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Lesetipp Zerrbild von Selbstständigkeit und Altersvorsorge Hilf uns, für Vielfalt in den Köpfen der "Spiegel"-Redaktion zu sorgen!

Unser Geschäftsführer Max Hilgarth hat sich über die Darstellung von Selbstständigen in einem "Spiegel"-Artikel geärgert und einen Leserbrief geschrieben. Doch ein Brief allein wird kein Umdenken bringen. Hilf uns und schreibe selbst!

Der Leserbrief von Max ist beim "Spiegel" – kommt deiner dazu?

In dem Artikel "Reicht mein Geld im Alter?" hat sich der "Spiegel" online und in seiner Printausgabe vom 22. Juni dem Thema Rente und finanzielle Unsicherheit im Alter gewidmet. Besonders die hohen Kosten im Pflegefall und die steigenden Mieten in Ballungsräumen werden als Risiken beschrieben.

Friseurmeister mit zu wenig Altersvorsorge

Mit dem Absatz: "Vor allem Frauen müssen mit kleinen Renten auskommen. Prekär Beschäftigte. Oder Solounternehmer. Von vier Millionen Selbstständigen sind drei Millionen nicht automatisch über das gesetzliche Rentensystem abgesichert", lenken die Autoren den Fokus auf Selbstständige. Portraitiert wird ein Friseurmeister, der nach eigenen Angaben zu wenig Altersvorsorge betreibt, nach 18 Jahren aus der Pflichtversicherung ausstieg und stattdessen länger arbeiten wird.

Die Autoren schreiben: "Viele Handwerker nutzen diese Ausstiegsoption aus der Rentenkasse – und haben später Probleme. Das Sozialsystem lässt zu, dass sie fortan überhaupt nichts für ihr Alter zurücklegen und im Zweifel im Alter von der Stütze leben." Dabei ist der Friseurmeister in den Augen des "Spiegel" noch gut dran. "Andere Soloselbstständige haben es schwerer. Es ist unwahrscheinlich, dass die Ein-Mann-Subunternehmen der Paketdienste im hohen Alter Lieferungen die Treppenhäuser hinaufschleppen. Und es ist noch unwahrscheinlicher, dass sie von einem Einkommen nah am Mindestlohn Geld zurücklegen können. Verpflichtet dazu sind sie ohnehin nicht. Der Staat bietet ihnen nur die Stütze", geht es weiter.

Die Welt der Solo-Selbstständigen ist vielfältig!

Mal wieder: Selbstständige als Hilfsbedürftige, deren eigene Vorsorge nicht ausreicht und die im Ruhestand auf den Staat angewiesen sind. Ein verzerrtes Bild, das einmal mehr fehlende Kenntnis der Lebenswirklichkeit von Solo-Selbstständigen offenbart. Vermutlich steckt noch nicht einmal Absicht dahinter. Lass uns gemeinsam versuchen, daran etwas zu ändern!

Unser Geschäftsführer Max Hilgarth hat einen Leserbrief an die Autor/innen des Artikels geschrieben. Ein Brief allein wird nicht ausreichen, um ein Umdenken zu bewirken. Hilf uns dabei, der Redaktion zu zeigen, wie vielfältig die Welt der Solo-Selbstständigen ist! Schreibe auch du eine Mail und stelle vor, was du machst, warum du gerne selbstständig bist, wie du fürs Alter vorsorgst und wie deine Altersversorgung im Vergleich zur Durchschnittsrente aussehen wird.

Hier kannst du Max' Leserbrief lesen:

Liebes Team der Wirtschaftsredaktion des Spiegel,

ich schreibe Ihnen als Geschäftsführer des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) e.V., zur Titelstory "Reicht mein Geld im Alter?" vom 22. Juni einen Leserbrief. Viele unserer Mitglieder und auch mich selbst haben Sie mit der Argumentation, dass drei Millionen Soloselbstständigen wegen der fehlenden Altersvorsorgepflicht Altersarmut droht, verärgert.

In dem Text schreiben Sie: "Vor allem Frauen müssen mit kleinen Renten auskommen. Prekär Beschäftigte. Oder Solounternehmer. Von vier Millionen Selbstständigen sind drei Millionen nicht automatisch über das gesetzliche Rentensystem abgesichert", und: "Viele Handwerker nutzen diese Ausstiegsoption aus der Rentenkasse – und haben später Probleme. Das Sozialsystem lässt zu, dass sie fortan überhaupt nichts für ihr Alter zurücklegen und im Zweifel im Alter von der Stütze leben." Beim Lesen entsteht der Eindruck, als führten Solo-Selbstständige ein Leben ohne jeden Gedanken an die Zukunft und lägen im Alter der Allgemeinheit auf der Tasche, indem sie Grundsicherung beziehen. Wollen Sie damit wirklich sagen, dass eine ganze Gruppe von Erwerbstätigen es als erstrebenswert ansieht, ihren Lebensabend an der Armutsgrenze zu verbringen?

Die allermeisten Selbstständigen sorgen eigenverantwortlich für ihr Alter vor

Das zweite Bild des Solo-Selbstständigen, das Sie zeichnen: "Andere Soloselbstständige haben es schwerer. Es ist unwahrscheinlich, dass die Ein-Mann-Subunternehmen der Paketdienste im hohen Alter Lieferungen die Treppenhäuser hinaufschleppen. Und es ist noch unwahrscheinlicher, dass sie von einem Einkommen nah am Mindestlohn Geld zurücklegen können. Verpflichtet dazu sind sie ohnehin nicht. Der Staat bietet ihnen nur die Stütze." Sie bemühen das Klischee vom ausgebeuteten Lieferdienstler und stellen diesen als typischen Vertreter der Solo-Selbstständigen dar. Nur: Zu einem großen Teil sind solche Lieferfahrer fest angestellt. Sofern sie es nicht sind, handelt es sich wahrscheinlich um Fälle von Scheinselbstständigkeit, bei denen eigentlich eine Festanstellung vorliegen müsste und sich die Unternehmen Sozialbeiträge sparen wollen. Ein typisches Bild von 1,9 Millionen Solo-Selbstständigen zeichnen Sie damit nicht.

Der ganz überwiegende Teil von Solo-Selbstständigen hat diese Erwerbsform freiwillig und aus Überzeugung gewählt. Ebenso hat ein ganz großer Teil der Selbstständigen verantwortungsvoll die eigene Absicherung im Alter im Blick und betreibt Vorsorge. Mit Ihrer Darstellung verletzen Sie eine ganze Gruppe von Erwerbstätigen. Wir unterstellen Ihnen keine Absicht, sondern vermuten, dass es schlicht an Kenntnis der Lebensrealität von Solo-Selbstständigen fehlt. Mein Brief alleine wird nicht ausreichen, um ein Umdenken zu erzeugen. Wir haben deshalb unsere Mitglieder gebeten, Ihnen selbst zu schreiben, was sie tun und wie sie für ihr Alter vorsorgen.

Aussagen des Artikels widersprechen sich

Im Text beschreiben Sie das Problem der fehlenden Altersvorsorgepflicht für Selbstständige als "eines der größten in der Rentenpolitik", das schon lange bekannt und ungelöst ist. Zugleich geben Sie mehrere Beispiele von Betroffenen, die trotz überdurchschnittlicher Rente im Alter von finanziellen Sorgen geplagt sind und kommen zu dem Schluss: "Nur wer ein Leben lang eingezahlt hat, wird vorerst halbwegs solide abgesichert sein."

Ein beruhigendes Zeugnis für die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung ist das in meinen Augen nicht. Trotzdem suggerieren Sie den Lesenden, dass Selbstständige im Alter keine finanziellen Probleme fürchten müssten, würden sie nur in die Rentenkasse einzahlen. Ich entdecke in diesen beiden Aussagen einen Widerspruch. Oder möchten Sie andeuten, dass die gesetzliche Rente für Angestellte zwar nicht ausreicht, aber für Selbstständige gut genug ist?

Woran droht die im Koalitionsvertrag vereinbarte Altersvorsorgepflicht in diesem Jahr zu scheitern?

Die Altersvorsorgepflicht scheiterte bisher nicht am politischen Willen, sondern an der Unkenntnis der Politiker/innen über die Lebensrealität der Solo-Selbstständigen. Die von Ursula von der Leyen 2011 geplante Altersvorsorgepflicht mit pauschalen Beiträgen hätte das Aus für viele Solo-Selbstständige bedeutet, insbesondere für selbstständige Frauen in Teilzeit, die zusätzlich zu ihrer Erwerbsarbeit noch Care-Arbeit leisten. Nun hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2021 zu einem erneuten Anlauf für die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige bekannt. Arbeitsminister Heil möchte seine Pläne im Rentenpaket III bereits im September vorstellen.

Es ist ein Fortschritt, dass pauschale Beiträge in diesem Jahr nicht zur Diskussion stehen und die Beiträge einkommensabhängig gestaltet werden sollen. Aber welche Berechnungsgröße ist die richtige für eine faire Ausgestaltung der monatlichen Beiträge? Dass Sozialversicherungsbeiträge für Selbstständige in gleicher Höhe erhoben werden wie von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ist für uns in Ordnung. In der Realität geschieht dies aber nicht. Selbstständige zahlen mehr. Es herrscht Beitragsungerechtigkeit.

Für Selbstständige sind die Sozialversicherungsbeiträge aus drei Gründen höher:

  • Die Bemessungsgrundlage entspricht bei Selbstständigen dem Arbeitnehmerbrutto plus dem Arbeitgeber-Anteil an den Beiträgen. Das ist, als müssten Arbeitnehmer auch Sozialversicherung auf den Arbeitgeber-Anteil bezahlen.
  • Als freiwillig gesetzlich Krankenversicherte zahlen Selbstständige Beiträge nicht nur für ihr Arbeitseinkommen, sondern auch für andere Einkunftsarten (dazu gehören Mieteinnahmen, Kapitalerträge, ggf. Unterhaltszahlungen, Einkommen privat versicherter Partner).
  • Für Selbstständige gelten höhere Mindestbeiträge. Sobald sie die Minijob-Grenze von 538 Euro überschreiten, werden sie behandelt, als ob sie 1.178 Euro verdienen, auch wenn ihr Einkommen tatsächlich geringer ist.

Diese diskriminierenden Rahmenbedingungen nehmen Selbstständigen den Spielraum für ihre Altersvorsorge. Es würde mich nicht wundern, wenn auch bei dem im Beitrag portraitierten Friseurmeister Oliver Giemza neben Scheidung oder Coronapandemie auch zu hohe Beiträge zur GKV einen Anteil daran haben, dass er sich auch im hohen Alter nicht zur Ruhe setzen kann.

Wir würden uns freuen, wenn Sie künftig Soloselbstständige im SPIEGEL nicht weiter pauschal als prekäre Existenzen darstellen, sondern auch diejenigen in den Blick nehmen, die diese Lebensentscheidung aus Überzeugung getroffen haben, verantwortungsbewusst für ihr Alter vorsorgen und in der Regel einkömmlichen Tätigkeiten nachgehen. Noch mehr würde es uns freuen, wenn Sie auch dem Phänomen der Beitragsungerechtigkeit einmal Ihre Aufmerksamkeit widmen würden.

Herzliche Grüße 
Max Hilgarth

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