mutterschaftsgeld für Selbstständige wurde erst 2017 auf den Druck europäischer Rechtsprechung (EU-RL 210/41) und sehr zögerlich mit sieben Jahren Verspätung in deutsches Recht umgesetzt. Noch heute finden Betroffene – trotz der in Art. 3 der EU-Richtlinie formulierten Informationspflicht – nicht die für sie relevanten Informationen auf der Website des BMFSFJ, sondern werden vor allem darüber informiert, dass sie als Selbstständige nicht dem Mutterschutzgesetz unterliegen. Im Gegensatz dazu wird angestellten Frauen eine hundert Seiten umfassende Informationsbroschüre zur Verfügung gestellt. Auch die Kassen kommen ihrer Informationspflicht teilweise nur unzureichend nach. Bei meinen eigenen Recherchen im Zusammenhang mit Johanna Röhs Petition war ich manchmal fassungslos darüber, wie unvollständig und teilweise irreführend die Informationen auf den Websites und bei telefonischen Anfragen waren.
Viele Fallstricke für Selbstständige
Die Umfrageergebnisse sollten zum Anlass genommen werden, dass die zuständigen Institutionen ihren Informationspflichten auch gegenüber selbstständigen Frauen systematisch und umfassend nachkommen. Dies ist umso erforderlicher, als es sehr komplexe rechtliche Regelungen und viele Fallstricke für Selbstständige gibt (unterschiedliche Karenzzeiten für Mutterschutzgeld und beim Krankengeld je nach Versicherung, Anrechnungstatbestände zwischen Mutterschutzgeld/Elterngeld etc.), die eine Vielzahl unterschiedlicher individueller Fallkonstellationen generieren und einen guten Wissensstand bei den Betroffenen erfordern.
Unzureichende finanzielle Sicherheit
Nach unseren eigenen Erfahrungen als Verband besteht zusätzlich ein Informationsdefizit darüber, dass das Mutterschutzgeld- ebenso wie das Elterngeld - für selbstständige Mütter häufig keine verlässliche finanzielle Absicherung in der vulnerablen Lebensphase der Schwangerschaft und Frühelternschaft bietet. Die entsprechenden Probleme aus der Praxis habe ich auf dem Workshop verschiedentlich angesprochen, da diese nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch auf der Verwaltungsseite nicht immer hinlänglich bekannt zu sein scheinen.
Da sowohl Mutterschutz- als auch Elterngeld als sogenannte Einkommensersatzleistungen bei Selbstständigen abhängig vom Gewinn der Vorperiode sind - und dieser typischerweise bei Gründerinnen klein oder für mehrere Jahre gar nicht vorhanden ist - können die Leistungen bei dieser Zielgruppe oft keine finanzielle Absicherung bieten. Aber auch bei Inhaberinnen, die aus der Gründungsphase herausgewachsen sind, kann der Gewinn auftrags- oder konjunkturbedingt in einem Jahr ungeplant niedrig ausfallen.
Basis-Elterngeld zu wenig als Absicherung
Unzureichend kann die finanzielle Absicherung auch dann sein, wenn die Mutter während der Schwangerschaft bereits im Elterngeldbezug für ein älteres Geschwisterkind ist und daher die Bemessungsgrundlage für die Leistungen vergleichsweise klein ist. Eine von externen Faktoren unabhängige Absicherung bietet derzeit nur das sogenannte Basis-Elterngeld, das in der Mindesthöhe von 300 Euro einkommensunabhängig ist. Allerdings bietet es in dieser Höhe nicht wirklich eine finanzielle Absicherung für die die meisten Selbstständigen - und Mutterschutzleistungen werden außerdem vollständig auf das Elterngeld angerechnet.
Problemlagen komplex, Beratungsbedarf groß
Im zweiten Teil der Veranstaltung waren die Teilnehmenden aufgefordert, an vier Workshop-Stationen Ideen und Lösungsvorschläge für selbstständige Schwangere und junge Mütter in verschiedenen Phasen und mit spezifischen Problemlagen zu sammeln. Viele Faktoren spielten hier mit hinein (gesundheitliche und familiäre Situation, Versichertenstatus, Anzahl der Kinder, Bezug von Mutterschutzgeld/Elterngeld, Angestellte, Situation des Betriebs, finanzielle Rücklagen etc.).
Obwohl ich mich inzwischen gut mit dem Thema auskenne, fühlte ich mich – und nach meiner Wahrnehmung auch andere Teilnehmerinnen – oft überfordert, hier passgenaue Vorschläge zu machen. Das lag sicher auch daran, dass jeweils nur zehn Minuten zur Verfügung standen, um sich in die Problemkonstellation, den individuellen Bedarf an Unterstützung und Lösungsmöglichkeiten hineinzudenken – zu kurz, um gehaltvolle Ergebnisse zu liefern. Das zeigt auf der anderen Seite umso deutlicher, dass es einen großen Bedarf für die Beratung selbstständiger Frauen gibt, weil die Problemlagen sehr viel komplexer als bei Angestellten sind und schnell existenzbedrohend werden können.
Workshop liefert neue Ideen
Dennoch sind im Workshop einige gute Ideen formuliert worden, beispielsweise das Elterngeld den Selbstständigen nach der Geburt auch konzentriert in größeren Beträgen auszuzahlen – anstatt wie üblich gestreckt bis maximal zum 32. Lebensmonat des Kindes –, weil viele Selbstständige aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen nur eingeschränkt vom Elterngeld profitieren können. Auch die VGSD-Forderung nach einer steuerlich unbegrenzten Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten wurde mehrfach genannt.
Im Hinblick auf die finanzielle Absicherung stand an diesem Tag das Mutterschaftsgeld im Fokus. Nicht thematisiert wurde in der Veranstaltung die nach wie vor ungelöste Frage, wie eine finanzielle Absicherung aussehen könnte, wenn eine Selbstständige aufgrund gesundheitlicher Risiken für Mutter oder Kind während der Schwangerschaft nicht arbeiten kann, beispielsweise bei schwerer körperlicher Arbeit oder Kontakt mit Chemikalien. Diese Problematik wird bei Angestellten durch ein Beschäftigungsverbot mit Entgeltfortzahlung gelöst.
Zu wenig Absicherung bei gesundheitlichen Risiken
Zwar ist eine Selbstständige während der Schwangerschaft grundsätzlich gegen Arbeitsunfähigkeit abgesichert und kann sich krankschreiben lassen, darauf wurde vom Vertreter des GKV-Spitzenverbandes hingewiesen. Bei gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten wird eine Selbstständige jedoch vermutlich darauf angewiesen sein, einen wohlmeinenden Arzt zu finden, der sie unterstützt. Denn bekanntermaßen unterliegen die Ärzte insbesondere bei längeren Krankschreibungen einem erheblichen Rechtfertigungsdruck durch die Kassen. Während Schwangerschaftsübelkeit sicherlich als Tatbestand akzeptiert würde, besteht bei Gefährdungstatbeständen aufgrund fehlender Rechtsansprüche selbstständiger Schwangerer ein Graubereich, der für sie große Unsicherheiten birgt.
Wenn man zwischen den Zeilen liest, könnten die Überlegungen dahin gehen, dieses Risiko bei Selbstständigen durch eine Betriebsunterbrechungsversicherung abzusichern. Darauf weisen jedenfalls die Fragen der Allensbach-Umfrage hin, in der eine entsprechende Bereitschaft für eine solche Versicherung abgefragt wurde. 60 Prozent der befragten Frauen bejahten die Frage, ob eine bezahlte Mutterschutzzeit für Selbstständige über eine solche Versicherung abgesichert werden sollte. Der VGSD unterstützt eine Absicherung über eine Betriebsunterbrechungsversicherung und hat dies bei der Anhörung im Familienausschuss im letzten September mit der Forderung nach einer solidarischen Finanzierung der Beiträge verknüpft, da diese sonst für Frauen im gebärfähigen Alter erwartungsgemäß prohibitiv hoch würden. Aus diesem Grund wird eine solche Versicherung durch etablierte Versicherer bislang auch nicht angeboten bzw. Leistungen bei Schwangerschaft werden durch die Vertragsbedingungen ausgeschlossen.
Uneinheitliches Meinungsbild bei Umlagefinanzierung
Eine viel diskutierte Alternative zur Absicherung des Betriebes in einem solchen Fall sind Betriebshelfer/innen, die bei einer schwangerschaftsbedingten Arbeitsunfähigkeit für die Inhaberin einspringen. Die Ergebnisse der Allensbach-Umfrage zeigten hierzu nur ein verhaltenes Interesse der Befragten (23 Prozent), was mit der Schwierigkeit begründet wurde, eine entsprechend qualifizierte Kraft zu finden. Auch die Möglichkeit von Überbrückungskrediten stieß nicht auf großes Interesse.
Abgefragt wurde auch die Meinung zu einer Umlagefinanzierung (U2-Umlage). Hier zeigte sich ein uneinheitliches Bild unter den Selbstständigen: 48 Prozent der Frauen (36 Prozent der Männer) halten das für eine gute Idee. Keine gute Idee fanden dies 25 Prozent der Frauen (38 Prozent der Männer), gut ein Viertel der Befragten insgesamt war unentschieden.
Befragt zur monatlichen Zahlungsbereitschaft für eine U2-Umlage ergaben die Daten bei den Männern einen Medianwert von 76 Euro (Frauen: 53 Euro). Das bedeutet: die eine Hälfte der Befragten hat eine niedrigere Zahlungsbereitschaft als 76 (53) Euro, die andere Hälfte würde auch höhere monatliche Beiträge in Kauf nehmen.
Umfrageergebnisse stützen VGSD-Position
Obwohl Staatssekretär Kellner in seinem Grußwort angekündigt hatte, es müsse nun auch über die Finanzierung eines verbesserten Mutterschutzes gesprochen werden, wurde diese Frage in der Veranstaltung nicht weiter thematisiert.
Durch die Umfrageergebnisse des Allensbach-Instituts sehen wir uns in den Positionen des VGSD zum Thema Finanzierung gestützt: Über 70 Prozent der Solo-Selbständigen sind freiwillig in der GKV versichert und müssen dort bereits jetzt erheblich höhere Sozialabgaben zahlen, als es der Summe aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Anteil in einem vergleichbaren Angestellten-Arbeitsverhältnis entspricht. Besonders belastet sind Selbstständige in der Familienphase, obwohl sie noch nicht einmal ausreichend im Mutterschutz abgesichert sind. Dies führt auch dazu, dass sich Teilzeit-Arbeit für sie finanziell oft nicht mehr lohnt, auch wenn der Arbeitsmarkt angesichts der demografischen Entwicklung dringend auf sie angewiesen wäre.
Voraussetzung Beitragsgerechtigkeit
Daher wird sich eine breitere Akzeptanz bei Selbstständigen für eine zusätzliche U2-Umlage zur Finanzierung des Mutterschutzes nur unter der Voraussetzung einer fairen Beitragsbelastung erreichen lassen. Einfach umsetzbare Vorschläge dazu (steuerliche Berücksichtigung der hälftigen Sozialabgaben analog zu Arbeitgebern, gleiche Beitragsbemessung in der GKV wie bei Pflichtversicherten) hat der VGSD gemacht und vertritt diese zur Zeit in zahlreichen Fachgesprächen mit politischen Entscheidungsträger/innen und Ministerien. Als ich die Argumente in einem Wortbeitrag in die Diskussion einbringe, werde ich in der Kaffee-Pause von anderen Verbandsvertreterinnen angesprochen und erhalte viel Zuspruch für unsere Position.
Wie also wird es nun weitergehen mit dem Mutterschutz?
… lautete die Frage der Moderatorin am Schluss der Veranstaltung. Sie wurde seitens der Ministerien dahingehend beantwortet, dass die gesamten Informationen aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden und das Thema dann zurück in den „parlamentarischen Raum“ ginge. Offenbar müssen noch ein paar dicke politische Bretter gebohrt werden, bevor selbstständige Frauen endlich auf einen besseren Mutterschutz und den gleichen Schutz wie Angestellte hoffen können. Dafür und für eine faire Finanzierung wird sich der VGSD weiterhin einsetzen!
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